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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Gegen die agrarischen Übertreibungen

Schädlichkeit der Exportindustrie und der Notwendigkeit der Rückkehr zur natio¬
nalen Eigenwirtschaft und Selbstgenügsamkeit wird sich durch das, was er
bisher gesagt hat, durchaus uicht widerlegt betrachten. Man würde es sich
freilich erklären können, wenn sich Leute wie Conrad der Bekämpfung dieser
Übertreibungen gern entschlagen möchten, aber sie sollten sich nicht darüber
täuschen, daß eben diese Übertreibungen jetzt das große Wort haben, wenigstens
in Preußen, und daß sie dem Parteiagrariertume fortgesetzt die wirksamsten
Waffen zur Verwirrung der Geister und zur Bethörung der Massen, die den
Ausschlag geben, bis in die Reihe der Minister- und Regierungspräsidenten
liefern. Wer den von Wagner so warm befürworteten Theorien eines Otter-
berg und der von Schmoller selbst auf den Markt gebrachten Statistik eines
Valload nicht unmittelbar und rücksichtslos zu Leibe geht, der wird die allge¬
meine Wirkung im Kampf für die Wahrheit niemals erzielen, die heute im
Interesse der nationalen Wirtschaftspolitik unerläßlich nötig ist.

Wenn Conrad am Schlüsse seiner Ausführungen ganz gewiß mit Recht
sagt: "In Deutschland werden sicher viel leichter Boden, sowie vom Hofe sehr
entfernt gelegne Lündereien ohne jeden Reinertrag aus Mangel an richtiger
Rechnung bebaut. Die Überlassung derselben an die Forstkultur wäre volks¬
wirtschaftlich vorteilhaft, ebenso wie der Übergang zu extensiverm Betriebe in
abgelegnen magern Gegenden mit hohen Arbeitslöhnen, auch wenn dadurch die
ländliche Bevölkerung eine gewisse Einbuße erlitte. Erst wenn dieser Über¬
gang sehr bedeutende Dimensionen annähme, könnte dadurch der Agrarpolitik
des Landes eine besondre Aufgabe erwachsen" -- so verhallt das schon gegen¬
über den Lehren der einseitig chemisch-technischen Richtung und Jntensitüts-
schwürmer vollständig im Winde. Diese Lehre, soviel Unheil sie mit ihrer
Einseitigkeit seit drei Jahrzehnten angerichtet hat, soll, so scheint es, gerade
jetzt unter allen Umständen aufrecht erhalten werden, denn mit ihr steht und
fällt die Hoffnung der heutigen Grundeigentümer auf eiuen Nachfolger in der
Wirtschaft, der im Wahne, durch Steigerung der Intensität des Betriebs und
des Meliorativnscmfwands den Ertrag in iuüuiwur steigern zu können, unver¬
nünftige Kauf- und Pachtpreise bewilligt. Mit ihr steht und fällt vor allem
aber auch der wichtigste Scheingrund, mit dem die Regierungen dem Volke
höhere Getreidezölle zumuten können. Deshalb wird im agrarischen Lager
denn auch die bekannte Frage: Kann die deutsche Landwirtschaft das deutsche
Volk ernähren? mit einer ins Extreme gesteigerten Übertreibung bejaht und
oller Anbau-, Ernte- und Betriebsstatistik zum Hohn z. V. ganz neuerdings
in dem vom Bunde der Landwirte herausgegebnen "Agrarischen Handbuch" be¬
hauptet, die Grundfläche des Deutschen Reiches sei erst "reichlich zur Hülste
überhaupt bebaut" und kaum zu einem Viertel in ausgiebiger Betricbsinten-
sität landwirtschaftlich benutzt. So lange aber nicht alles Land bebaut sei
und alles bebaute Land in voller technischer Betriebsintensität bewirtschaftet


Gegen die agrarischen Übertreibungen

Schädlichkeit der Exportindustrie und der Notwendigkeit der Rückkehr zur natio¬
nalen Eigenwirtschaft und Selbstgenügsamkeit wird sich durch das, was er
bisher gesagt hat, durchaus uicht widerlegt betrachten. Man würde es sich
freilich erklären können, wenn sich Leute wie Conrad der Bekämpfung dieser
Übertreibungen gern entschlagen möchten, aber sie sollten sich nicht darüber
täuschen, daß eben diese Übertreibungen jetzt das große Wort haben, wenigstens
in Preußen, und daß sie dem Parteiagrariertume fortgesetzt die wirksamsten
Waffen zur Verwirrung der Geister und zur Bethörung der Massen, die den
Ausschlag geben, bis in die Reihe der Minister- und Regierungspräsidenten
liefern. Wer den von Wagner so warm befürworteten Theorien eines Otter-
berg und der von Schmoller selbst auf den Markt gebrachten Statistik eines
Valload nicht unmittelbar und rücksichtslos zu Leibe geht, der wird die allge¬
meine Wirkung im Kampf für die Wahrheit niemals erzielen, die heute im
Interesse der nationalen Wirtschaftspolitik unerläßlich nötig ist.

