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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Vermächtnis

gemeinschaft, also eine europäische Großmacht, aufzulösen, diese Millionen
von Tschechen und Slowenen, diesen klerikalen, im Grunde internationalen,
jedenfalls seiner Masse nach undeutschen Adel, diese streng katholischen
Bauernschaften in ein deutsches Reich aufzunehmen, erschien ihm als eine
Phantasterei und würde in der That die Auflösung dieses Reichs herbeiführen.
Zu demselben Schlüsse waren einst die Debatten der Paulskirche gelangt, sie
hatten nur zu dem Gedanken eines weitern, also völkerrechtlichen Bundes
zwischen Deutschland und Österreich geführt, und dies Vermächtnis der Sturm¬
jahre hat Fürst Bismarck verwirklicht, als er 1879 das Bündnis mit Öster¬
reich abschloß. Er wollte es dadurch unauflöslich machen, daß er es in ein
"Pragmatisches" verwandelte, es also durch die Parlamente beider Reiche ver¬
bürgen ließ, und es war nicht seine Schuld, daß es dazu nicht kam; er sah
in dem spätern Anschluß Italiens an dies Bündnis eine moderne Wieder¬
herstellung der Länderverbindung, die einst "die alte anspruchsvolle Kaiser-
Herrschaft der Nachfolger Karls des Großen" gebildet hatte, und sah in Österreich
den nächsten und natürlichsten Bundesgenossen sür Deutschland, nachdem die
alte Nebenbuhlerschaft aufgehoben war. Aber er war allerdings der Über¬
zeugung, daß ein slawisches, ein tschechisch-polnisches, ein feudal-klerikales
Österreich kein zuverlässiger Verbündeter für uns sei; er sagte am 15. April
1895 zu den Steiermärkcrn in Friedrichsruh: "Je stärker der Einfluß der
Deutschen in Österreich sein wird, desto sicherer werden die Beziehungen des
Deutschen Reichs zu Österreich sein." Irgendwie in die innern Kämpfe Öster¬
reichs einzugreifen hat er immer vermieden; er hat noch 1895 die Deutsch-
Österreicher nachdrücklich aufgefordert, sich in dem Gefühl ihrer innern Über¬
legenheit mit ihren slawischen Neichsgenossen möglichst zu vertragen und ihre
eignen Beziehungen zur Dynastie besonders zu pflegen. Was er darnach von
den radikal-nationalen Heißspornen im Wiener Abgeordnetenhause geurteilt hat
oder gar über die allermodernste Regierungsweisheit in Österreich, die -- weil
sie das einzige, was retten könnte, nicht thun will -- die historische Grundlage
des Staats verleugnet, den Glauben der Völker an seinen Bestand untergräbt
und damit diesen selbst erschüttert, das liegt darnach auf der Hand. Fürst
Bismarck hat einmal den österreichischen Staatsmännern den Rat gegeben,
den Schwerpunkt des Reichs nach Ofen zu verlegen, und das ist geschehen,
aber den Rat, die Westhülfte mit Polen, Tschechen und Slowenen gegen die
Deutschen zu regieren, den hat er ihnen nicht gegeben, denn das widerspricht
der Geschichte, und er wollte ein starkes Österreich. Und doch wird jetzt die
schwerste Gefahr, die der innern Auflösung, mit sehenden Augen herauf¬
beschworen, die einzige, die Österreich droht, denn Österreich kann nur durch
Österreich zu Grunde gehen.

Mit den Kräften der preußischen Monarchie, mit ihrem Heere und Be¬
amtentums hatte Fürst Bismarck die Grundlagen der deutschen Einheit ge¬
schaffen, im Widerspruch mit seinem eignen Parlament, im Gegensatz zu der


Fürst Bismarcks Vermächtnis

gemeinschaft, also eine europäische Großmacht, aufzulösen, diese Millionen
von Tschechen und Slowenen, diesen klerikalen, im Grunde internationalen,
jedenfalls seiner Masse nach undeutschen Adel, diese streng katholischen
Bauernschaften in ein deutsches Reich aufzunehmen, erschien ihm als eine
Phantasterei und würde in der That die Auflösung dieses Reichs herbeiführen.
Zu demselben Schlüsse waren einst die Debatten der Paulskirche gelangt, sie
hatten nur zu dem Gedanken eines weitern, also völkerrechtlichen Bundes
zwischen Deutschland und Österreich geführt, und dies Vermächtnis der Sturm¬
jahre hat Fürst Bismarck verwirklicht, als er 1879 das Bündnis mit Öster¬
reich abschloß. Er wollte es dadurch unauflöslich machen, daß er es in ein
„Pragmatisches" verwandelte, es also durch die Parlamente beider Reiche ver¬
bürgen ließ, und es war nicht seine Schuld, daß es dazu nicht kam; er sah
in dem spätern Anschluß Italiens an dies Bündnis eine moderne Wieder¬
herstellung der Länderverbindung, die einst „die alte anspruchsvolle Kaiser-
Herrschaft der Nachfolger Karls des Großen" gebildet hatte, und sah in Österreich
den nächsten und natürlichsten Bundesgenossen sür Deutschland, nachdem die
alte Nebenbuhlerschaft aufgehoben war. Aber er war allerdings der Über¬
zeugung, daß ein slawisches, ein tschechisch-polnisches, ein feudal-klerikales
Österreich kein zuverlässiger Verbündeter für uns sei; er sagte am 15. April
1895 zu den Steiermärkcrn in Friedrichsruh: „Je stärker der Einfluß der
Deutschen in Österreich sein wird, desto sicherer werden die Beziehungen des
Deutschen Reichs zu Österreich sein." Irgendwie in die innern Kämpfe Öster¬
reichs einzugreifen hat er immer vermieden; er hat noch 1895 die Deutsch-
Österreicher nachdrücklich aufgefordert, sich in dem Gefühl ihrer innern Über¬
legenheit mit ihren slawischen Neichsgenossen möglichst zu vertragen und ihre
eignen Beziehungen zur Dynastie besonders zu pflegen. Was er darnach von
den radikal-nationalen Heißspornen im Wiener Abgeordnetenhause geurteilt hat
oder gar über die allermodernste Regierungsweisheit in Österreich, die — weil
sie das einzige, was retten könnte, nicht thun will — die historische Grundlage
des Staats verleugnet, den Glauben der Völker an seinen Bestand untergräbt
und damit diesen selbst erschüttert, das liegt darnach auf der Hand. Fürst
Bismarck hat einmal den österreichischen Staatsmännern den Rat gegeben,
den Schwerpunkt des Reichs nach Ofen zu verlegen, und das ist geschehen,
aber den Rat, die Westhülfte mit Polen, Tschechen und Slowenen gegen die
Deutschen zu regieren, den hat er ihnen nicht gegeben, denn das widerspricht
der Geschichte, und er wollte ein starkes Österreich. Und doch wird jetzt die
schwerste Gefahr, die der innern Auflösung, mit sehenden Augen herauf¬
beschworen, die einzige, die Österreich droht, denn Österreich kann nur durch
Österreich zu Grunde gehen.

