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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

in Dingen der Religion nach dem Grundsatze: isw sunt, ut> Zisxuwnwr dem
Individuum die volle Freiheit gewahrt wissen wollte, zu dem starren Dog-
matiker Gregor giebt es kaum eine Brücke. Ebenso schroff ist der Gegensatz
der Anschauungen beider über den Staat. Cicero kämpfte und blutete für die
Ideale des bürgerlich-konstitutionellen Staats, den darnach in Rom der sich
immer mehr steigernde Absolutismus der Cäsaren verschlang. Zu Gregors
Zeiten war der Einsturz aller Ordnung unter dem Drucke des Faustrechts
soweit fortgeschritten, daß der weltliche Staat überhaupt sein Existenzrecht ver¬
wirkt zu haben schien und an seiner Stelle der schon von Augustin gepriesene
"Gottesstaat" heraufstieg, der nichts weiß von den Rechten der menschlichen
Persönlichkeit, der alles irdische Leben nur als Vorbereitung für das himm¬
lische auffaßt und die Königreiche dieser Welt zu bloßen Exekutivgewalten des
Willens der Kirche hinabdrückt. Und doch hat auch dieser "Gottesstaat" weder
die Philosophie Cieeros noch seine Sprache entbehren mögen: beide wurden in
den Klöstern der reformirten Benediktiner und Cisterzienser gelehrt. Und auch
der junge Mönch Hildebrand, der noch unter dem ersten Abte Domenico, etwa
um 1040, auf der lieblichen Fibrennsinsel weilte, war vermutlich bei Cicero
in die Schule gegangen.

Den jungen Cicero mußte ich mir inmitten dieser herrlichen Natur immer
wieder als einen von der Sonne gebräunten Knaben vorstellen mit aufgewecktein
Gesicht, wie ich so manchen bei meiner Wanderung von Sora nach Domenico
am Wege sah. Aber welche Kette innerer Entdeckungen mußte er doch durch¬
machen, ehe sein Geist sich so bereicherte, daß er die Bücher über den Staat
und über den Redner und gar erst seine seinabgetönten Briefe schreiben konnte;
Gregorovius gebraucht von ihm das schöne Bild, sein großer Verstand habe
wie ein mächtiger Strom die Bäche des Wissens seiner Zeit in sich gesammelt;
dazu kam ein gewaltiger Ehrgeiz, der ihn nach oben riß, und eine in der liebe¬
vollen Versenkung in seine heimatliche Umgebung wurzelnde Vaterlandsliebe.
Wie oft hat er sich nach den aufreibenden Geschäften und den bittern Erfah¬
rungen des öffentlichen Lebens gerade auf seinem arpinatischen Landgut Kraft
und Frische geholt, nam illo loco libönUssinre- 8oIec> Wss, Sipo Huiä insoum
ix86 ovAito si?6 <MA sorido s.ut> 1<zZo!

Bei dem ersten Besuche von San Domenico riß uns der begreifliche Wunsch,
noch vor Einbruch der Nacht Arpino zu erreichen, schneller von der idyllischen
Stätte fort, als es uns lieb war. Die Straße führt über Isola, den Mittel¬
punkt der Fabrikthätigkeit des Liristhales. Vor diesem Orte teilt sich der Liris
in zwei Arme, deren jeder vom Felsen niederstürzend einen ansehnlichen Wasser-
fall bildet; unterhalb des Ortes fließen die beiden Lirisarme wieder zusammen,
sodaß also Isola, wie der Name sagt, wirklich auf einer Insel liegt. Die
starken, auch im Sommer nicht abnehmenden Wasserkräfte des Liris und Fi-
brenus werden hier wie in San Dominico zum Betriebe von Papierfabriken


Frühlingstage am Garigliano

in Dingen der Religion nach dem Grundsatze: isw sunt, ut> Zisxuwnwr dem
Individuum die volle Freiheit gewahrt wissen wollte, zu dem starren Dog-
matiker Gregor giebt es kaum eine Brücke. Ebenso schroff ist der Gegensatz
der Anschauungen beider über den Staat. Cicero kämpfte und blutete für die
Ideale des bürgerlich-konstitutionellen Staats, den darnach in Rom der sich
immer mehr steigernde Absolutismus der Cäsaren verschlang. Zu Gregors
Zeiten war der Einsturz aller Ordnung unter dem Drucke des Faustrechts
soweit fortgeschritten, daß der weltliche Staat überhaupt sein Existenzrecht ver¬
wirkt zu haben schien und an seiner Stelle der schon von Augustin gepriesene
„Gottesstaat" heraufstieg, der nichts weiß von den Rechten der menschlichen
Persönlichkeit, der alles irdische Leben nur als Vorbereitung für das himm¬
lische auffaßt und die Königreiche dieser Welt zu bloßen Exekutivgewalten des
Willens der Kirche hinabdrückt. Und doch hat auch dieser „Gottesstaat" weder
die Philosophie Cieeros noch seine Sprache entbehren mögen: beide wurden in
den Klöstern der reformirten Benediktiner und Cisterzienser gelehrt. Und auch
der junge Mönch Hildebrand, der noch unter dem ersten Abte Domenico, etwa
um 1040, auf der lieblichen Fibrennsinsel weilte, war vermutlich bei Cicero
in die Schule gegangen.

