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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

Verwandt. Doch geht diese Fabrikation keineswegs erst auf das Zeitalter
Murats zurück, wie Gregorovius meint, sondern schon in einem 1798 heraus¬
gegebnen Buche von Pistilli über die Ortschaften und Kastelle des Liris- und
Fibrenusthals ist diese Papierfabrikation als eine alteinheimische erwähnt. Das
Verdienst der Franzosen Le Febvre und Courrier bestand also wohl darin, daß
sie den Kleinbetrieb in einen Großbetrieb verwandelten und dadurch einer
größern Anzahl von Bewohnern des Liristhals Gelegenheit zum Erwerb gaben,
allerdings zu einem recht bescheidnen Erwerb; denn die Löhne, die in diesen
Fabriken gezahlt werden, lassen sich mit den bei uns üblichen gar nicht ver¬
gleichen. Gegenwärtig bestehen außer einigen kleinern Fabriken vier größere
Etablissements, die alle Arten von Papier, vornehmlich aber Druckpapier für
die italienischen Zeitungen und Tapeten hervorbringen.

übrigens hat die Fabrikthätigkeit hier weder den Charakter der Gegend
noch den der Menschen allzusehr verändert. Denn dank des Mangels an
Kohlen und dank der ausdauernden Wasserkraft sind die Papierfabriken von
Isola noch nicht zum Dampfbetriebe übergegangen, es giebt also keine rauchenden
Schlote, keinen Nuß, keine geschwärzten Gesichter. Die Scharen von Arbeitern
und Arbeiterinnen, die uns in harmloser Fröhlichkeit entgegenkamen, trugen
fast alle noch die bunte Landestracht. Viele fuhren mit Musik und Gesang
in gestrecktem Galopp auf hochrädrigen cmrriouli (elmr a, dg.no) antiker Form
die ebne Straße dahin. Von Isola steigt die Straße langsam nach dem auf
einem steilen Felsabhang gelegnen Arpino hinauf. Auch auf dieser Straße
herrschte ein muntres, vielfarbiges Leben. Sie gewährt schöne Anblicke ins
grüne Thal hinunter, auf die Olivenhaine, die sich nach Arpino hinaufziehen,
und endlich auf die Stadt selbst, die von fern einen stattlichem Eindruck macht
als im Innern. Noch vor dein antiken Stadtthor ehklopischer Bauart in
einem alten Palcizzo, unter dem die Straße hindurchführt, lag unser Gasthaus
mit dem schönen Namen Albergo della Pace. Eine breite Treppe mit Büsten
der großen Arpinaten Marius, Cieero und Agrippa geziert führt uns in den
großen Speisesaal. Er würde mit seinem schönen Deckenbilde al trösoo, Diana
im Bade von Aktäon belauscht, einem Grafenschlosse Ehre machen, wenn nur
uicht die übrige Ausstattung so dürftig und zerschlissen wäre. Auch mit dem
"Frieden" war es nicht so recht bestellt. Denn da im Erdgeschoß und auf
der Treppe ein ursprünglicher Weinschank war, so störte uns bis tief in die
Nacht das Geschwätz der zechenden Arpinaten, und als dieses verstummte,
ließen die zahlreichen xuloi keinen recht friedlichen Schlummer aufkommen. Um
so mehr erquickte uns der junge Tag mit einem herrlichen Sonnenaufgang.
Dieser zweite Tag sollte aber nicht der Besichtigung von Arpino gewidmet
sein, die ich vielmehr auf einen zweiten Besuch verschob, sondern einer Fahrt
westwärts in die Berge der Herniker hinein, deren Anblick bei scheidender und
aufgehender Sonne unser Verlangen geweckt hatte.


Grenzboten III 1808 40
Frühlingstage am Garigliano

Verwandt. Doch geht diese Fabrikation keineswegs erst auf das Zeitalter
Murats zurück, wie Gregorovius meint, sondern schon in einem 1798 heraus¬
gegebnen Buche von Pistilli über die Ortschaften und Kastelle des Liris- und
Fibrenusthals ist diese Papierfabrikation als eine alteinheimische erwähnt. Das
Verdienst der Franzosen Le Febvre und Courrier bestand also wohl darin, daß
sie den Kleinbetrieb in einen Großbetrieb verwandelten und dadurch einer
größern Anzahl von Bewohnern des Liristhals Gelegenheit zum Erwerb gaben,
allerdings zu einem recht bescheidnen Erwerb; denn die Löhne, die in diesen
Fabriken gezahlt werden, lassen sich mit den bei uns üblichen gar nicht ver¬
gleichen. Gegenwärtig bestehen außer einigen kleinern Fabriken vier größere
Etablissements, die alle Arten von Papier, vornehmlich aber Druckpapier für
die italienischen Zeitungen und Tapeten hervorbringen.

