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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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die Rentabilität des Unternehmens, wie es jetzt ist, zu bezweifeln. Ich will
nur aus akademischen Interesse folgende Fragen stellen. Welche Schnelligkeit
der Entwicklung aus eignen Kräften darf man einem orientalischen Bauern-
Volke zutrauen? Wieviel Gewinn steckt in einem solchen Unternehmen, und
welche Sicherheit der Dauer bietet der Gewinn in einem politisch und wirt¬
schaftlich unkultivirten Lande? Wie hat man es anzufangen, nicht nur eine
ausreichende Verzinsung, sondern den ganzen dem Unternehmen innewohnenden
Gewinn zu verwirklichen?

Ich glaube, daß es angebracht ist, auf die Schriften Friedrich Lifts hin¬
zuweisen, der schon vor fünfzig Jahren, als das Eisenbahnwesen noch in den
Kinderschuhen stak, gerade über dies Thema geschrieben hat. Unter dem Titel
..Eisenbahnkolonisation" hat er die Verkehrserschließung der Länder durch
Schienenwege geschildert; besonders ein Aufsatz über Unternehmungen in
Ungarn,ist unserm Thema wie auf den Leib gearbeitet. Man braucht nur
statt Ungarn immer Kleinasien zu lesen, so hat man die reichlichste Belehrung,
die um so überzeugender ist, als spätere Jahrzehnte zum Teil die Pläne aus¬
geführt haben, die jener geniale Doktor Habenichts in die Welt gesetzt hat.
Er schildert, wie in dem bisher abgeschlossenen Lande durch den Vahnbau alle
Geschäfte gewinnen. Der Land- und Bergbau dehnt sich aus, weil die Preise
steigen und die Transportkosten sinken. Die Grundwerke steigen auf das
doppelte und dreifache. Handel und Gewerbe blühen. Der Handwerkerver¬
dienst und die Arbeitslöhne werden höher. Selbst der Fiskus gewinnt an den
Steuern und Zöllen. Dabei brauchen aber freilich die Transporte auf der
Eisenbahn in einem bis dahin verkehrsarmen Lande gar nicht die Höhe zu
erreichen, die nötig ist, um das Unternehmen zu verzinsen. Es kann Jahre
und Jahrzehnte dauern, ehe die Betriebseinnahmen genügen. Allerdings hat
das große Unternehmen bedeutende wirtschaftliche Erfolge gehabt: es sind neue
Werte, neue Vermögen geschaffen, aber zum Vorteil andrer, nicht der Aktionäre,
die sich begnügen müssen mit dem Bewußtsein, ein verdienstliches Werk gethan
zu haben, ein fremdes Volk bereichert zu haben, am Fortschritt der Menschheit
gearbeitet zu haben -- wenn sie nicht vorziehen, sich eine mäßige Verzinsung
von der fremden Regierung garantiren zu lassen: eine schlechte Hilfe; denn ihr
Finanzunternehmen ist damit nicht mehr und nicht weniger als z. V. eine
türkische Staatsanleihe -- allen Unbilden der politischen Witterung des fremden
Staats ausgesetzt. Aktionäre sind aber meist nicht so uneigennützig. Darum hat
man von jeher bei großen Unternehmungen in verkehrsarmen Ländern versucht,
den Aufschwung der Geschäfte für die Verzinsung der Bahnanlage auszunutzen.
Besonders ist es die Werterhöhung des berührten Grundbesitzes gewesen, die
die Unternehmer zu eskomptiren verstanden haben.

In Amerika sind wohl keine Eisenbahnbauten ohne große Landkonzessionen
unternommen worden. Ja man berichtet, daß die Bahnen in den ersten Jahren


die Rentabilität des Unternehmens, wie es jetzt ist, zu bezweifeln. Ich will
nur aus akademischen Interesse folgende Fragen stellen. Welche Schnelligkeit
der Entwicklung aus eignen Kräften darf man einem orientalischen Bauern-
Volke zutrauen? Wieviel Gewinn steckt in einem solchen Unternehmen, und
welche Sicherheit der Dauer bietet der Gewinn in einem politisch und wirt¬
schaftlich unkultivirten Lande? Wie hat man es anzufangen, nicht nur eine
ausreichende Verzinsung, sondern den ganzen dem Unternehmen innewohnenden
Gewinn zu verwirklichen?

Ich glaube, daß es angebracht ist, auf die Schriften Friedrich Lifts hin¬
zuweisen, der schon vor fünfzig Jahren, als das Eisenbahnwesen noch in den
Kinderschuhen stak, gerade über dies Thema geschrieben hat. Unter dem Titel
..Eisenbahnkolonisation" hat er die Verkehrserschließung der Länder durch
Schienenwege geschildert; besonders ein Aufsatz über Unternehmungen in
Ungarn,ist unserm Thema wie auf den Leib gearbeitet. Man braucht nur
statt Ungarn immer Kleinasien zu lesen, so hat man die reichlichste Belehrung,
die um so überzeugender ist, als spätere Jahrzehnte zum Teil die Pläne aus¬
geführt haben, die jener geniale Doktor Habenichts in die Welt gesetzt hat.
Er schildert, wie in dem bisher abgeschlossenen Lande durch den Vahnbau alle
Geschäfte gewinnen. Der Land- und Bergbau dehnt sich aus, weil die Preise
steigen und die Transportkosten sinken. Die Grundwerke steigen auf das
doppelte und dreifache. Handel und Gewerbe blühen. Der Handwerkerver¬
dienst und die Arbeitslöhne werden höher. Selbst der Fiskus gewinnt an den
Steuern und Zöllen. Dabei brauchen aber freilich die Transporte auf der
Eisenbahn in einem bis dahin verkehrsarmen Lande gar nicht die Höhe zu
erreichen, die nötig ist, um das Unternehmen zu verzinsen. Es kann Jahre
und Jahrzehnte dauern, ehe die Betriebseinnahmen genügen. Allerdings hat
das große Unternehmen bedeutende wirtschaftliche Erfolge gehabt: es sind neue
Werte, neue Vermögen geschaffen, aber zum Vorteil andrer, nicht der Aktionäre,
die sich begnügen müssen mit dem Bewußtsein, ein verdienstliches Werk gethan
zu haben, ein fremdes Volk bereichert zu haben, am Fortschritt der Menschheit
gearbeitet zu haben — wenn sie nicht vorziehen, sich eine mäßige Verzinsung
von der fremden Regierung garantiren zu lassen: eine schlechte Hilfe; denn ihr
Finanzunternehmen ist damit nicht mehr und nicht weniger als z. V. eine
türkische Staatsanleihe — allen Unbilden der politischen Witterung des fremden
Staats ausgesetzt. Aktionäre sind aber meist nicht so uneigennützig. Darum hat
man von jeher bei großen Unternehmungen in verkehrsarmen Ländern versucht,
den Aufschwung der Geschäfte für die Verzinsung der Bahnanlage auszunutzen.
Besonders ist es die Werterhöhung des berührten Grundbesitzes gewesen, die
die Unternehmer zu eskomptiren verstanden haben.

In Amerika sind wohl keine Eisenbahnbauten ohne große Landkonzessionen
unternommen worden. Ja man berichtet, daß die Bahnen in den ersten Jahren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/595>, abgerufen am 28.07.2024.