Den jungen Cicero mußte ich mir inmitten dieser herrlichen Natur immer
wieder als einen von der Sonne gebräunten Knaben vorstellen mit aufgewecktein
Gesicht, wie ich so manchen bei meiner Wanderung von Sora nach Domenico
am Wege sah. Aber welche Kette innerer Entdeckungen mußte er doch durch¬
machen, ehe sein Geist sich so bereicherte, daß er die Bücher über den Staat
und über den Redner und gar erst seine seinabgetönten Briefe schreiben konnte;
Gregorovius gebraucht von ihm das schöne Bild, sein großer Verstand habe
wie ein mächtiger Strom die Bäche des Wissens seiner Zeit in sich gesammelt;
dazu kam ein gewaltiger Ehrgeiz, der ihn nach oben riß, und eine in der liebe¬
vollen Versenkung in seine heimatliche Umgebung wurzelnde Vaterlandsliebe.
Wie oft hat er sich nach den aufreibenden Geschäften und den bittern Erfah¬
rungen des öffentlichen Lebens gerade auf seinem arpinatischen Landgut Kraft
und Frische geholt, nam illo loco libönUssinre- 8oIec> Wss, Sipo Huiä insoum
ix86 ovAito si?6 <MA sorido s.ut> 1<zZo!

Bei dem ersten Besuche von San Domenico riß uns der begreifliche Wunsch,
noch vor Einbruch der Nacht Arpino zu erreichen, schneller von der idyllischen
Stätte fort, als es uns lieb war. Die Straße führt über Isola, den Mittel¬
punkt der Fabrikthätigkeit des Liristhales. Vor diesem Orte teilt sich der Liris
in zwei Arme, deren jeder vom Felsen niederstürzend einen ansehnlichen Wasser-
fall bildet; unterhalb des Ortes fließen die beiden Lirisarme wieder zusammen,
sodaß also Isola, wie der Name sagt, wirklich auf einer Insel liegt. Die
starken, auch im Sommer nicht abnehmenden Wasserkräfte des Liris und Fi-
brenus werden hier wie in San Dominico zum Betriebe von Papierfabriken


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[0320] Frühlingstage am Garigliano in Dingen der Religion nach dem Grundsatze: isw sunt, ut> Zisxuwnwr dem Individuum die volle Freiheit gewahrt wissen wollte, zu dem starren Dog- matiker Gregor giebt es kaum eine Brücke. Ebenso schroff ist der Gegensatz der Anschauungen beider über den Staat. Cicero kämpfte und blutete für die Ideale des bürgerlich-konstitutionellen Staats, den darnach in Rom der sich immer mehr steigernde Absolutismus der Cäsaren verschlang. Zu Gregors Zeiten war der Einsturz aller Ordnung unter dem Drucke des Faustrechts soweit fortgeschritten, daß der weltliche Staat überhaupt sein Existenzrecht ver¬ wirkt zu haben schien und an seiner Stelle der schon von Augustin gepriesene „Gottesstaat" heraufstieg, der nichts weiß von den Rechten der menschlichen Persönlichkeit, der alles irdische Leben nur als Vorbereitung für das himm¬ lische auffaßt und die Königreiche dieser Welt zu bloßen Exekutivgewalten des Willens der Kirche hinabdrückt. Und doch hat auch dieser „Gottesstaat" weder die Philosophie Cieeros noch seine Sprache entbehren mögen: beide wurden in den Klöstern der reformirten Benediktiner und Cisterzienser gelehrt. Und auch der junge Mönch Hildebrand, der noch unter dem ersten Abte Domenico, etwa um 1040, auf der lieblichen Fibrennsinsel weilte, war vermutlich bei Cicero in die Schule gegangen. Den jungen Cicero mußte ich mir inmitten dieser herrlichen Natur immer wieder als einen von der Sonne gebräunten Knaben vorstellen mit aufgewecktein Gesicht, wie ich so manchen bei meiner Wanderung von Sora nach Domenico am Wege sah. Aber welche Kette innerer Entdeckungen mußte er doch durch¬ machen, ehe sein Geist sich so bereicherte, daß er die Bücher über den Staat und über den Redner und gar erst seine seinabgetönten Briefe schreiben konnte; Gregorovius gebraucht von ihm das schöne Bild, sein großer Verstand habe wie ein mächtiger Strom die Bäche des Wissens seiner Zeit in sich gesammelt; dazu kam ein gewaltiger Ehrgeiz, der ihn nach oben riß, und eine in der liebe¬ vollen Versenkung in seine heimatliche Umgebung wurzelnde Vaterlandsliebe. Wie oft hat er sich nach den aufreibenden Geschäften und den bittern Erfah¬ rungen des öffentlichen Lebens gerade auf seinem arpinatischen Landgut Kraft und Frische geholt, nam illo loco libönUssinre- 8oIec> Wss, Sipo Huiä insoum ix86 ovAito si?6 <MA sorido s.ut> 1<zZo! Bei dem ersten Besuche von San Domenico riß uns der begreifliche Wunsch, noch vor Einbruch der Nacht Arpino zu erreichen, schneller von der idyllischen Stätte fort, als es uns lieb war. Die Straße führt über Isola, den Mittel¬ punkt der Fabrikthätigkeit des Liristhales. Vor diesem Orte teilt sich der Liris in zwei Arme, deren jeder vom Felsen niederstürzend einen ansehnlichen Wasser- fall bildet; unterhalb des Ortes fließen die beiden Lirisarme wieder zusammen, sodaß also Isola, wie der Name sagt, wirklich auf einer Insel liegt. Die starken, auch im Sommer nicht abnehmenden Wasserkräfte des Liris und Fi- brenus werden hier wie in San Dominico zum Betriebe von Papierfabriken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/320>, abgerufen am 02.09.2024.