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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Vermächtnis

Ständigkeit brachten, und begnügte sich, wenn er das erreichen konnte, auch wohl
mit Geringeren, als er ursprünglich beabsichtigt hatte, wie 1870 in dem Ver¬
trage mit Bayern, aber er that das eben doch nur unter dieser Voraussetzung,
und das Wesentliche forderte er doch mit vollem Nachdruck. Noch oft hat er
auch nach seiner Entlassung eine schonende Behandlung einzelstaatlicher Inter¬
essen und Wünsche empfohlen, aber er würde es scharf zurückweisen, wenn
man, wie es gelegentlich geschehen ist, daraus folgern wollte, daß ihm das
augenblicklich bestehende Recht des Einzelstaats als etwas für alle Zeiten Un¬
antastbares und als Maßstab dessen, was das Reich fordern dürfe, gegolten
habe. Das Umgekehrte ist richtig: hoch über allem stand ihm das Interesse
der Nation und des Reichs, denn Reichsrecht bricht Landesrecht. Er hat auch
nach der Begründung des Reichs unablässig daran gearbeitet, die Kompetenz
des Reichs da, wo es nötig schien, zu erweitern, und wenn ihm das Reichs¬
eisenbahnprojekt und seine Monopolpläne mißlangen, so hat er doch durch seine
Finanzgesctze die Einzelstaaten zu "Kostgängern" des Reichs gemacht, und er
hat das widerstrebende Hamburg mit unwiderstehlichem Nachdruck unter die
deutsche Zolleinheit gebeugt. Ihn, wie es jüngst gelegentlich geschehen ist, als
es wieder einmal galt, Stimmung gegen den Kaiser zu machen, als Hüter und
Verfechter des Partikularismus in Anspruch zu nehmen, das ist ein unverant¬
wortlicher oder auch ein kindischer Mißbrauch einzelner seiner Äußerungen, und
es steht im schneidenden Widerspruche mit dem ganzen Geiste seiner Politik.
Was er wollte, das war ein festes Vertrauensverhältnis zwischen den Einzel-
regierungen unter einander und zu Preußen. Er vermied es deshalb, größere
Bundesstaaten in Dingen, auf die sie besondern Wert legten, im Bundesrate
einfach überstimmen zu lassen; ja er ging in der Rücksicht auf die Bundes¬
genossen so weit, daß er selbst Preußen bei dem Beschlusse über den Sitz des
Reichsgerichts majorisiren ließ. So ist ihm sein Plan in dem Maße gelungen,
daß er den Bundesrat einen festern Hort der Reichseinheit nennen durfte als den
Reichstag. "Ich habe von Anfang meiner Laufbahn an, erklärte er am 9. Juli
1879 im Reichstage bei der Debatte über den Zolltarif, nur den einen Leit¬
stern gehabt: Durch welche Mittel und auf welchem Wege kann ich Deutsch¬
land zu einer Einigung bringen, und sobald dies erreicht ist: Wie kann ich
diese Einigung befestigen, fördern und so gestalten, daß sie aus freiem Willen
aller Mitwirkenden dauernd gehalten wird?" Das ist der Kernsatz seiner ge¬
samten Reichspolitik.

Von der deutschen Einheit schloß er mit weiser Beschränkung die deutschen
Bundesländer Österreichs aus. Die Zerstörung des alten Dualismus der
beiden Großmächte durch die Verdrängung der nur halbdeutschen Macht aus
dem engern Verbände der deutschen Staaten war die unentbehrliche Vor¬
bedingung jeder bundesstaatlichen Einigung, d. h. jeder wirksamen Einigung.
Die uralte, durch eine jahrhundertelange Geschichte und die geographischen
Verhältnisse mit einander verbundne Habsburgische Länder- und Völker-


Fürst Bismarcks Vermächtnis

Ständigkeit brachten, und begnügte sich, wenn er das erreichen konnte, auch wohl
mit Geringeren, als er ursprünglich beabsichtigt hatte, wie 1870 in dem Ver¬
trage mit Bayern, aber er that das eben doch nur unter dieser Voraussetzung,
und das Wesentliche forderte er doch mit vollem Nachdruck. Noch oft hat er
auch nach seiner Entlassung eine schonende Behandlung einzelstaatlicher Inter¬
essen und Wünsche empfohlen, aber er würde es scharf zurückweisen, wenn
man, wie es gelegentlich geschehen ist, daraus folgern wollte, daß ihm das
augenblicklich bestehende Recht des Einzelstaats als etwas für alle Zeiten Un¬
antastbares und als Maßstab dessen, was das Reich fordern dürfe, gegolten
habe. Das Umgekehrte ist richtig: hoch über allem stand ihm das Interesse
der Nation und des Reichs, denn Reichsrecht bricht Landesrecht. Er hat auch
nach der Begründung des Reichs unablässig daran gearbeitet, die Kompetenz
des Reichs da, wo es nötig schien, zu erweitern, und wenn ihm das Reichs¬
eisenbahnprojekt und seine Monopolpläne mißlangen, so hat er doch durch seine
Finanzgesctze die Einzelstaaten zu „Kostgängern" des Reichs gemacht, und er
hat das widerstrebende Hamburg mit unwiderstehlichem Nachdruck unter die
deutsche Zolleinheit gebeugt. Ihn, wie es jüngst gelegentlich geschehen ist, als
es wieder einmal galt, Stimmung gegen den Kaiser zu machen, als Hüter und
Verfechter des Partikularismus in Anspruch zu nehmen, das ist ein unverant¬
wortlicher oder auch ein kindischer Mißbrauch einzelner seiner Äußerungen, und
es steht im schneidenden Widerspruche mit dem ganzen Geiste seiner Politik.
Was er wollte, das war ein festes Vertrauensverhältnis zwischen den Einzel-
regierungen unter einander und zu Preußen. Er vermied es deshalb, größere
Bundesstaaten in Dingen, auf die sie besondern Wert legten, im Bundesrate
einfach überstimmen zu lassen; ja er ging in der Rücksicht auf die Bundes¬
genossen so weit, daß er selbst Preußen bei dem Beschlusse über den Sitz des
Reichsgerichts majorisiren ließ. So ist ihm sein Plan in dem Maße gelungen,
daß er den Bundesrat einen festern Hort der Reichseinheit nennen durfte als den
Reichstag. „Ich habe von Anfang meiner Laufbahn an, erklärte er am 9. Juli
1879 im Reichstage bei der Debatte über den Zolltarif, nur den einen Leit¬
stern gehabt: Durch welche Mittel und auf welchem Wege kann ich Deutsch¬
land zu einer Einigung bringen, und sobald dies erreicht ist: Wie kann ich
diese Einigung befestigen, fördern und so gestalten, daß sie aus freiem Willen
aller Mitwirkenden dauernd gehalten wird?" Das ist der Kernsatz seiner ge¬
samten Reichspolitik.

