Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Staatsangehörigkeit als Mittel zu der Erhaltung des Deutschtums

verfolgt, und UM Ärgernissen im Inlande vorzubeugen, ist ja gerade der sonst
so wenig vorteilhafte Vancroftvcrtrag geschlossen worden, wonach die alte Natio¬
nalität bei neuem dauerndem Aufenthalt im Mutterlande wieder auflebt, damit
ein Deutscher sich nicht unter dem Schutze des amerikanischen Bürgerrechts
innerhalb der Neichsgrenzen seiner alten Heerespflicht entzieht. Ehefrauen der
Ausländer wird das Reich ebenso wenig wie England um ihrer deutscheu
Abkunft willen in Anspruch nehmen, da ja ihre Kinder doch dem Reiche verloren
sind. Aber ebenso wie England schwüchern Staaten gegenüber gelegentlich solche
Formfragen als Vorwand sür wichtigere Interessen aufwirft und mit Erfolg zu
Gunsten des britischen Volkstums zur Entscheidung bringt, so wäre es auch dem
Deutschtum nur vorteilhaft, wenn z. B. in Südbrasilien und Paraguay das
Reich eine solche Handhabe zum Einschreiten hätte, wo es sich um die Sühne sür
vergossenes Blut und Erstattung zerstörter und geraubter deutscher Habe handelt,
auch wenn die Betroffnen staatsrechtlich nicht mehr dem Reichsverbande an¬
gehören. Die Deutschbrasilianer hat vielfach lediglich der Umstand zu Über¬
läufern gemacht, daß sie die alte Reichsangehörigkeit verloren hatten und nun
rechtlos der brasilianischen Willkür preisgegeben waren, denn das willig ge¬
gebne brasilianische Bürgerrecht schützte sie wenigstens vor den gröbsten Aus¬
schreitungen der lusitanischen Mischlinge, die mit Vorliebe von Raub und Er¬
pressung leben. Der Schutz des Reichs und seiner Vorgänger, der einzelnen
Bundesstaaten, war auch herzlich schwach gewesen. Preußen berief sich einfach
auf das Heydtsche Edikt und das Verbot der Auswanderung nach Brasilien
und glaubte sich demnach seiner staatlichen Verpflichtung ledig. Wenn nun
auch in der diplomatischen Haltung des Reichs eine erfreuliche Wendung ein¬
getreten ist, so kann sich der staatliche Schutz doch nur auf die Reichsangehörigen
im Ausland erstrecken, aber deren Zahl ist jetzt nur noch gering.

Südbrasilien und Südafrika sind die einzigen Stellen, wo deutsche Acker¬
bausiedlungen klimatisch und politisch möglich sind. Das lose Staatenbündel
Brasiliens und der verflossene Jesuitenstaat Paraguay werden der Aufrichtung
eines deutschen Gemeinwesens unter der Oberhoheit des Reichs ebenso wenig
ein Hemmnis bereiten, wie Südafrika, das noch keineswegs endgiltig England
gehört, sondern dem Volkstum, das ohne Rücksicht auf die politische Zugehörig¬
keit dem Lande sein Gepräge aufdrücken wird. Thatsächlich ist Südafrika
noch niederdeutsch. Tritt eine Verbindung mit dem Oberdeutschtum des Reichs
ein, so kann der Sieg unsers Volkstums dort nicht zweifelhaft sein.

Es handelt sich aber nicht nur darum, dem Menschenverlust des Reichs
für die Zukunft vorzubeugen, sondern auch die bisherige Entfremdung gesetz¬
geberisch zu verhindern. Auch gegenwärtig besteht die Möglichkeit der Wieder¬
aufnahme in den deutschen Staatsverband ohne Niederlassung im Reichsgebiet.
Aber an der Wehrpflicht der Kinder scheitert häufig die Erneuerung des an¬
gestammten Volkstums auch in politischer Hinsicht. Wo sich nur irgend


