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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Was ist uns Anatolien?

Aber selbst wenn sie alle wären wie die Mnhadschirs, die Einwandrer
aus der Balkanhalbinsel, die von Kaerger wegen ihrer Betriebsamkeit so gelobt
werden, und wenn diese so rührig und intelligent wären wie die Bauern
Deutschlands, was sie selbstverständlich nicht sind, so könnten sie doch nicht
die Niesenaufgabe bewältigen, die hier gestellt ist, wozu vielmehr ein gleichsam
amerikanischer Unternehmungsgeist gehört. Es gilt, in einem fruchtbaren Lande,
das eben erst an den Weltmarkt angeschlossen worden ist, die Bodenschätze zu
heben, nicht Gold und Silber, sondern, was besser ist, Korn. Dieses Land über¬
trifft vermutlich das Kornland Kalifornien an Fruchtbarkeit, es hat den großen
Vorzug, vor den Thoren Europas zu liegen, während jenes sein Getreide auf
dem Seeweg um Südamerika nach Liverpool schicken muß. Es teilt aber mit
Amerika den Nachteil, daß die Arbeitslöhne") hoch sind, weil es zu wenig
Menschen für die Arbeit im Lande giebt. Hier ist nur eine Betriebsart am
Platze, das ist: der moderne Großbetrieb, ich möchte sagen die industrielle
Landwirtschaft, die mit Maschinen diese breiten, leeren Thäler in Kornfelder
verwandelt und die spärlich vorhandnen Menschenkräfte so anwendet, daß der
größte Erfolg, der möglich ist, erreicht wird. Ein Dampfpslng würde in diesen
meilenweiten steinfrcien Ebnen hin- und hergehen wie ein Fährschiff in einem
ruhigen Strom. Mit guten Erntemaschinen würden dieselben Menschen eine
doppelte Ernte in kürzerer Zeit bewältigen und würden Zeit finden, die an¬
gebauten Flüchen zu erweitern.

Wer soll diese Aufgabe übernehmen? Der türkische Bauer oder die
griechischen und armenischen Kaufleute oder englisch-französische Banken, oder
haben das deutsche Kapital und die deutsche Intelligenz auch hier Lust, für ihren
und des Vaterlandes Nutzen zu arbeiten? Eigentlich läge es ja im Interesse
der Deutschen Bank, nicht andre ernten zu lassen, wo sie gesät hat. Sie hat
den Mut gehabt, für viele Millionen eine Eisenbahn ins Land zu bauen, weil
sie glaubte, daß sich dies Land entwickeln müsse, sobald es eröffnet würde.
Aber dann muß sie auch den Mut haben, mit einer oder einer halben Million
die Probe aufs Exempel zu machen, ob hier die Schätze sind, die man erwartet
hat. Hat man schon einmal einen Unternehmer gesehen, der einen Schacht
gräbt in der Hoffnung auf reiche Erzlager, und der dann unbesehen die
Förderung andern überläßt? Allerdings sind Aussichten vorhanden, daß sich
die Bahn bald voll rentirt. Zunächst bedarf sie noch der Garantiezahlungen
des Sultans. Aber nach der guten Ernte des vorigen Jahres hat die Angora-
strecke ihre Verzinsung eingebracht; von der 1896 erst eröffneten Konialinie
konnte das überhaupt uoch nicht erwartet werden. Ich habe nicht die Absicht,



") 1 Mark bis 1 Mark,60 Pfennige in Eskischchir für einheimische Arbeiter, die die
ihnen fremde Arbeit zunächst nicht verstehen. ES ist natürlich der Arbeiterbednrf an der Bahn,
der bisher die Löhne so hoch getrieben hat.
Was ist uns Anatolien?

Aber selbst wenn sie alle wären wie die Mnhadschirs, die Einwandrer
aus der Balkanhalbinsel, die von Kaerger wegen ihrer Betriebsamkeit so gelobt
werden, und wenn diese so rührig und intelligent wären wie die Bauern
Deutschlands, was sie selbstverständlich nicht sind, so könnten sie doch nicht
die Niesenaufgabe bewältigen, die hier gestellt ist, wozu vielmehr ein gleichsam
amerikanischer Unternehmungsgeist gehört. Es gilt, in einem fruchtbaren Lande,
das eben erst an den Weltmarkt angeschlossen worden ist, die Bodenschätze zu
heben, nicht Gold und Silber, sondern, was besser ist, Korn. Dieses Land über¬
trifft vermutlich das Kornland Kalifornien an Fruchtbarkeit, es hat den großen
Vorzug, vor den Thoren Europas zu liegen, während jenes sein Getreide auf
dem Seeweg um Südamerika nach Liverpool schicken muß. Es teilt aber mit
Amerika den Nachteil, daß die Arbeitslöhne") hoch sind, weil es zu wenig
Menschen für die Arbeit im Lande giebt. Hier ist nur eine Betriebsart am
Platze, das ist: der moderne Großbetrieb, ich möchte sagen die industrielle
Landwirtschaft, die mit Maschinen diese breiten, leeren Thäler in Kornfelder
verwandelt und die spärlich vorhandnen Menschenkräfte so anwendet, daß der
größte Erfolg, der möglich ist, erreicht wird. Ein Dampfpslng würde in diesen
meilenweiten steinfrcien Ebnen hin- und hergehen wie ein Fährschiff in einem
ruhigen Strom. Mit guten Erntemaschinen würden dieselben Menschen eine
doppelte Ernte in kürzerer Zeit bewältigen und würden Zeit finden, die an¬
gebauten Flüchen zu erweitern.

Wer soll diese Aufgabe übernehmen? Der türkische Bauer oder die
griechischen und armenischen Kaufleute oder englisch-französische Banken, oder
haben das deutsche Kapital und die deutsche Intelligenz auch hier Lust, für ihren
und des Vaterlandes Nutzen zu arbeiten? Eigentlich läge es ja im Interesse
der Deutschen Bank, nicht andre ernten zu lassen, wo sie gesät hat. Sie hat
den Mut gehabt, für viele Millionen eine Eisenbahn ins Land zu bauen, weil
sie glaubte, daß sich dies Land entwickeln müsse, sobald es eröffnet würde.
Aber dann muß sie auch den Mut haben, mit einer oder einer halben Million
die Probe aufs Exempel zu machen, ob hier die Schätze sind, die man erwartet
hat. Hat man schon einmal einen Unternehmer gesehen, der einen Schacht
gräbt in der Hoffnung auf reiche Erzlager, und der dann unbesehen die
Förderung andern überläßt? Allerdings sind Aussichten vorhanden, daß sich
die Bahn bald voll rentirt. Zunächst bedarf sie noch der Garantiezahlungen
des Sultans. Aber nach der guten Ernte des vorigen Jahres hat die Angora-
strecke ihre Verzinsung eingebracht; von der 1896 erst eröffneten Konialinie
konnte das überhaupt uoch nicht erwartet werden. Ich habe nicht die Absicht,



") 1 Mark bis 1 Mark,60 Pfennige in Eskischchir für einheimische Arbeiter, die die
ihnen fremde Arbeit zunächst nicht verstehen. ES ist natürlich der Arbeiterbednrf an der Bahn,
der bisher die Löhne so hoch getrieben hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/594>, abgerufen am 28.07.2024.