übrigens hat die Fabrikthätigkeit hier weder den Charakter der Gegend
noch den der Menschen allzusehr verändert. Denn dank des Mangels an
Kohlen und dank der ausdauernden Wasserkraft sind die Papierfabriken von
Isola noch nicht zum Dampfbetriebe übergegangen, es giebt also keine rauchenden
Schlote, keinen Nuß, keine geschwärzten Gesichter. Die Scharen von Arbeitern
und Arbeiterinnen, die uns in harmloser Fröhlichkeit entgegenkamen, trugen
fast alle noch die bunte Landestracht. Viele fuhren mit Musik und Gesang
in gestrecktem Galopp auf hochrädrigen cmrriouli (elmr a, dg.no) antiker Form
die ebne Straße dahin. Von Isola steigt die Straße langsam nach dem auf
einem steilen Felsabhang gelegnen Arpino hinauf. Auch auf dieser Straße
herrschte ein muntres, vielfarbiges Leben. Sie gewährt schöne Anblicke ins
grüne Thal hinunter, auf die Olivenhaine, die sich nach Arpino hinaufziehen,
und endlich auf die Stadt selbst, die von fern einen stattlichem Eindruck macht
als im Innern. Noch vor dein antiken Stadtthor ehklopischer Bauart in
einem alten Palcizzo, unter dem die Straße hindurchführt, lag unser Gasthaus
mit dem schönen Namen Albergo della Pace. Eine breite Treppe mit Büsten
der großen Arpinaten Marius, Cieero und Agrippa geziert führt uns in den
großen Speisesaal. Er würde mit seinem schönen Deckenbilde al trösoo, Diana
im Bade von Aktäon belauscht, einem Grafenschlosse Ehre machen, wenn nur
uicht die übrige Ausstattung so dürftig und zerschlissen wäre. Auch mit dem
»Frieden" war es nicht so recht bestellt. Denn da im Erdgeschoß und auf
der Treppe ein ursprünglicher Weinschank war, so störte uns bis tief in die
Nacht das Geschwätz der zechenden Arpinaten, und als dieses verstummte,
ließen die zahlreichen xuloi keinen recht friedlichen Schlummer aufkommen. Um
so mehr erquickte uns der junge Tag mit einem herrlichen Sonnenaufgang.
Dieser zweite Tag sollte aber nicht der Besichtigung von Arpino gewidmet
sein, die ich vielmehr auf einen zweiten Besuch verschob, sondern einer Fahrt
westwärts in die Berge der Herniker hinein, deren Anblick bei scheidender und
aufgehender Sonne unser Verlangen geweckt hatte.


Grenzboten III 1808 40
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[0321] Frühlingstage am Garigliano Verwandt. Doch geht diese Fabrikation keineswegs erst auf das Zeitalter Murats zurück, wie Gregorovius meint, sondern schon in einem 1798 heraus¬ gegebnen Buche von Pistilli über die Ortschaften und Kastelle des Liris- und Fibrenusthals ist diese Papierfabrikation als eine alteinheimische erwähnt. Das Verdienst der Franzosen Le Febvre und Courrier bestand also wohl darin, daß sie den Kleinbetrieb in einen Großbetrieb verwandelten und dadurch einer größern Anzahl von Bewohnern des Liristhals Gelegenheit zum Erwerb gaben, allerdings zu einem recht bescheidnen Erwerb; denn die Löhne, die in diesen Fabriken gezahlt werden, lassen sich mit den bei uns üblichen gar nicht ver¬ gleichen. Gegenwärtig bestehen außer einigen kleinern Fabriken vier größere Etablissements, die alle Arten von Papier, vornehmlich aber Druckpapier für die italienischen Zeitungen und Tapeten hervorbringen. übrigens hat die Fabrikthätigkeit hier weder den Charakter der Gegend noch den der Menschen allzusehr verändert. Denn dank des Mangels an Kohlen und dank der ausdauernden Wasserkraft sind die Papierfabriken von Isola noch nicht zum Dampfbetriebe übergegangen, es giebt also keine rauchenden Schlote, keinen Nuß, keine geschwärzten Gesichter. Die Scharen von Arbeitern und Arbeiterinnen, die uns in harmloser Fröhlichkeit entgegenkamen, trugen fast alle noch die bunte Landestracht. Viele fuhren mit Musik und Gesang in gestrecktem Galopp auf hochrädrigen cmrriouli (elmr a, dg.no) antiker Form die ebne Straße dahin. Von Isola steigt die Straße langsam nach dem auf einem steilen Felsabhang gelegnen Arpino hinauf. Auch auf dieser Straße herrschte ein muntres, vielfarbiges Leben. Sie gewährt schöne Anblicke ins grüne Thal hinunter, auf die Olivenhaine, die sich nach Arpino hinaufziehen, und endlich auf die Stadt selbst, die von fern einen stattlichem Eindruck macht als im Innern. Noch vor dein antiken Stadtthor ehklopischer Bauart in einem alten Palcizzo, unter dem die Straße hindurchführt, lag unser Gasthaus mit dem schönen Namen Albergo della Pace. Eine breite Treppe mit Büsten der großen Arpinaten Marius, Cieero und Agrippa geziert führt uns in den großen Speisesaal. Er würde mit seinem schönen Deckenbilde al trösoo, Diana im Bade von Aktäon belauscht, einem Grafenschlosse Ehre machen, wenn nur uicht die übrige Ausstattung so dürftig und zerschlissen wäre. Auch mit dem »Frieden" war es nicht so recht bestellt. Denn da im Erdgeschoß und auf der Treppe ein ursprünglicher Weinschank war, so störte uns bis tief in die Nacht das Geschwätz der zechenden Arpinaten, und als dieses verstummte, ließen die zahlreichen xuloi keinen recht friedlichen Schlummer aufkommen. Um so mehr erquickte uns der junge Tag mit einem herrlichen Sonnenaufgang. Dieser zweite Tag sollte aber nicht der Besichtigung von Arpino gewidmet sein, die ich vielmehr auf einen zweiten Besuch verschob, sondern einer Fahrt westwärts in die Berge der Herniker hinein, deren Anblick bei scheidender und aufgehender Sonne unser Verlangen geweckt hatte. Grenzboten III 1808 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/321>, abgerufen am 28.07.2024.