Die Staatsangehörigkeit als Mittel zu der Erhaltung des Deutschtums

verfolgt, und UM Ärgernissen im Inlande vorzubeugen, ist ja gerade der sonst
so wenig vorteilhafte Vancroftvcrtrag geschlossen worden, wonach die alte Natio¬
nalität bei neuem dauerndem Aufenthalt im Mutterlande wieder auflebt, damit
ein Deutscher sich nicht unter dem Schutze des amerikanischen Bürgerrechts
innerhalb der Neichsgrenzen seiner alten Heerespflicht entzieht. Ehefrauen der
Ausländer wird das Reich ebenso wenig wie England um ihrer deutscheu
Abkunft willen in Anspruch nehmen, da ja ihre Kinder doch dem Reiche verloren
sind. Aber ebenso wie England schwüchern Staaten gegenüber gelegentlich solche
Formfragen als Vorwand sür wichtigere Interessen aufwirft und mit Erfolg zu
Gunsten des britischen Volkstums zur Entscheidung bringt, so wäre es auch dem
Deutschtum nur vorteilhaft, wenn z. B. in Südbrasilien und Paraguay das
Reich eine solche Handhabe zum Einschreiten hätte, wo es sich um die Sühne sür
vergossenes Blut und Erstattung zerstörter und geraubter deutscher Habe handelt,
auch wenn die Betroffnen staatsrechtlich nicht mehr dem Reichsverbande an¬
gehören. Die Deutschbrasilianer hat vielfach lediglich der Umstand zu Über¬
läufern gemacht, daß sie die alte Reichsangehörigkeit verloren hatten und nun
rechtlos der brasilianischen Willkür preisgegeben waren, denn das willig ge¬
gebne brasilianische Bürgerrecht schützte sie wenigstens vor den gröbsten Aus¬
schreitungen der lusitanischen Mischlinge, die mit Vorliebe von Raub und Er¬
pressung leben. Der Schutz des Reichs und seiner Vorgänger, der einzelnen
Bundesstaaten, war auch herzlich schwach gewesen. Preußen berief sich einfach
auf das Heydtsche Edikt und das Verbot der Auswanderung nach Brasilien
und glaubte sich demnach seiner staatlichen Verpflichtung ledig. Wenn nun
auch in der diplomatischen Haltung des Reichs eine erfreuliche Wendung ein¬
getreten ist, so kann sich der staatliche Schutz doch nur auf die Reichsangehörigen
im Ausland erstrecken, aber deren Zahl ist jetzt nur noch gering.

Südbrasilien und Südafrika sind die einzigen Stellen, wo deutsche Acker¬
bausiedlungen klimatisch und politisch möglich sind. Das lose Staatenbündel
Brasiliens und der verflossene Jesuitenstaat Paraguay werden der Aufrichtung
eines deutschen Gemeinwesens unter der Oberhoheit des Reichs ebenso wenig
ein Hemmnis bereiten, wie Südafrika, das noch keineswegs endgiltig England
gehört, sondern dem Volkstum, das ohne Rücksicht auf die politische Zugehörig¬
keit dem Lande sein Gepräge aufdrücken wird. Thatsächlich ist Südafrika
noch niederdeutsch. Tritt eine Verbindung mit dem Oberdeutschtum des Reichs
ein, so kann der Sieg unsers Volkstums dort nicht zweifelhaft sein.

Es handelt sich aber nicht nur darum, dem Menschenverlust des Reichs
für die Zukunft vorzubeugen, sondern auch die bisherige Entfremdung gesetz¬
geberisch zu verhindern. Auch gegenwärtig besteht die Möglichkeit der Wieder¬
aufnahme in den deutschen Staatsverband ohne Niederlassung im Reichsgebiet.
Aber an der Wehrpflicht der Kinder scheitert häufig die Erneuerung des an¬
gestammten Volkstums auch in politischer Hinsicht. Wo sich nur irgend


