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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Upanischads

Will der Pantheist eine brauchbare Weltansicht liefern, so muß er bei der
Darstellung des Einzelnen sein Grunddogma im Hintergründe lassen. Der indische
Gelehrte aber läßt es auf jedem einzelnen Punkte durchbrechen, sodaß eigentlich
auch schon die rein logische und philologische Arbeit der Begriffsbestimmungen
und Worterklärungen eine vergebliche Mühe ist. Die Vokale sind Indra,
Jndrci ist Rudra, und Rudra spricht: "Ich bin ewig und nicht ewig, offenbar
und nicht offenbar, Vrahman und Nichtbrahman. Ich bin östlich und westlich,
bin Süden und Norden, bin unten und oben, bin die Gegenden und Neben¬
gegenden. Ich bin männlich und sächlich und das Weibliche. Ich bin der
Schein und bin die Wahrheit. Ich bin die Kuh und die Büffelkuh," und so
fort g.ä libitum in iullnituin. Dann ist wieder der Laut Om alles: seine erste
"Mora," das a (der O-Laut wird aus a und u zusammengesetzt gedacht) ist
die Erde, ist der Rigveda, ist ein halbes Dutzend Götter, und jeder der übrigen
drei Laute (auch das in wird noch zerlegt) ist ein andrer Veda, ein andrer
Weltbestandteil, eine andre Göttergruppe. Dann sind die Götter wieder einmal
Versmetren, und die Versmetren sind Götter. Dann heißt es zur Abwechslung
einmal: "Diese Erde ist aller Wesen Honig, dieser Erde sind alle Wesen
Honig; aber was in der Erde jener kraftvolle, unsterbliche Geist ist, und was
in Beziehung auf das Selbst jener aus Körper bestehende, kraftvolle, unsterbliche
Geist ist, dieser ist eben das, was diese Seele ist; diese ist das Unsterbliche,
diese das Brahman, diese das Weltall." Dieser Spruch kehrt wörtlich noch
dreizehnmal wieder, nur daß statt Erde jedesmal ein andres Wort gesetzt wird:
Wasser, Feuer, Wind, Sonne, Himmelsgegenden, Mond, Blitz, Donner, Raum
(oder Äther), Gerechtigkeit, Wahrheit, Menschheitliches, Selbst. Also z. B.:
"Dieser Donner ist aller Wesen Honig, diesem Donner sind alle Wesen Honig;
aber was in dem Donner jener kraftvolle, unsterbliche Geist ist usw." Und
diesen Honig hat Dadhyanc, der Sohn des Atharvau, den A^pium (einem
Götterpaar) mit einem Pferdekopf verraten, den ihm diese AcMnen aufgesetzt
hatten, um seinen eignen Kopf vor Indras Zorn in Sicherheit zu bringen.

Was den poetischen Wert dieser philosophischen Dichtungen anlangt, so
trifft man ja hie und da auf ansprechende und einigemal sogar auf ergreifende
Verse, aber das sind vereinzelte Perlen in einem Wust von geschmackloser
Phantastik. Wir geben zwei Proben von Perlen, die sich auf Seite 740 und
741 finden:

Brahman, die höchste Allseele,
Des Weltalls großer Ruhepunkt,
Des Feinen Feinstes, dies Em'ge,
Du selbst bist es, und es ist du.
Im Wachen, Träumen, Tiefschlafen
Was ausgebreitet dir erscheint,
Dies Vrahman, wisse, bist selbst du --
Dann fallen alle Fesseln ub.

Die Upanischads

Will der Pantheist eine brauchbare Weltansicht liefern, so muß er bei der
Darstellung des Einzelnen sein Grunddogma im Hintergründe lassen. Der indische
Gelehrte aber läßt es auf jedem einzelnen Punkte durchbrechen, sodaß eigentlich
auch schon die rein logische und philologische Arbeit der Begriffsbestimmungen
und Worterklärungen eine vergebliche Mühe ist. Die Vokale sind Indra,
Jndrci ist Rudra, und Rudra spricht: „Ich bin ewig und nicht ewig, offenbar
und nicht offenbar, Vrahman und Nichtbrahman. Ich bin östlich und westlich,
bin Süden und Norden, bin unten und oben, bin die Gegenden und Neben¬
gegenden. Ich bin männlich und sächlich und das Weibliche. Ich bin der
Schein und bin die Wahrheit. Ich bin die Kuh und die Büffelkuh," und so
fort g.ä libitum in iullnituin. Dann ist wieder der Laut Om alles: seine erste
„Mora," das a (der O-Laut wird aus a und u zusammengesetzt gedacht) ist
die Erde, ist der Rigveda, ist ein halbes Dutzend Götter, und jeder der übrigen
drei Laute (auch das in wird noch zerlegt) ist ein andrer Veda, ein andrer
Weltbestandteil, eine andre Göttergruppe. Dann sind die Götter wieder einmal
Versmetren, und die Versmetren sind Götter. Dann heißt es zur Abwechslung
einmal: „Diese Erde ist aller Wesen Honig, dieser Erde sind alle Wesen
Honig; aber was in der Erde jener kraftvolle, unsterbliche Geist ist, und was
in Beziehung auf das Selbst jener aus Körper bestehende, kraftvolle, unsterbliche
Geist ist, dieser ist eben das, was diese Seele ist; diese ist das Unsterbliche,
diese das Brahman, diese das Weltall." Dieser Spruch kehrt wörtlich noch
dreizehnmal wieder, nur daß statt Erde jedesmal ein andres Wort gesetzt wird:
Wasser, Feuer, Wind, Sonne, Himmelsgegenden, Mond, Blitz, Donner, Raum
(oder Äther), Gerechtigkeit, Wahrheit, Menschheitliches, Selbst. Also z. B.:
„Dieser Donner ist aller Wesen Honig, diesem Donner sind alle Wesen Honig;
aber was in dem Donner jener kraftvolle, unsterbliche Geist ist usw." Und
diesen Honig hat Dadhyanc, der Sohn des Atharvau, den A^pium (einem
Götterpaar) mit einem Pferdekopf verraten, den ihm diese AcMnen aufgesetzt
hatten, um seinen eignen Kopf vor Indras Zorn in Sicherheit zu bringen.

