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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Upanischads

sich die indische Philosophie zur Volksreligion der Inder? Wie verhält sie sich
Zum Christentum? Wie hat sie auf das Leben gewirkt?

Von der ersten der vier Fragen glauben wir die erste Hälfte bejahen, die
zweite schon auf Grund des vorliegenden Buches verneinen zu sollen. Das
heißt also: es ist wünschenswert, daß ein Mann von allgemeiner Bildung
wisse, was die indische Philosophie lehrt, aber wenn er keine überflüssige Zeit
hat, so braucht er sich nicht aus den Quellen zu unterrichten; die Darstellung,
die die Inder ihrer Glaubenslehre gegeben haben, ist nicht derart, daß man
viel verlöre, wenn man sie ungelesen läßt. Was der Pantheismus überhaupt
zu leisten vermag, das hat er allerdings in Indien geleistet; er hat dort nicht
allein sein erstes, sondern gleich auch sein letztes Wort gesprochen, und die
Pantheistische Philosophie hat später in Europa weder mehr einen Schritt vor¬
wärts noch einen in größere Tiefe gethan, denn tiefer kann man nicht gehen
als bis dahin, wo man findet, daß alles Eins, und daß dieses Eins nichts,
daß also alles nichts ist/') Atman, die bewußte Menschenseele, ist Gott und
Weltschöpfer, ist das Wesen der Welt und hebt sich im vollendeten Menschen
selbst wieder auf, das ist der Kern der Upanischads, wie das Ich Fichtes, das
das Nichtich und damit die Welt setzt, der Kern des modernen Pantheismus ist.
Also das zu wissen gehört allerdings zur allgemeinen Bildung, aber alle die
mannigfachen Ausführungen des Gedankens in den heiligen Büchern der Inder
zu verfolgen, das lohnt, wenn man nicht als Fachgelehrter die Verpflichtung
hat, wirklich nicht die Mühe, schon nach der indischen Lehre selbst nicht. Denn
da nach dieser der Weisheit letzter Schluß die Selbstvernichtung ist, die der
Weise schon bei lebendigem Leibe durch Verzichtleistung auf Handeln, Genießen
und Denken anstreben soll, so ist es doch höchst ungereimt, den mühsamen
Umweg über die Upanischads zu nehmen; ein Trottel von vollendeter Faulheit,
der gedankenlos ins Blaue starrt, ist von Haus aus am Ziel. Die ganze
indische Gelehrsamkeit ist also eigentlich eine Folgewidrigkeit. Freilich kann
auch ein Pcmtheist der Ansicht sein -- die allermeisten sind es sehr stark --,
daß, mag auch das Dasein beim Lichte der höchsten Urvernuuft betrachtet
nichtig und wertlos erscheinen, im Helldunkel des gewöhnlichen Menschen¬
verstandes den einzelnen Daseinserscheinungen, z. B. einem Buche, das man
geschrieben hat, und worauf man sich etwas einbildet, oder einer schönen Frau,
oder einem guten Tropfen Wein, oder auch einem idealen Gute, wie dem
Vaterlande, ein relativer Wert zukomme, und daß es sich daher immerhin lohne,
vorm Versinken ins All-Nichts die einzelnen Bestandteile des trügerischen
Schleiers der Maha gesondert zu betrachten und ihre Verhältnisse zu einander
zu bestimmen. Das Eigentümliche der indischen Philosophie besteht aber gerade
darin, daß sie nicht sondert, sondern phantastisch alles ineinanderfließen läßt.



*) Ganz deutlich wird diese iiufzerste Konsequenz allerdings noch nicht in den Upanischads,
sondern erst in den Schriften der Buddhisten gezogen.
Die Upanischads

sich die indische Philosophie zur Volksreligion der Inder? Wie verhält sie sich
Zum Christentum? Wie hat sie auf das Leben gewirkt?