Mit den Kräften der preußischen Monarchie, mit ihrem Heere und Be¬
amtentums hatte Fürst Bismarck die Grundlagen der deutschen Einheit ge¬
schaffen, im Widerspruch mit seinem eignen Parlament, im Gegensatz zu der


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[0395] Fürst Bismarcks Vermächtnis gemeinschaft, also eine europäische Großmacht, aufzulösen, diese Millionen von Tschechen und Slowenen, diesen klerikalen, im Grunde internationalen, jedenfalls seiner Masse nach undeutschen Adel, diese streng katholischen Bauernschaften in ein deutsches Reich aufzunehmen, erschien ihm als eine Phantasterei und würde in der That die Auflösung dieses Reichs herbeiführen. Zu demselben Schlüsse waren einst die Debatten der Paulskirche gelangt, sie hatten nur zu dem Gedanken eines weitern, also völkerrechtlichen Bundes zwischen Deutschland und Österreich geführt, und dies Vermächtnis der Sturm¬ jahre hat Fürst Bismarck verwirklicht, als er 1879 das Bündnis mit Öster¬ reich abschloß. Er wollte es dadurch unauflöslich machen, daß er es in ein „Pragmatisches" verwandelte, es also durch die Parlamente beider Reiche ver¬ bürgen ließ, und es war nicht seine Schuld, daß es dazu nicht kam; er sah in dem spätern Anschluß Italiens an dies Bündnis eine moderne Wieder¬ herstellung der Länderverbindung, die einst „die alte anspruchsvolle Kaiser- Herrschaft der Nachfolger Karls des Großen" gebildet hatte, und sah in Österreich den nächsten und natürlichsten Bundesgenossen sür Deutschland, nachdem die alte Nebenbuhlerschaft aufgehoben war. Aber er war allerdings der Über¬ zeugung, daß ein slawisches, ein tschechisch-polnisches, ein feudal-klerikales Österreich kein zuverlässiger Verbündeter für uns sei; er sagte am 15. April 1895 zu den Steiermärkcrn in Friedrichsruh: „Je stärker der Einfluß der Deutschen in Österreich sein wird, desto sicherer werden die Beziehungen des Deutschen Reichs zu Österreich sein." Irgendwie in die innern Kämpfe Öster¬ reichs einzugreifen hat er immer vermieden; er hat noch 1895 die Deutsch- Österreicher nachdrücklich aufgefordert, sich in dem Gefühl ihrer innern Über¬ legenheit mit ihren slawischen Neichsgenossen möglichst zu vertragen und ihre eignen Beziehungen zur Dynastie besonders zu pflegen. Was er darnach von den radikal-nationalen Heißspornen im Wiener Abgeordnetenhause geurteilt hat oder gar über die allermodernste Regierungsweisheit in Österreich, die — weil sie das einzige, was retten könnte, nicht thun will — die historische Grundlage des Staats verleugnet, den Glauben der Völker an seinen Bestand untergräbt und damit diesen selbst erschüttert, das liegt darnach auf der Hand. Fürst Bismarck hat einmal den österreichischen Staatsmännern den Rat gegeben, den Schwerpunkt des Reichs nach Ofen zu verlegen, und das ist geschehen, aber den Rat, die Westhülfte mit Polen, Tschechen und Slowenen gegen die Deutschen zu regieren, den hat er ihnen nicht gegeben, denn das widerspricht der Geschichte, und er wollte ein starkes Österreich. Und doch wird jetzt die schwerste Gefahr, die der innern Auflösung, mit sehenden Augen herauf¬ beschworen, die einzige, die Österreich droht, denn Österreich kann nur durch Österreich zu Grunde gehen. Mit den Kräften der preußischen Monarchie, mit ihrem Heere und Be¬ amtentums hatte Fürst Bismarck die Grundlagen der deutschen Einheit ge¬ schaffen, im Widerspruch mit seinem eignen Parlament, im Gegensatz zu der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/395>, abgerufen am 28.07.2024.