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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die große Runstcmsstellung in Berlin

duktion verschuldet haben. Allmählich werden auch naive Kunstkenner gewahr,
daß den feinen Miniaturmalern ihre verblüffenden Farbenkunststücke nicht allzu
schwer fallen können, wenn sie so viele auf den Markt bringen, und daß selbst
bei einem wirklich bedeutenden Künstler wie Benlliure y Gil die äußere Routine
die Innerlichkeit der Empfindung weit überwiegt. Und wir leben doch nun
einmal in einer Zeit, in der auch vom Künstler verlangt wird, daß er das
Innere seiner Menschen dem Beschauer so bloßlegt, wie der Entdecker der
T-Strahlen das Knochengerüst und die Weichteile im lebenden Körper. Auch
die zu einem unvernünftig großen Umfang gesteigerten Genrebilder der Spanier
aus ihrem Volksleben machen keinen Eindruck mehr, weil hier an die Stelle der
ursprünglichen Feinmalerei eine grobe dekorative Behandlung getreten ist. Ein
unerfreuliches Beispiel dafür bietet ein Zug von berittnen Wallfahrern, der
auf einer staubigen Landstraße dem Beschauer gerade entgegenzukommen scheint.
Der Maler, Viniegra h Lasso, hat sonst zu denen gehört, die mau mit Pradilla,
Villegas und Benlliure zusammen nannte.

Besonnener und solider sind doch die Engländer, die, wenn uns auch diese
Nation aus vielen Gründen zuwider ist, uns doch in vielen Dingen als Vor¬
bild dienen sollten, besonders im Beharren am eignen Wesen. Gerade dieses
Wesen ist der Mehrzahl unsers Volkes unverständlich, und es schadet auch
ganz und gar nicht, daß es so bleibt. Wir wollen keine englischen Möbel und
Tapeten, und wir wollen auch nicht die Malereien von Burne-Jones und Walter
Creme, was die deutschen Neiseprediger auch reden mögen. Burne-Jones ist
ein Träumer, der aber für seine angeblich neuen Gedanken auch nur die alten
Formen der italienischen Maler des fünfzehnten Jahrhunderts gefunden hat,
und Creme hat sich aus dem Studium der Antike, der Florentiner des fünf¬
zehnten und der Hellmalerei des neunzehnten Jahrhunderts einen Stil zurecht
gemacht, der wohl kranke Gemüter einigermaßen erheben, aber starke keines¬
wegs befriedigen kann. Seine in Berlin ausgestellten "Schwanenjungfiauen,"
Mädchen, die man wohl in gleicher Größe, aber selten in gleicher Körperfülle
in England findet, dürfen, obgleich sie schon vor vier Jahren gemalt worden
sind, als ein Muster seiner Malerei gelten. Es sind blutleere Gestalten, Köpfe
ohne Ausdruck und Seelenleben, und wenn mau sieht, wie die nackten Mädchen
nach dem Bade im Teich in das abgelegte Schwcmengefieder hineinkriechen,
wird man die Empfindung nicht los, daß hier ein ungenirter Maskenball im
Freien seinen Abschluß gefunden hat. Ein andrer englischer Maler, der in
seinem Vaterlande beinahe so hoch geehrt wird wie Creme, Robert Fowler,
ist mit vier Bildern erschienen, auf denen er die Natur, die gegenwärtige
Menschheit und den antiken Götterhimmel mit gleicher Liebe, aber auch mit
gleicher Neigung für nebelhafte Verschleierung aller Formen umfaßt. Man
sieht auf einem Schiffsverdeck einen alten Matrosen im Kreise jüngerer Ge¬
fährten während ruhiger Meeresfahrt, mau sieht einen Hügel, auf dem Apollo


Die große Runstcmsstellung in Berlin

duktion verschuldet haben. Allmählich werden auch naive Kunstkenner gewahr,
daß den feinen Miniaturmalern ihre verblüffenden Farbenkunststücke nicht allzu
schwer fallen können, wenn sie so viele auf den Markt bringen, und daß selbst
bei einem wirklich bedeutenden Künstler wie Benlliure y Gil die äußere Routine
die Innerlichkeit der Empfindung weit überwiegt. Und wir leben doch nun
einmal in einer Zeit, in der auch vom Künstler verlangt wird, daß er das
Innere seiner Menschen dem Beschauer so bloßlegt, wie der Entdecker der
T-Strahlen das Knochengerüst und die Weichteile im lebenden Körper. Auch
die zu einem unvernünftig großen Umfang gesteigerten Genrebilder der Spanier
aus ihrem Volksleben machen keinen Eindruck mehr, weil hier an die Stelle der
ursprünglichen Feinmalerei eine grobe dekorative Behandlung getreten ist. Ein
unerfreuliches Beispiel dafür bietet ein Zug von berittnen Wallfahrern, der
auf einer staubigen Landstraße dem Beschauer gerade entgegenzukommen scheint.
Der Maler, Viniegra h Lasso, hat sonst zu denen gehört, die mau mit Pradilla,
Villegas und Benlliure zusammen nannte.

