Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.Fürst Lismarcks Vermächtnis sogenannten öffentlichen Meinung. Er war nicht nur ein treuer Diener seines Weil er nun im Reichstage eine solche "konstante Mehrheit" niemals Fürst Lismarcks Vermächtnis sogenannten öffentlichen Meinung. Er war nicht nur ein treuer Diener seines Weil er nun im Reichstage eine solche „konstante Mehrheit" niemals <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228698"/> <fw type="header" place="top"> Fürst Lismarcks Vermächtnis</fw><lb/> <p xml:id="ID_1405" prev="#ID_1404"> sogenannten öffentlichen Meinung. Er war nicht nur ein treuer Diener seines<lb/> Königs, sondern auch ein treuer Vasall seines Lehnsherrn, dem er sich ganz<lb/> persönlich verpflichtet fühlte; er hatte seine beste Kraft daran gesetzt, die<lb/> Unterwerfung der Krone unter die Mehrheit des Abgeordnetenhauses und<lb/> damit die Zerstörung ihrer Selbständigkeit und die Aufrichtung der Parlamcnts-<lb/> herrschaft zu verhindern. Es war ihm gelungen, und er ist auch später<lb/> gegen jeden Versuch, etwas derart im Reiche einzurichten, also z> B. gegen<lb/> Reichsministerien, aufgetreten. Aber das, was man ihm in den Jahren des<lb/> Konflikts nachsagte, ein Absolutist, das war er schlechterdings nicht. Er war<lb/> es so wenig, daß er, als nach den glänzenden Erfolgen von 1866 sehr einflu߬<lb/> reiche Männer dem Könige zu einer „Revision" der Verfassung im Sinne einer<lb/> Verstärkung der Krongewalt rieten, auf das entschiedenste widersprach und die<lb/> ausdrückliche Anerkennung der bestehenden Verfassung durch das Verlangen der<lb/> Indemnität durchsetzte. Nicht, weil er ein grundsätzlicher Gegner des Absolu¬<lb/> tismus oder ein grundsätzlicher Anhänger des Konstitutionalismus gewesen<lb/> wäre. Er sagte vielmehr am 9. Juli 1879 mit der ihm eignen Offenheit im<lb/> Reichstage: „Ich bin kein Gegner des konstitutionellen Systems, im Gegenteil,<lb/> ich halte es sür die einzig mögliche Regierungsform, aber wenn ich geglaubt<lb/> hätte, daß der Absolutismus in Preußen der Förderung des deutschen<lb/> Einigungswerkes nützlicher gewesen wäre, so würde ich ganz unbedingt und<lb/> gewissenlos zum Absolutismus geraten haben." Aber er stand eben doch<lb/> praktisch durchaus auf dem Boden der Verfassung, er schuf, weil er die Mit¬<lb/> wirkung der Volksvertretung für unentbehrlich hielt, den deutschen Reichstag<lb/> auf der denkbar breitesten Grundlage, und er hat es nach seinem Rücktritte<lb/> gelegentlich beklagt, daß der Reichstag infolge seiner Zersplitterung in kleine<lb/> eigensinnige Fraktionen und Fraktiönchen verhindert werde, „dasjenige Gleich¬<lb/> gewicht zu verwirklichen, welches unsre Verfassung zwischen Regierung und<lb/> Volk in demselben wirklich hat schaffen wollen." Denn „um nationale Politik<lb/> treiben zu können, müssen wir eine nationale Volksvertretung haben, die die<lb/> Bedürfnisse und Wünsche der Nation kennt und in erster Linie zur Richtschnur<lb/> für ihre Abstimmungen nimmt" (31. Juli 1892 in Jena).</p><lb/> <p xml:id="ID_1406" next="#ID_1407"> Weil er nun im Reichstage eine solche „konstante Mehrheit" niemals<lb/> fand, weil vielmehr auch ein guter Teil der Liberalen es für wichtiger hielt,<lb/> an der Negierung Kritik zu üben, anstatt an ihr teilzunehmen, so hat er bald<lb/> die, bald jene Partei benutzt, um zu seinem Ziele zu kommen, das ihm hoch<lb/> über allen Parteien stand. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes und<lb/> die sich daran knüpfende Gesetzgebung hat er wesentlich mit den Liberalen zu<lb/> stände gebracht, weil seine alten Parteigenossen, die Konservativen, ihm nicht<lb/> mehr solgen wollten; als ein Teil der Liberalen wegen seiner neuen Wirt¬<lb/> schafts- und Sozialpolitik von ihm abfiel, ist er auch wieder mit den Konser¬<lb/> vativen und streckenweise selbst mit dem Zentrum gegangen. Keine deutsche<lb/> Negierung wird anders verfahren können, so lange im Reichstage die konstante</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0396]
