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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die große Kunstausstellung in Berlin

Ist aber in diesem Urteil nicht eine Nemesis, ein Akt ausgleichender Ge¬
rechtigkeit zu erkennen? Bei der den Atem raubenden Schnelligkeit der mo¬
dernen Kunstentwicklung sind die Meister des vorigen Jahres, die kurz vorher
selbst ihre Meister vom Lehrstuhl herabgestoßen hatten, um sich an ihre Stelle
zu setzen, in diesem Jahre schon wieder zu überwundnen Größen geworden,
die von ihren eignen Schülern zur Seite geschoben sind, weil ihre Kunst mit
allzu leichter Mühe zu erlernen war. Es ist ein Wechselspiel der Kräfte, das
zur Heiterkeit stimmen könnte, wenn man nicht gewahr würde, daß unsre Kunst
dabei Gefahr läuft, wenn auch nicht ganz zu Grunde zu gehen, so doch an
dem besten Teil ihres Wesens zu verlieren, an dem Reichtum und der Tiefe
des geistigen Gehalts, der von der Besonnenheit und Gediegenheit der tech¬
nischen Ausführung getragen wird.

Das sind die beiden Forderungen, an denen jeder festhalten muß, der es
mit der deutschen Kunst ernst meint, dem es vor allem daran liegt, daß sie
ihr eignes Wesen behaupte. Man darf nicht müde werden, diese Forderungen
immer wieder zu erheben, auch wenn sie zuletzt banal klingen oder, was alle
Tage geschieht, von den Aposteln des Fortschritts als philiströs und reaktionär
verschrieen werden. Auch die Beobachtungen, die wir auf der diesjährigen
Berliner Kunstausstellung machen, nötigen uns dazu. Dem ruhigen Beobachter
erscheint sie nicht schwächer als eine ihrer letzten Vorgängerinnen. Aber die
nervösen Besucher, die von einer Kunstausstellung prickelnde Erregungen ihrer
schlaff gewordnen Nerven erwarten, wie etwa von der Aufführung eines neuen
Schauspiels der modernen deutschen Dioskuren Hauptmann und Sudermann,
finden nicht genug "sensationelle" Kunstwerke, und damit ist ihr Urteil fertig.
Es giebt jedoch noch Leute, die so unverdorben, so wenig von Blasirtheit be¬
fallen sind, daß sie gerade in diesem Mangel einen Vorzug sehen, zumal wenn
sie sich erinnern, daß die "Sensation" fast immer vom Auslande besorgt wurde.
Diesmal haben sich ausländische Künstler zwar auch beteiligt, aber doch nicht
in solchen Massen, wie man sie in München zu sehen gewohnt ist. Franzosen
fehlen wie immer, und es ist wohl nur einem Zufall zuzuschreiben, daß sich
eine Neiterstatuette Friedrichs des Großen aus vergoldeter Bronze von dem
mehr durch seine orientalischen Bilder als durch seine plastischen Arbeiten be¬
kannten Gvröme nach Berlin verirrt hat. Zum Glück ist es eine unbestreitbar
schwache Arbeit. Sonst würden sich unsre Förderer der heimischen Kunst,
die sich ihre Begeisterung immer aus Frankreich holen, zu einem Jubelrufe
darüber erhoben haben, daß sich ein Franzose -- und noch dazu ein großer! --
herabgelassen hat, den Preußenkönig, den man auch den großen nennt, zu
Modelliren!

Spanier und Italiener sind, wie immer, mit gefälliger Verkaufsware
erschienen, finden aber in diesem Jahre weniger Käufer als sonst. Es scheint,
daß auch ihre Zeit vorüber ist, was sie freilich selbst dnrch ihre Masfenpro-


Die große Kunstausstellung in Berlin

Ist aber in diesem Urteil nicht eine Nemesis, ein Akt ausgleichender Ge¬
rechtigkeit zu erkennen? Bei der den Atem raubenden Schnelligkeit der mo¬
dernen Kunstentwicklung sind die Meister des vorigen Jahres, die kurz vorher
selbst ihre Meister vom Lehrstuhl herabgestoßen hatten, um sich an ihre Stelle
zu setzen, in diesem Jahre schon wieder zu überwundnen Größen geworden,
die von ihren eignen Schülern zur Seite geschoben sind, weil ihre Kunst mit
allzu leichter Mühe zu erlernen war. Es ist ein Wechselspiel der Kräfte, das
zur Heiterkeit stimmen könnte, wenn man nicht gewahr würde, daß unsre Kunst
dabei Gefahr läuft, wenn auch nicht ganz zu Grunde zu gehen, so doch an
dem besten Teil ihres Wesens zu verlieren, an dem Reichtum und der Tiefe
des geistigen Gehalts, der von der Besonnenheit und Gediegenheit der tech¬
nischen Ausführung getragen wird.