Besonnener und solider sind doch die Engländer, die, wenn uns auch diese
Nation aus vielen Gründen zuwider ist, uns doch in vielen Dingen als Vor¬
bild dienen sollten, besonders im Beharren am eignen Wesen. Gerade dieses
Wesen ist der Mehrzahl unsers Volkes unverständlich, und es schadet auch
ganz und gar nicht, daß es so bleibt. Wir wollen keine englischen Möbel und
Tapeten, und wir wollen auch nicht die Malereien von Burne-Jones und Walter
Creme, was die deutschen Neiseprediger auch reden mögen. Burne-Jones ist
ein Träumer, der aber für seine angeblich neuen Gedanken auch nur die alten
Formen der italienischen Maler des fünfzehnten Jahrhunderts gefunden hat,
und Creme hat sich aus dem Studium der Antike, der Florentiner des fünf¬
zehnten und der Hellmalerei des neunzehnten Jahrhunderts einen Stil zurecht
gemacht, der wohl kranke Gemüter einigermaßen erheben, aber starke keines¬
wegs befriedigen kann. Seine in Berlin ausgestellten „Schwanenjungfiauen,"
Mädchen, die man wohl in gleicher Größe, aber selten in gleicher Körperfülle
in England findet, dürfen, obgleich sie schon vor vier Jahren gemalt worden
sind, als ein Muster seiner Malerei gelten. Es sind blutleere Gestalten, Köpfe
ohne Ausdruck und Seelenleben, und wenn mau sieht, wie die nackten Mädchen
nach dem Bade im Teich in das abgelegte Schwcmengefieder hineinkriechen,
wird man die Empfindung nicht los, daß hier ein ungenirter Maskenball im
Freien seinen Abschluß gefunden hat. Ein andrer englischer Maler, der in
seinem Vaterlande beinahe so hoch geehrt wird wie Creme, Robert Fowler,
ist mit vier Bildern erschienen, auf denen er die Natur, die gegenwärtige
Menschheit und den antiken Götterhimmel mit gleicher Liebe, aber auch mit
gleicher Neigung für nebelhafte Verschleierung aller Formen umfaßt. Man
sieht auf einem Schiffsverdeck einen alten Matrosen im Kreise jüngerer Ge¬
fährten während ruhiger Meeresfahrt, mau sieht einen Hügel, auf dem Apollo


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[0032] Die große Runstcmsstellung in Berlin duktion verschuldet haben. Allmählich werden auch naive Kunstkenner gewahr, daß den feinen Miniaturmalern ihre verblüffenden Farbenkunststücke nicht allzu schwer fallen können, wenn sie so viele auf den Markt bringen, und daß selbst bei einem wirklich bedeutenden Künstler wie Benlliure y Gil die äußere Routine die Innerlichkeit der Empfindung weit überwiegt. Und wir leben doch nun einmal in einer Zeit, in der auch vom Künstler verlangt wird, daß er das Innere seiner Menschen dem Beschauer so bloßlegt, wie der Entdecker der T-Strahlen das Knochengerüst und die Weichteile im lebenden Körper. Auch die zu einem unvernünftig großen Umfang gesteigerten Genrebilder der Spanier aus ihrem Volksleben machen keinen Eindruck mehr, weil hier an die Stelle der ursprünglichen Feinmalerei eine grobe dekorative Behandlung getreten ist. Ein unerfreuliches Beispiel dafür bietet ein Zug von berittnen Wallfahrern, der auf einer staubigen Landstraße dem Beschauer gerade entgegenzukommen scheint. Der Maler, Viniegra h Lasso, hat sonst zu denen gehört, die mau mit Pradilla, Villegas und Benlliure zusammen nannte. Besonnener und solider sind doch die Engländer, die, wenn uns auch diese Nation aus vielen Gründen zuwider ist, uns doch in vielen Dingen als Vor¬ bild dienen sollten, besonders im Beharren am eignen Wesen. Gerade dieses Wesen ist der Mehrzahl unsers Volkes unverständlich, und es schadet auch ganz und gar nicht, daß es so bleibt. Wir wollen keine englischen Möbel und Tapeten, und wir wollen auch nicht die Malereien von Burne-Jones und Walter Creme, was die deutschen Neiseprediger auch reden mögen. Burne-Jones ist ein Träumer, der aber für seine angeblich neuen Gedanken auch nur die alten Formen der italienischen Maler des fünfzehnten Jahrhunderts gefunden hat, und Creme hat sich aus dem Studium der Antike, der Florentiner des fünf¬ zehnten und der Hellmalerei des neunzehnten Jahrhunderts einen Stil zurecht gemacht, der wohl kranke Gemüter einigermaßen erheben, aber starke keines¬ wegs befriedigen kann. Seine in Berlin ausgestellten „Schwanenjungfiauen," Mädchen, die man wohl in gleicher Größe, aber selten in gleicher Körperfülle in England findet, dürfen, obgleich sie schon vor vier Jahren gemalt worden sind, als ein Muster seiner Malerei gelten. Es sind blutleere Gestalten, Köpfe ohne Ausdruck und Seelenleben, und wenn mau sieht, wie die nackten Mädchen nach dem Bade im Teich in das abgelegte Schwcmengefieder hineinkriechen, wird man die Empfindung nicht los, daß hier ein ungenirter Maskenball im Freien seinen Abschluß gefunden hat. Ein andrer englischer Maler, der in seinem Vaterlande beinahe so hoch geehrt wird wie Creme, Robert Fowler, ist mit vier Bildern erschienen, auf denen er die Natur, die gegenwärtige Menschheit und den antiken Götterhimmel mit gleicher Liebe, aber auch mit gleicher Neigung für nebelhafte Verschleierung aller Formen umfaßt. Man sieht auf einem Schiffsverdeck einen alten Matrosen im Kreise jüngerer Ge¬ fährten während ruhiger Meeresfahrt, mau sieht einen Hügel, auf dem Apollo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/32>, abgerufen am 27.07.2024.