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228708"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Staatsangehörigkeit als Mittel zu der Erhaltung des Deutschtums</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1426" prev="#ID_1425"> verfolgt, und UM Ärgernissen im Inlande vorzubeugen, ist ja gerade der sonst<lb/>
so wenig vorteilhafte Vancroftvcrtrag geschlossen worden, wonach die alte Natio¬<lb/>
nalität bei neuem dauerndem Aufenthalt im Mutterlande wieder auflebt, damit<lb/>
ein Deutscher sich nicht unter dem Schutze des amerikanischen Bürgerrechts<lb/>
innerhalb der Neichsgrenzen seiner alten Heerespflicht entzieht. Ehefrauen der<lb/>
Ausländer wird das Reich ebenso wenig wie England um ihrer deutscheu<lb/>
Abkunft willen in Anspruch nehmen, da ja ihre Kinder doch dem Reiche verloren<lb/>
sind. Aber ebenso wie England schwüchern Staaten gegenüber gelegentlich solche<lb/>
Formfragen als Vorwand sür wichtigere Interessen aufwirft und mit Erfolg zu<lb/>
Gunsten des britischen Volkstums zur Entscheidung bringt, so wäre es auch dem<lb/>
Deutschtum nur vorteilhaft, wenn z. B. in Südbrasilien und Paraguay das<lb/>
Reich eine solche Handhabe zum Einschreiten hätte, wo es sich um die Sühne sür<lb/>
vergossenes Blut und Erstattung zerstörter und geraubter deutscher Habe handelt,<lb/>
auch wenn die Betroffnen staatsrechtlich nicht mehr dem Reichsverbande an¬<lb/>
gehören. Die Deutschbrasilianer hat vielfach lediglich der Umstand zu Über¬<lb/>
läufern gemacht, daß sie die alte Reichsangehörigkeit verloren hatten und nun<lb/>
rechtlos der brasilianischen Willkür preisgegeben waren, denn das willig ge¬<lb/>
gebne brasilianische Bürgerrecht schützte sie wenigstens vor den gröbsten Aus¬<lb/>
schreitungen der lusitanischen Mischlinge, die mit Vorliebe von Raub und Er¬<lb/>
pressung leben. Der Schutz des Reichs und seiner Vorgänger, der einzelnen<lb/>
Bundesstaaten, war auch herzlich schwach gewesen. Preußen berief sich einfach<lb/>
auf das Heydtsche Edikt und das Verbot der Auswanderung nach Brasilien<lb/>
und glaubte sich demnach seiner staatlichen Verpflichtung ledig. Wenn nun<lb/>
auch in der diplomatischen Haltung des Reichs eine erfreuliche Wendung ein¬<lb/>
getreten ist, so kann sich der staatliche Schutz doch nur auf die Reichsangehörigen<lb/>
im Ausland erstrecken, aber deren Zahl ist jetzt nur noch gering.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1427"> Südbrasilien und Südafrika sind die einzigen Stellen, wo deutsche Acker¬<lb/>
bausiedlungen klimatisch und politisch möglich sind. Das lose Staatenbündel<lb/>
Brasiliens und der verflossene Jesuitenstaat Paraguay werden der Aufrichtung<lb/>
eines deutschen Gemeinwesens unter der Oberhoheit des Reichs ebenso wenig<lb/>
ein Hemmnis bereiten, wie Südafrika, das noch keineswegs endgiltig England<lb/>
gehört, sondern dem Volkstum, das ohne Rücksicht auf die politische Zugehörig¬<lb/>
keit dem Lande sein Gepräge aufdrücken wird. Thatsächlich ist Südafrika<lb/>
noch niederdeutsch. Tritt eine Verbindung mit dem Oberdeutschtum des Reichs<lb/>
ein, so kann der Sieg unsers Volkstums dort nicht zweifelhaft sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1428" next="#ID_1429"> Es handelt sich aber nicht nur darum, dem Menschenverlust des Reichs<lb/>
für die Zukunft vorzubeugen, sondern auch die bisherige Entfremdung gesetz¬<lb/>
geberisch zu verhindern. Auch gegenwärtig besteht die Möglichkeit der Wieder¬<lb/>
aufnahme in den deutschen Staatsverband ohne Niederlassung im Reichsgebiet.<lb/>