Fürst Lismarcks Vermächtnis
sogenannten öffentlichen Meinung. Er war nicht nur ein treuer Diener seines
Königs, sondern auch ein treuer Vasall seines Lehnsherrn, dem er sich ganz
persönlich verpflichtet fühlte; er hatte seine beste Kraft daran gesetzt, die
Unterwerfung der Krone unter die Mehrheit des Abgeordnetenhauses und
damit die Zerstörung ihrer Selbständigkeit und die Aufrichtung der Parlamcnts-
herrschaft zu verhindern. Es war ihm gelungen, und er ist auch später
gegen jeden Versuch, etwas derart im Reiche einzurichten, also z> B. gegen
Reichsministerien, aufgetreten. Aber das, was man ihm in den Jahren des
Konflikts nachsagte, ein Absolutist, das war er schlechterdings nicht. Er war
es so wenig, daß er, als nach den glänzenden Erfolgen von 1866 sehr einflu߬
reiche Männer dem Könige zu einer „Revision" der Verfassung im Sinne einer
Verstärkung der Krongewalt rieten, auf das entschiedenste widersprach und die
ausdrückliche Anerkennung der bestehenden Verfassung durch das Verlangen der
Indemnität durchsetzte. Nicht, weil er ein grundsätzlicher Gegner des Absolu¬
tismus oder ein grundsätzlicher Anhänger des Konstitutionalismus gewesen
wäre. Er sagte vielmehr am 9. Juli 1879 mit der ihm eignen Offenheit im
Reichstage: „Ich bin kein Gegner des konstitutionellen Systems, im Gegenteil,
ich halte es sür die einzig mögliche Regierungsform, aber wenn ich geglaubt
hätte, daß der Absolutismus in Preußen der Förderung des deutschen
Einigungswerkes nützlicher gewesen wäre, so würde ich ganz unbedingt und
gewissenlos zum Absolutismus geraten haben." Aber er stand eben doch
praktisch durchaus auf dem Boden der Verfassung, er schuf, weil er die Mit¬
wirkung der Volksvertretung für unentbehrlich hielt, den deutschen Reichstag
auf der denkbar breitesten Grundlage, und er hat es nach seinem Rücktritte
gelegentlich beklagt, daß der Reichstag infolge seiner Zersplitterung in kleine
eigensinnige Fraktionen und Fraktiönchen verhindert werde, „dasjenige Gleich¬
gewicht zu verwirklichen, welches unsre Verfassung zwischen Regierung und
Volk in demselben wirklich hat schaffen wollen." Denn „um nationale Politik
treiben zu können, müssen wir eine nationale Volksvertretung haben, die die
Bedürfnisse und Wünsche der Nation kennt und in erster Linie zur Richtschnur
für ihre Abstimmungen nimmt" (31. Juli 1892 in Jena).
Weil er nun im Reichstage eine solche „konstante Mehrheit" niemals
fand, weil vielmehr auch ein guter Teil der Liberalen es für wichtiger hielt,
an der Negierung Kritik zu üben, anstatt an ihr teilzunehmen, so hat er bald
die, bald jene Partei benutzt, um zu seinem Ziele zu kommen, das ihm hoch
über allen Parteien stand. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes und
die sich daran knüpfende Gesetzgebung hat er wesentlich mit den Liberalen zu
stände gebracht, weil seine alten Parteigenossen, die Konservativen, ihm nicht
mehr solgen wollten; als ein Teil der Liberalen wegen seiner neuen Wirt¬
schafts- und Sozialpolitik von ihm abfiel, ist er auch wieder mit den Konser¬
vativen und streckenweise selbst mit dem Zentrum gegangen. Keine deutsche
Negierung wird anders verfahren können, so lange im Reichstage die konstante
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