Von der ersten der vier Fragen glauben wir die erste Hälfte bejahen, die
zweite schon auf Grund des vorliegenden Buches verneinen zu sollen. Das
heißt also: es ist wünschenswert, daß ein Mann von allgemeiner Bildung
wisse, was die indische Philosophie lehrt, aber wenn er keine überflüssige Zeit
hat, so braucht er sich nicht aus den Quellen zu unterrichten; die Darstellung,
die die Inder ihrer Glaubenslehre gegeben haben, ist nicht derart, daß man
viel verlöre, wenn man sie ungelesen läßt. Was der Pantheismus überhaupt
zu leisten vermag, das hat er allerdings in Indien geleistet; er hat dort nicht
allein sein erstes, sondern gleich auch sein letztes Wort gesprochen, und die
Pantheistische Philosophie hat später in Europa weder mehr einen Schritt vor¬
wärts noch einen in größere Tiefe gethan, denn tiefer kann man nicht gehen
als bis dahin, wo man findet, daß alles Eins, und daß dieses Eins nichts,
daß also alles nichts ist/') Atman, die bewußte Menschenseele, ist Gott und
Weltschöpfer, ist das Wesen der Welt und hebt sich im vollendeten Menschen
selbst wieder auf, das ist der Kern der Upanischads, wie das Ich Fichtes, das
das Nichtich und damit die Welt setzt, der Kern des modernen Pantheismus ist.
Also das zu wissen gehört allerdings zur allgemeinen Bildung, aber alle die
mannigfachen Ausführungen des Gedankens in den heiligen Büchern der Inder
zu verfolgen, das lohnt, wenn man nicht als Fachgelehrter die Verpflichtung
hat, wirklich nicht die Mühe, schon nach der indischen Lehre selbst nicht. Denn
da nach dieser der Weisheit letzter Schluß die Selbstvernichtung ist, die der
Weise schon bei lebendigem Leibe durch Verzichtleistung auf Handeln, Genießen
und Denken anstreben soll, so ist es doch höchst ungereimt, den mühsamen
Umweg über die Upanischads zu nehmen; ein Trottel von vollendeter Faulheit,
der gedankenlos ins Blaue starrt, ist von Haus aus am Ziel. Die ganze
indische Gelehrsamkeit ist also eigentlich eine Folgewidrigkeit. Freilich kann
auch ein Pcmtheist der Ansicht sein — die allermeisten sind es sehr stark —,
daß, mag auch das Dasein beim Lichte der höchsten Urvernuuft betrachtet
nichtig und wertlos erscheinen, im Helldunkel des gewöhnlichen Menschen¬
verstandes den einzelnen Daseinserscheinungen, z. B. einem Buche, das man
geschrieben hat, und worauf man sich etwas einbildet, oder einer schönen Frau,
oder einem guten Tropfen Wein, oder auch einem idealen Gute, wie dem
Vaterlande, ein relativer Wert zukomme, und daß es sich daher immerhin lohne,
vorm Versinken ins All-Nichts die einzelnen Bestandteile des trügerischen
Schleiers der Maha gesondert zu betrachten und ihre Verhältnisse zu einander
zu bestimmen. Das Eigentümliche der indischen Philosophie besteht aber gerade
darin, daß sie nicht sondert, sondern phantastisch alles ineinanderfließen läßt.



*) Ganz deutlich wird diese iiufzerste Konsequenz allerdings noch nicht in den Upanischads,
sondern erst in den Schriften der Buddhisten gezogen.
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[0557] Die Upanischads sich die indische Philosophie zur Volksreligion der Inder? Wie verhält sie sich Zum Christentum? Wie hat sie auf das Leben gewirkt? Von der ersten der vier Fragen glauben wir die erste Hälfte bejahen, die zweite schon auf Grund des vorliegenden Buches verneinen zu sollen. Das heißt also: es ist wünschenswert, daß ein Mann von allgemeiner Bildung wisse, was die indische Philosophie lehrt, aber wenn er keine überflüssige Zeit hat, so braucht er sich nicht aus den Quellen zu unterrichten; die Darstellung, die die Inder ihrer Glaubenslehre gegeben haben, ist nicht derart, daß man viel verlöre, wenn man sie ungelesen läßt. Was der Pantheismus überhaupt zu leisten vermag, das hat er allerdings in Indien geleistet; er hat dort nicht allein sein erstes, sondern gleich auch sein letztes Wort gesprochen, und die Pantheistische Philosophie hat später in Europa weder mehr einen Schritt vor¬ wärts noch einen in größere Tiefe gethan, denn tiefer kann man nicht gehen als bis dahin, wo man findet, daß alles Eins, und daß dieses Eins nichts, daß also alles nichts ist/') Atman, die bewußte Menschenseele, ist Gott und Weltschöpfer, ist das Wesen der Welt und hebt sich im vollendeten Menschen selbst wieder auf, das ist der Kern der Upanischads, wie das Ich Fichtes, das das Nichtich und damit die Welt setzt, der Kern des modernen Pantheismus ist. Also das zu wissen gehört allerdings zur allgemeinen Bildung, aber alle die mannigfachen Ausführungen des Gedankens in den heiligen Büchern der Inder zu verfolgen, das lohnt, wenn man nicht als Fachgelehrter die Verpflichtung hat, wirklich nicht die Mühe, schon nach der indischen Lehre selbst nicht. Denn da nach dieser der Weisheit letzter Schluß die Selbstvernichtung ist, die der Weise schon bei lebendigem Leibe durch Verzichtleistung auf Handeln, Genießen und Denken anstreben soll, so ist es doch höchst ungereimt, den mühsamen Umweg über die Upanischads zu nehmen; ein Trottel von vollendeter Faulheit, der gedankenlos ins Blaue starrt, ist von Haus aus am Ziel. Die ganze indische Gelehrsamkeit ist also eigentlich eine Folgewidrigkeit. Freilich kann auch ein Pcmtheist der Ansicht sein — die allermeisten sind es sehr stark —, daß, mag auch das Dasein beim Lichte der höchsten Urvernuuft betrachtet nichtig und wertlos erscheinen, im Helldunkel des gewöhnlichen Menschen¬ verstandes den einzelnen Daseinserscheinungen, z. B. einem Buche, das man geschrieben hat, und worauf man sich etwas einbildet, oder einer schönen Frau, oder einem guten Tropfen Wein, oder auch einem idealen Gute, wie dem Vaterlande, ein relativer Wert zukomme, und daß es sich daher immerhin lohne, vorm Versinken ins All-Nichts die einzelnen Bestandteile des trügerischen Schleiers der Maha gesondert zu betrachten und ihre Verhältnisse zu einander zu bestimmen. Das Eigentümliche der indischen Philosophie besteht aber gerade darin, daß sie nicht sondert, sondern phantastisch alles ineinanderfließen läßt. *) Ganz deutlich wird diese iiufzerste Konsequenz allerdings noch nicht in den Upanischads, sondern erst in den Schriften der Buddhisten gezogen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/557>, abgerufen am 27.07.2024.