Aber an der Wehrpflicht der Kinder scheitert häufig die Erneuerung des an¬<lb/>
gestammten Volkstums auch in politischer Hinsicht.  Wo sich nur irgend</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0406] Die Staatsangehörigkeit als Mittel zu der Erhaltung des Deutschtums verfolgt, und UM Ärgernissen im Inlande vorzubeugen, ist ja gerade der sonst so wenig vorteilhafte Vancroftvcrtrag geschlossen worden, wonach die alte Natio¬ nalität bei neuem dauerndem Aufenthalt im Mutterlande wieder auflebt, damit ein Deutscher sich nicht unter dem Schutze des amerikanischen Bürgerrechts innerhalb der Neichsgrenzen seiner alten Heerespflicht entzieht. Ehefrauen der Ausländer wird das Reich ebenso wenig wie England um ihrer deutscheu Abkunft willen in Anspruch nehmen, da ja ihre Kinder doch dem Reiche verloren sind. Aber ebenso wie England schwüchern Staaten gegenüber gelegentlich solche Formfragen als Vorwand sür wichtigere Interessen aufwirft und mit Erfolg zu Gunsten des britischen Volkstums zur Entscheidung bringt, so wäre es auch dem Deutschtum nur vorteilhaft, wenn z. B. in Südbrasilien und Paraguay das Reich eine solche Handhabe zum Einschreiten hätte, wo es sich um die Sühne sür vergossenes Blut und Erstattung zerstörter und geraubter deutscher Habe handelt, auch wenn die Betroffnen staatsrechtlich nicht mehr dem Reichsverbande an¬ gehören. Die Deutschbrasilianer hat vielfach lediglich der Umstand zu Über¬ läufern gemacht, daß sie die alte Reichsangehörigkeit verloren hatten und nun rechtlos der brasilianischen Willkür preisgegeben waren, denn das willig ge¬ gebne brasilianische Bürgerrecht schützte sie wenigstens vor den gröbsten Aus¬ schreitungen der lusitanischen Mischlinge, die mit Vorliebe von Raub und Er¬ pressung leben. Der Schutz des Reichs und seiner Vorgänger, der einzelnen Bundesstaaten, war auch herzlich schwach gewesen. Preußen berief sich einfach auf das Heydtsche Edikt und das Verbot der Auswanderung nach Brasilien und glaubte sich demnach seiner staatlichen Verpflichtung ledig. Wenn nun auch in der diplomatischen Haltung des Reichs eine erfreuliche Wendung ein¬ getreten ist, so kann sich der staatliche Schutz doch nur auf die Reichsangehörigen im Ausland erstrecken, aber deren Zahl ist jetzt nur noch gering. Südbrasilien und Südafrika sind die einzigen Stellen, wo deutsche Acker¬ bausiedlungen klimatisch und politisch möglich sind. Das lose Staatenbündel Brasiliens und der verflossene Jesuitenstaat Paraguay werden der Aufrichtung eines deutschen Gemeinwesens unter der Oberhoheit des Reichs ebenso wenig ein Hemmnis bereiten, wie Südafrika, das noch keineswegs endgiltig England gehört, sondern dem Volkstum, das ohne Rücksicht auf die politische Zugehörig¬ keit dem Lande sein Gepräge aufdrücken wird. Thatsächlich ist Südafrika noch niederdeutsch. Tritt eine Verbindung mit dem Oberdeutschtum des Reichs ein, so kann der Sieg unsers Volkstums dort nicht zweifelhaft sein. Es handelt sich aber nicht nur darum, dem Menschenverlust des Reichs für die Zukunft vorzubeugen, sondern auch die bisherige Entfremdung gesetz¬ geberisch zu verhindern. Auch gegenwärtig besteht die Möglichkeit der Wieder¬ aufnahme in den deutschen Staatsverband ohne Niederlassung im Reichsgebiet. Aber an der Wehrpflicht der Kinder scheitert häufig die Erneuerung des an¬ gestammten Volkstums auch in politischer Hinsicht. Wo sich nur irgend

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/406
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/406>, abgerufen am 28.07.2024.