Was den poetischen Wert dieser philosophischen Dichtungen anlangt, so
trifft man ja hie und da auf ansprechende und einigemal sogar auf ergreifende
Verse, aber das sind vereinzelte Perlen in einem Wust von geschmackloser
Phantastik. Wir geben zwei Proben von Perlen, die sich auf Seite 740 und
741 finden:

Brahman, die höchste Allseele,
Des Weltalls großer Ruhepunkt,
Des Feinen Feinstes, dies Em'ge,
Du selbst bist es, und es ist du.
Im Wachen, Träumen, Tiefschlafen
Was ausgebreitet dir erscheint,
Dies Vrahman, wisse, bist selbst du —
Dann fallen alle Fesseln ub.

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[0558] Die Upanischads Will der Pantheist eine brauchbare Weltansicht liefern, so muß er bei der Darstellung des Einzelnen sein Grunddogma im Hintergründe lassen. Der indische Gelehrte aber läßt es auf jedem einzelnen Punkte durchbrechen, sodaß eigentlich auch schon die rein logische und philologische Arbeit der Begriffsbestimmungen und Worterklärungen eine vergebliche Mühe ist. Die Vokale sind Indra, Jndrci ist Rudra, und Rudra spricht: „Ich bin ewig und nicht ewig, offenbar und nicht offenbar, Vrahman und Nichtbrahman. Ich bin östlich und westlich, bin Süden und Norden, bin unten und oben, bin die Gegenden und Neben¬ gegenden. Ich bin männlich und sächlich und das Weibliche. Ich bin der Schein und bin die Wahrheit. Ich bin die Kuh und die Büffelkuh," und so fort g.ä libitum in iullnituin. Dann ist wieder der Laut Om alles: seine erste „Mora," das a (der O-Laut wird aus a und u zusammengesetzt gedacht) ist die Erde, ist der Rigveda, ist ein halbes Dutzend Götter, und jeder der übrigen drei Laute (auch das in wird noch zerlegt) ist ein andrer Veda, ein andrer Weltbestandteil, eine andre Göttergruppe. Dann sind die Götter wieder einmal Versmetren, und die Versmetren sind Götter. Dann heißt es zur Abwechslung einmal: „Diese Erde ist aller Wesen Honig, dieser Erde sind alle Wesen Honig; aber was in der Erde jener kraftvolle, unsterbliche Geist ist, und was in Beziehung auf das Selbst jener aus Körper bestehende, kraftvolle, unsterbliche Geist ist, dieser ist eben das, was diese Seele ist; diese ist das Unsterbliche, diese das Brahman, diese das Weltall." Dieser Spruch kehrt wörtlich noch dreizehnmal wieder, nur daß statt Erde jedesmal ein andres Wort gesetzt wird: Wasser, Feuer, Wind, Sonne, Himmelsgegenden, Mond, Blitz, Donner, Raum (oder Äther), Gerechtigkeit, Wahrheit, Menschheitliches, Selbst. Also z. B.: „Dieser Donner ist aller Wesen Honig, diesem Donner sind alle Wesen Honig; aber was in dem Donner jener kraftvolle, unsterbliche Geist ist usw." Und diesen Honig hat Dadhyanc, der Sohn des Atharvau, den A^pium (einem Götterpaar) mit einem Pferdekopf verraten, den ihm diese AcMnen aufgesetzt hatten, um seinen eignen Kopf vor Indras Zorn in Sicherheit zu bringen. Was den poetischen Wert dieser philosophischen Dichtungen anlangt, so trifft man ja hie und da auf ansprechende und einigemal sogar auf ergreifende Verse, aber das sind vereinzelte Perlen in einem Wust von geschmackloser Phantastik. Wir geben zwei Proben von Perlen, die sich auf Seite 740 und 741 finden: Brahman, die höchste Allseele, Des Weltalls großer Ruhepunkt, Des Feinen Feinstes, dies Em'ge, Du selbst bist es, und es ist du. Im Wachen, Träumen, Tiefschlafen Was ausgebreitet dir erscheint, Dies Vrahman, wisse, bist selbst du — Dann fallen alle Fesseln ub.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/558>, abgerufen am 01.09.2024.