Wenn Conrad am Schlüsse seiner Ausführungen ganz gewiß mit Recht
sagt: „In Deutschland werden sicher viel leichter Boden, sowie vom Hofe sehr
entfernt gelegne Lündereien ohne jeden Reinertrag aus Mangel an richtiger
Rechnung bebaut. Die Überlassung derselben an die Forstkultur wäre volks¬
wirtschaftlich vorteilhaft, ebenso wie der Übergang zu extensiverm Betriebe in
abgelegnen magern Gegenden mit hohen Arbeitslöhnen, auch wenn dadurch die
ländliche Bevölkerung eine gewisse Einbuße erlitte. Erst wenn dieser Über¬
gang sehr bedeutende Dimensionen annähme, könnte dadurch der Agrarpolitik
des Landes eine besondre Aufgabe erwachsen" — so verhallt das schon gegen¬
über den Lehren der einseitig chemisch-technischen Richtung und Jntensitüts-
schwürmer vollständig im Winde. Diese Lehre, soviel Unheil sie mit ihrer
Einseitigkeit seit drei Jahrzehnten angerichtet hat, soll, so scheint es, gerade
jetzt unter allen Umständen aufrecht erhalten werden, denn mit ihr steht und
fällt die Hoffnung der heutigen Grundeigentümer auf eiuen Nachfolger in der
Wirtschaft, der im Wahne, durch Steigerung der Intensität des Betriebs und
des Meliorativnscmfwands den Ertrag in iuüuiwur steigern zu können, unver¬
nünftige Kauf- und Pachtpreise bewilligt. Mit ihr steht und fällt vor allem
aber auch der wichtigste Scheingrund, mit dem die Regierungen dem Volke
höhere Getreidezölle zumuten können. Deshalb wird im agrarischen Lager
denn auch die bekannte Frage: Kann die deutsche Landwirtschaft das deutsche
Volk ernähren? mit einer ins Extreme gesteigerten Übertreibung bejaht und
oller Anbau-, Ernte- und Betriebsstatistik zum Hohn z. V. ganz neuerdings
in dem vom Bunde der Landwirte herausgegebnen „Agrarischen Handbuch" be¬
hauptet, die Grundfläche des Deutschen Reiches sei erst „reichlich zur Hülste
überhaupt bebaut" und kaum zu einem Viertel in ausgiebiger Betricbsinten-
sität landwirtschaftlich benutzt. So lange aber nicht alles Land bebaut sei
und alles bebaute Land in voller technischer Betriebsintensität bewirtschaftet


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[0445] Gegen die agrarischen Übertreibungen Schädlichkeit der Exportindustrie und der Notwendigkeit der Rückkehr zur natio¬ nalen Eigenwirtschaft und Selbstgenügsamkeit wird sich durch das, was er bisher gesagt hat, durchaus uicht widerlegt betrachten. Man würde es sich freilich erklären können, wenn sich Leute wie Conrad der Bekämpfung dieser Übertreibungen gern entschlagen möchten, aber sie sollten sich nicht darüber täuschen, daß eben diese Übertreibungen jetzt das große Wort haben, wenigstens in Preußen, und daß sie dem Parteiagrariertume fortgesetzt die wirksamsten Waffen zur Verwirrung der Geister und zur Bethörung der Massen, die den Ausschlag geben, bis in die Reihe der Minister- und Regierungspräsidenten liefern. Wer den von Wagner so warm befürworteten Theorien eines Otter- berg und der von Schmoller selbst auf den Markt gebrachten Statistik eines Valload nicht unmittelbar und rücksichtslos zu Leibe geht, der wird die allge¬ meine Wirkung im Kampf für die Wahrheit niemals erzielen, die heute im Interesse der nationalen Wirtschaftspolitik unerläßlich nötig ist. Wenn Conrad am Schlüsse seiner Ausführungen ganz gewiß mit Recht sagt: „In Deutschland werden sicher viel leichter Boden, sowie vom Hofe sehr entfernt gelegne Lündereien ohne jeden Reinertrag aus Mangel an richtiger Rechnung bebaut. Die Überlassung derselben an die Forstkultur wäre volks¬ wirtschaftlich vorteilhaft, ebenso wie der Übergang zu extensiverm Betriebe in abgelegnen magern Gegenden mit hohen Arbeitslöhnen, auch wenn dadurch die ländliche Bevölkerung eine gewisse Einbuße erlitte. Erst wenn dieser Über¬ gang sehr bedeutende Dimensionen annähme, könnte dadurch der Agrarpolitik des Landes eine besondre Aufgabe erwachsen" — so verhallt das schon gegen¬ über den Lehren der einseitig chemisch-technischen Richtung und Jntensitüts- schwürmer vollständig im Winde. Diese Lehre, soviel Unheil sie mit ihrer Einseitigkeit seit drei Jahrzehnten angerichtet hat, soll, so scheint es, gerade jetzt unter allen Umständen aufrecht erhalten werden, denn mit ihr steht und fällt die Hoffnung der heutigen Grundeigentümer auf eiuen Nachfolger in der Wirtschaft, der im Wahne, durch Steigerung der Intensität des Betriebs und des Meliorativnscmfwands den Ertrag in iuüuiwur steigern zu können, unver¬ nünftige Kauf- und Pachtpreise bewilligt. Mit ihr steht und fällt vor allem aber auch der wichtigste Scheingrund, mit dem die Regierungen dem Volke höhere Getreidezölle zumuten können. Deshalb wird im agrarischen Lager denn auch die bekannte Frage: Kann die deutsche Landwirtschaft das deutsche Volk ernähren? mit einer ins Extreme gesteigerten Übertreibung bejaht und oller Anbau-, Ernte- und Betriebsstatistik zum Hohn z. V. ganz neuerdings in dem vom Bunde der Landwirte herausgegebnen „Agrarischen Handbuch" be¬ hauptet, die Grundfläche des Deutschen Reiches sei erst „reichlich zur Hülste überhaupt bebaut" und kaum zu einem Viertel in ausgiebiger Betricbsinten- sität landwirtschaftlich benutzt. So lange aber nicht alles Land bebaut sei und alles bebaute Land in voller technischer Betriebsintensität bewirtschaftet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/445>, abgerufen am 28.07.2024.