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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

andächtigen Herzens, denn wir standen auf geweihtem Boden. Hier lag das
väterliche Gut Ciceros, auf dem dieser große Lehrmeister der Menschheit
106 v. Chr. geboren wurde. Er sagt es selbst in dem anmutigen Eingange
zum zweiten Buche des Gesprächs "über die Gesetze." Atticus, Quintus und
Marcus Cieero wandeln von der "Mariuseiche," wo das Gespräch des ersten
Buchs stattgefunden haben soll, zu einer Fibrennsinsel, die etwas weiter aus¬
wärts liegt. Dabei Passiren sie die Stelle, wo sich der Fibrenus und Liris
vereinigen, und von dieser sagt Cicero: "Hier ist meine und meines Bruders
wahre Heimat; denn hier sind wir beide geboren aus uraltem Stamm; hier
liegen unsre Heiligtümer, hier unsre Ahnen, hier finden sich zahlreiche Spuren
unsrer Vorfahren. Das Landhaus, wie du es jetzt vor dir siehst, hat mein
Vater mit vieler Mühe schöner aufgebaut und hat, kränklich, wie er war, hier
fast sein ganzes Leben mit wissenschaftlichen Studien zugebracht; als ich hier
geboren wurde, lebte mein Großvater noch, und damals war das Haus nach
altem Brauch noch klein, wie das des Curius Dentatus im Sabinerlcmde.
So kommt es, daß mich eine geheimnisvolle Macht der Seele diese Scholle
vielleicht über Gebühr lieben läßt; aber auch Odysseus wollte doch lieber Ithaka
wiedersehen, als unsterblich sein."

Nicht weit von der Stelle, auf die sich diese schönen Worte beziehen, liegt
jetzt ein kleines Gotteshaus samt einem Kloster an der Straße: San Domenico.
Gregorvvius sagt: "Die gotische Kirche liegt jetzt in Trümmern, und das
Kloster hat nichts merkwürdiges mehr; nur die Erinnerung macht es zu einer
Stelle, an der man gern verweilt." Hier muß ein Irrtum vorliegen. Ich
fand die Kirche wohl erhalten und konnte auch nichts darüber erfahren, daß
sie vor vierzig Jahren zerstört gewesen sei. Dagegen spricht schon die wohl-
erhaltne romanische Fassade und die unverändert romanische Anlage des Innern.
Nur die Vorhalle ist bis auf einen Bogenrest verschwunden. Der Bau er¬
innert in vielen Stücken an San Miniato bei Florenz und ist auch aus der¬
selben Zeit, nur daß statt der graziösen Säulen der toskanischen Basilika hier
Plumpe Pfeiler verwandt oder bei einer Restaurirung eingezogen worden sind.
Zwei Treppen führen zum hohen Chor; unter ihm liegt, ganz wie in San
Miniato, eine von verschiedenartigen antiken Säulen getragne Krypta. Neben
der Kirche liegen die einfachen Räume des Klosters, und dahinter, von Fibrenus-
"rnen umflossen, der stille, grüne Klostergarten.

Als ich auch hierher im Mai noch einmal zurückkehrte und mit Hilfe
eines Laienbruders und zweier Bauern alle die im Kloster und der Kirche ver¬
bauten antiken Elemente genauer untersuchte, weilte ich länger in den erinne¬
rungsreichen Räumen. Da stieg vor meinem Geiste neben Cicero noch eine
andre Gestalt herauf, die einst über diese schönen Gefilde wandelte: der ge¬
waltige, finstere Organisator der abendländischen Hierarchie, Papst Gregor VII.
Von der milden Gestalt Ciceros, der Verkörperung der antiken Humanität, der


Frühlingstage am Garigliano

andächtigen Herzens, denn wir standen auf geweihtem Boden. Hier lag das
väterliche Gut Ciceros, auf dem dieser große Lehrmeister der Menschheit
106 v. Chr. geboren wurde. Er sagt es selbst in dem anmutigen Eingange
zum zweiten Buche des Gesprächs „über die Gesetze." Atticus, Quintus und
Marcus Cieero wandeln von der „Mariuseiche," wo das Gespräch des ersten
Buchs stattgefunden haben soll, zu einer Fibrennsinsel, die etwas weiter aus¬
wärts liegt. Dabei Passiren sie die Stelle, wo sich der Fibrenus und Liris
vereinigen, und von dieser sagt Cicero: „Hier ist meine und meines Bruders
wahre Heimat; denn hier sind wir beide geboren aus uraltem Stamm; hier
liegen unsre Heiligtümer, hier unsre Ahnen, hier finden sich zahlreiche Spuren
unsrer Vorfahren. Das Landhaus, wie du es jetzt vor dir siehst, hat mein
Vater mit vieler Mühe schöner aufgebaut und hat, kränklich, wie er war, hier
fast sein ganzes Leben mit wissenschaftlichen Studien zugebracht; als ich hier
geboren wurde, lebte mein Großvater noch, und damals war das Haus nach
altem Brauch noch klein, wie das des Curius Dentatus im Sabinerlcmde.
So kommt es, daß mich eine geheimnisvolle Macht der Seele diese Scholle
vielleicht über Gebühr lieben läßt; aber auch Odysseus wollte doch lieber Ithaka
wiedersehen, als unsterblich sein."

