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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Sozialdemokratie im Beamtentum

zu weisen. Denn endlich muß doch der deutsche Michel aus seiner Schlaf¬
trunkenheit geweckt werden.

Hat aber der Staat keine genügende Macht, die Sozialdemokraten auch
in den Gemeinden vom öffentlichen Dienst auszuschließen, so wird die gesetz¬
gebende Gewalt ihm solche schaffen müssen. Es geht nicht mehr an, daß die
Gemeindevertretungen unsrer Hauptstädte dadurch, daß sie die Führer der Sozial¬
demokratie zu einflußreichen öffentlichen Ehrenämtern wühlen, der Herrschaft
der Sozialdemokraten unter den großstädtischen Arbeitermassen Vorschub leisten.
Wenn die Berliner Stadtverordnetenversammlung durch eine solche Wahl, wie
die Zeitungen berichten, neuerdings versucht hat, sich den großen Haufen ge¬
neigter zu machen und den Kampf der Demokratie gegen die Sozialdemokratie
bei den Neichstagswahlen in Vergessenheit zu bringen, so hat sie damit den
Führern ihrer Mehrheit den letzten Schein von Vaterlandsliebe und Deutsch¬
tum geraubt.")

Der Kampf gegen die Sozialdemokratie im Beamtentum ist neuerdings
in besondern Erlassen von den Leitern einiger höchster Reichs- und Staats¬
behörden angekündigt worden. Es ist aber doch recht fraglich, ob solche be¬
sondern Ankündigungen nötig und namentlich in diesem Falle auch nur ange¬
bracht waren. Es kann ja unter Umständen der Billigkeit entsprechen, daß
man, wenn Vergehungen gegen die Dienstpflicht eingerissen sind, bevor man
die einzelnen Missethäter mit der ganzen Strenge des Gesetzes oder der Dienst¬
vorschriften trifft, noch einmal im allgemeinen und auffällig warnt. Aber
dann ist es doch geraten, den Thatbestand des Mißverhaltens, das getroffen
werden soll, jedermann, den es angeht, so unzweideutig kenntlich zu machen,
daß ihm kein Zweifel darüber bleibt: Wenn du das thust oder unterläßt,
fliegst du hinaus! Aber beim Kampf gegen die Sozialdemokratie im Beamten¬
tum ist das in der Hauptsache gar nicht möglich. Die Fälle, wo sich Beamte
ausdrücklich oder durch unzweideutige Handlungen als Sozialdemokraten, d. h.
als Mitglieder der sozialdemokratischen Partei, kenntlich gemacht haben und
doch im Amt geblieben sind -- die Wahlen zum Reichstage sind ja geheim
und können praktisch hier überhaupt nicht in Betracht kommen --, sind Gott
sei Dank doch immer noch verschwindende Ausnahmen. So ganz verlottert
ist die Disziplin im Staatsdienst noch nicht. Wenn sich die besondern Kampf¬
ansagen der hohen Ämter nur auf dergleichen Fälle beziehen sollten, so be¬
sagten sie doch allzu Selbstverständliches oder eigentlich gar nichts. In
Wirklichkeit ist der Kampf, um den es sich handelt, und den die Erlasse auch
meinen, seiner ganzen Natur nach doch immer ein Kampf gegen unrichtige,



Es kann hier nicht näher ans diese Verhältnisse eingegangen werden. Vor allein wäre
die Stellung der Juden zur Sozialdemokratie und zum deutschen Vaterlande dabei ausführlicher
zu erörtern, als der Raum: erlaubt.
Die Sozialdemokratie im Beamtentum

zu weisen. Denn endlich muß doch der deutsche Michel aus seiner Schlaf¬
trunkenheit geweckt werden.

Hat aber der Staat keine genügende Macht, die Sozialdemokraten auch
in den Gemeinden vom öffentlichen Dienst auszuschließen, so wird die gesetz¬
gebende Gewalt ihm solche schaffen müssen. Es geht nicht mehr an, daß die
Gemeindevertretungen unsrer Hauptstädte dadurch, daß sie die Führer der Sozial¬
demokratie zu einflußreichen öffentlichen Ehrenämtern wühlen, der Herrschaft
der Sozialdemokraten unter den großstädtischen Arbeitermassen Vorschub leisten.
Wenn die Berliner Stadtverordnetenversammlung durch eine solche Wahl, wie
die Zeitungen berichten, neuerdings versucht hat, sich den großen Haufen ge¬
neigter zu machen und den Kampf der Demokratie gegen die Sozialdemokratie
bei den Neichstagswahlen in Vergessenheit zu bringen, so hat sie damit den
Führern ihrer Mehrheit den letzten Schein von Vaterlandsliebe und Deutsch¬
tum geraubt.")

Der Kampf gegen die Sozialdemokratie im Beamtentum ist neuerdings
in besondern Erlassen von den Leitern einiger höchster Reichs- und Staats¬
behörden angekündigt worden. Es ist aber doch recht fraglich, ob solche be¬
sondern Ankündigungen nötig und namentlich in diesem Falle auch nur ange¬
bracht waren. Es kann ja unter Umständen der Billigkeit entsprechen, daß
man, wenn Vergehungen gegen die Dienstpflicht eingerissen sind, bevor man
die einzelnen Missethäter mit der ganzen Strenge des Gesetzes oder der Dienst¬
vorschriften trifft, noch einmal im allgemeinen und auffällig warnt. Aber
dann ist es doch geraten, den Thatbestand des Mißverhaltens, das getroffen
werden soll, jedermann, den es angeht, so unzweideutig kenntlich zu machen,
daß ihm kein Zweifel darüber bleibt: Wenn du das thust oder unterläßt,
fliegst du hinaus! Aber beim Kampf gegen die Sozialdemokratie im Beamten¬
tum ist das in der Hauptsache gar nicht möglich. Die Fälle, wo sich Beamte
ausdrücklich oder durch unzweideutige Handlungen als Sozialdemokraten, d. h.
als Mitglieder der sozialdemokratischen Partei, kenntlich gemacht haben und
doch im Amt geblieben sind — die Wahlen zum Reichstage sind ja geheim
und können praktisch hier überhaupt nicht in Betracht kommen —, sind Gott
sei Dank doch immer noch verschwindende Ausnahmen. So ganz verlottert
ist die Disziplin im Staatsdienst noch nicht. Wenn sich die besondern Kampf¬
ansagen der hohen Ämter nur auf dergleichen Fälle beziehen sollten, so be¬
sagten sie doch allzu Selbstverständliches oder eigentlich gar nichts. In
Wirklichkeit ist der Kampf, um den es sich handelt, und den die Erlasse auch
meinen, seiner ganzen Natur nach doch immer ein Kampf gegen unrichtige,



Es kann hier nicht näher ans diese Verhältnisse eingegangen werden. Vor allein wäre
die Stellung der Juden zur Sozialdemokratie und zum deutschen Vaterlande dabei ausführlicher
zu erörtern, als der Raum: erlaubt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/67>, abgerufen am 27.07.2024.