Von der deutschen Einheit schloß er mit weiser Beschränkung die deutschen
Bundesländer Österreichs aus. Die Zerstörung des alten Dualismus der
beiden Großmächte durch die Verdrängung der nur halbdeutschen Macht aus
dem engern Verbände der deutschen Staaten war die unentbehrliche Vor¬
bedingung jeder bundesstaatlichen Einigung, d. h. jeder wirksamen Einigung.
Die uralte, durch eine jahrhundertelange Geschichte und die geographischen
Verhältnisse mit einander verbundne Habsburgische Länder- und Völker-


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[0394] Fürst Bismarcks Vermächtnis Ständigkeit brachten, und begnügte sich, wenn er das erreichen konnte, auch wohl mit Geringeren, als er ursprünglich beabsichtigt hatte, wie 1870 in dem Ver¬ trage mit Bayern, aber er that das eben doch nur unter dieser Voraussetzung, und das Wesentliche forderte er doch mit vollem Nachdruck. Noch oft hat er auch nach seiner Entlassung eine schonende Behandlung einzelstaatlicher Inter¬ essen und Wünsche empfohlen, aber er würde es scharf zurückweisen, wenn man, wie es gelegentlich geschehen ist, daraus folgern wollte, daß ihm das augenblicklich bestehende Recht des Einzelstaats als etwas für alle Zeiten Un¬ antastbares und als Maßstab dessen, was das Reich fordern dürfe, gegolten habe. Das Umgekehrte ist richtig: hoch über allem stand ihm das Interesse der Nation und des Reichs, denn Reichsrecht bricht Landesrecht. Er hat auch nach der Begründung des Reichs unablässig daran gearbeitet, die Kompetenz des Reichs da, wo es nötig schien, zu erweitern, und wenn ihm das Reichs¬ eisenbahnprojekt und seine Monopolpläne mißlangen, so hat er doch durch seine Finanzgesctze die Einzelstaaten zu „Kostgängern" des Reichs gemacht, und er hat das widerstrebende Hamburg mit unwiderstehlichem Nachdruck unter die deutsche Zolleinheit gebeugt. Ihn, wie es jüngst gelegentlich geschehen ist, als es wieder einmal galt, Stimmung gegen den Kaiser zu machen, als Hüter und Verfechter des Partikularismus in Anspruch zu nehmen, das ist ein unverant¬ wortlicher oder auch ein kindischer Mißbrauch einzelner seiner Äußerungen, und es steht im schneidenden Widerspruche mit dem ganzen Geiste seiner Politik. Was er wollte, das war ein festes Vertrauensverhältnis zwischen den Einzel- regierungen unter einander und zu Preußen. Er vermied es deshalb, größere Bundesstaaten in Dingen, auf die sie besondern Wert legten, im Bundesrate einfach überstimmen zu lassen; ja er ging in der Rücksicht auf die Bundes¬ genossen so weit, daß er selbst Preußen bei dem Beschlusse über den Sitz des Reichsgerichts majorisiren ließ. So ist ihm sein Plan in dem Maße gelungen, daß er den Bundesrat einen festern Hort der Reichseinheit nennen durfte als den Reichstag. „Ich habe von Anfang meiner Laufbahn an, erklärte er am 9. Juli 1879 im Reichstage bei der Debatte über den Zolltarif, nur den einen Leit¬ stern gehabt: Durch welche Mittel und auf welchem Wege kann ich Deutsch¬ land zu einer Einigung bringen, und sobald dies erreicht ist: Wie kann ich diese Einigung befestigen, fördern und so gestalten, daß sie aus freiem Willen aller Mitwirkenden dauernd gehalten wird?" Das ist der Kernsatz seiner ge¬ samten Reichspolitik. Von der deutschen Einheit schloß er mit weiser Beschränkung die deutschen Bundesländer Österreichs aus. Die Zerstörung des alten Dualismus der beiden Großmächte durch die Verdrängung der nur halbdeutschen Macht aus dem engern Verbände der deutschen Staaten war die unentbehrliche Vor¬ bedingung jeder bundesstaatlichen Einigung, d. h. jeder wirksamen Einigung. Die uralte, durch eine jahrhundertelange Geschichte und die geographischen Verhältnisse mit einander verbundne Habsburgische Länder- und Völker-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/394>, abgerufen am 27.07.2024.