Nicht weit von der Stelle, auf die sich diese schönen Worte beziehen, liegt
jetzt ein kleines Gotteshaus samt einem Kloster an der Straße: San Domenico.
Gregorvvius sagt: „Die gotische Kirche liegt jetzt in Trümmern, und das
Kloster hat nichts merkwürdiges mehr; nur die Erinnerung macht es zu einer
Stelle, an der man gern verweilt." Hier muß ein Irrtum vorliegen. Ich
fand die Kirche wohl erhalten und konnte auch nichts darüber erfahren, daß
sie vor vierzig Jahren zerstört gewesen sei. Dagegen spricht schon die wohl-
erhaltne romanische Fassade und die unverändert romanische Anlage des Innern.
Nur die Vorhalle ist bis auf einen Bogenrest verschwunden. Der Bau er¬
innert in vielen Stücken an San Miniato bei Florenz und ist auch aus der¬
selben Zeit, nur daß statt der graziösen Säulen der toskanischen Basilika hier
Plumpe Pfeiler verwandt oder bei einer Restaurirung eingezogen worden sind.
Zwei Treppen führen zum hohen Chor; unter ihm liegt, ganz wie in San
Miniato, eine von verschiedenartigen antiken Säulen getragne Krypta. Neben
der Kirche liegen die einfachen Räume des Klosters, und dahinter, von Fibrenus-
"rnen umflossen, der stille, grüne Klostergarten.

Als ich auch hierher im Mai noch einmal zurückkehrte und mit Hilfe
eines Laienbruders und zweier Bauern alle die im Kloster und der Kirche ver¬
bauten antiken Elemente genauer untersuchte, weilte ich länger in den erinne¬
rungsreichen Räumen. Da stieg vor meinem Geiste neben Cicero noch eine
andre Gestalt herauf, die einst über diese schönen Gefilde wandelte: der ge¬
waltige, finstere Organisator der abendländischen Hierarchie, Papst Gregor VII.
Von der milden Gestalt Ciceros, der Verkörperung der antiken Humanität, der


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[0319] Frühlingstage am Garigliano andächtigen Herzens, denn wir standen auf geweihtem Boden. Hier lag das väterliche Gut Ciceros, auf dem dieser große Lehrmeister der Menschheit 106 v. Chr. geboren wurde. Er sagt es selbst in dem anmutigen Eingange zum zweiten Buche des Gesprächs „über die Gesetze." Atticus, Quintus und Marcus Cieero wandeln von der „Mariuseiche," wo das Gespräch des ersten Buchs stattgefunden haben soll, zu einer Fibrennsinsel, die etwas weiter aus¬ wärts liegt. Dabei Passiren sie die Stelle, wo sich der Fibrenus und Liris vereinigen, und von dieser sagt Cicero: „Hier ist meine und meines Bruders wahre Heimat; denn hier sind wir beide geboren aus uraltem Stamm; hier liegen unsre Heiligtümer, hier unsre Ahnen, hier finden sich zahlreiche Spuren unsrer Vorfahren. Das Landhaus, wie du es jetzt vor dir siehst, hat mein Vater mit vieler Mühe schöner aufgebaut und hat, kränklich, wie er war, hier fast sein ganzes Leben mit wissenschaftlichen Studien zugebracht; als ich hier geboren wurde, lebte mein Großvater noch, und damals war das Haus nach altem Brauch noch klein, wie das des Curius Dentatus im Sabinerlcmde. So kommt es, daß mich eine geheimnisvolle Macht der Seele diese Scholle vielleicht über Gebühr lieben läßt; aber auch Odysseus wollte doch lieber Ithaka wiedersehen, als unsterblich sein." Nicht weit von der Stelle, auf die sich diese schönen Worte beziehen, liegt jetzt ein kleines Gotteshaus samt einem Kloster an der Straße: San Domenico. Gregorvvius sagt: „Die gotische Kirche liegt jetzt in Trümmern, und das Kloster hat nichts merkwürdiges mehr; nur die Erinnerung macht es zu einer Stelle, an der man gern verweilt." Hier muß ein Irrtum vorliegen. Ich fand die Kirche wohl erhalten und konnte auch nichts darüber erfahren, daß sie vor vierzig Jahren zerstört gewesen sei. Dagegen spricht schon die wohl- erhaltne romanische Fassade und die unverändert romanische Anlage des Innern. Nur die Vorhalle ist bis auf einen Bogenrest verschwunden. Der Bau er¬ innert in vielen Stücken an San Miniato bei Florenz und ist auch aus der¬ selben Zeit, nur daß statt der graziösen Säulen der toskanischen Basilika hier Plumpe Pfeiler verwandt oder bei einer Restaurirung eingezogen worden sind. Zwei Treppen führen zum hohen Chor; unter ihm liegt, ganz wie in San Miniato, eine von verschiedenartigen antiken Säulen getragne Krypta. Neben der Kirche liegen die einfachen Räume des Klosters, und dahinter, von Fibrenus- "rnen umflossen, der stille, grüne Klostergarten. Als ich auch hierher im Mai noch einmal zurückkehrte und mit Hilfe eines Laienbruders und zweier Bauern alle die im Kloster und der Kirche ver¬ bauten antiken Elemente genauer untersuchte, weilte ich länger in den erinne¬ rungsreichen Räumen. Da stieg vor meinem Geiste neben Cicero noch eine andre Gestalt herauf, die einst über diese schönen Gefilde wandelte: der ge¬ waltige, finstere Organisator der abendländischen Hierarchie, Papst Gregor VII. Von der milden Gestalt Ciceros, der Verkörperung der antiken Humanität, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/319>, abgerufen am 28.07.2024.