Das sind die beiden Forderungen, an denen jeder festhalten muß, der es
mit der deutschen Kunst ernst meint, dem es vor allem daran liegt, daß sie
ihr eignes Wesen behaupte. Man darf nicht müde werden, diese Forderungen
immer wieder zu erheben, auch wenn sie zuletzt banal klingen oder, was alle
Tage geschieht, von den Aposteln des Fortschritts als philiströs und reaktionär
verschrieen werden. Auch die Beobachtungen, die wir auf der diesjährigen
Berliner Kunstausstellung machen, nötigen uns dazu. Dem ruhigen Beobachter
erscheint sie nicht schwächer als eine ihrer letzten Vorgängerinnen. Aber die
nervösen Besucher, die von einer Kunstausstellung prickelnde Erregungen ihrer
schlaff gewordnen Nerven erwarten, wie etwa von der Aufführung eines neuen
Schauspiels der modernen deutschen Dioskuren Hauptmann und Sudermann,
finden nicht genug „sensationelle" Kunstwerke, und damit ist ihr Urteil fertig.
Es giebt jedoch noch Leute, die so unverdorben, so wenig von Blasirtheit be¬
fallen sind, daß sie gerade in diesem Mangel einen Vorzug sehen, zumal wenn
sie sich erinnern, daß die „Sensation" fast immer vom Auslande besorgt wurde.
Diesmal haben sich ausländische Künstler zwar auch beteiligt, aber doch nicht
in solchen Massen, wie man sie in München zu sehen gewohnt ist. Franzosen
fehlen wie immer, und es ist wohl nur einem Zufall zuzuschreiben, daß sich
eine Neiterstatuette Friedrichs des Großen aus vergoldeter Bronze von dem
mehr durch seine orientalischen Bilder als durch seine plastischen Arbeiten be¬
kannten Gvröme nach Berlin verirrt hat. Zum Glück ist es eine unbestreitbar
schwache Arbeit. Sonst würden sich unsre Förderer der heimischen Kunst,
die sich ihre Begeisterung immer aus Frankreich holen, zu einem Jubelrufe
darüber erhoben haben, daß sich ein Franzose — und noch dazu ein großer! —
herabgelassen hat, den Preußenkönig, den man auch den großen nennt, zu
Modelliren!

Spanier und Italiener sind, wie immer, mit gefälliger Verkaufsware
erschienen, finden aber in diesem Jahre weniger Käufer als sonst. Es scheint,
daß auch ihre Zeit vorüber ist, was sie freilich selbst dnrch ihre Masfenpro-


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[0031] Die große Kunstausstellung in Berlin Ist aber in diesem Urteil nicht eine Nemesis, ein Akt ausgleichender Ge¬ rechtigkeit zu erkennen? Bei der den Atem raubenden Schnelligkeit der mo¬ dernen Kunstentwicklung sind die Meister des vorigen Jahres, die kurz vorher selbst ihre Meister vom Lehrstuhl herabgestoßen hatten, um sich an ihre Stelle zu setzen, in diesem Jahre schon wieder zu überwundnen Größen geworden, die von ihren eignen Schülern zur Seite geschoben sind, weil ihre Kunst mit allzu leichter Mühe zu erlernen war. Es ist ein Wechselspiel der Kräfte, das zur Heiterkeit stimmen könnte, wenn man nicht gewahr würde, daß unsre Kunst dabei Gefahr läuft, wenn auch nicht ganz zu Grunde zu gehen, so doch an dem besten Teil ihres Wesens zu verlieren, an dem Reichtum und der Tiefe des geistigen Gehalts, der von der Besonnenheit und Gediegenheit der tech¬ nischen Ausführung getragen wird. Das sind die beiden Forderungen, an denen jeder festhalten muß, der es mit der deutschen Kunst ernst meint, dem es vor allem daran liegt, daß sie ihr eignes Wesen behaupte. Man darf nicht müde werden, diese Forderungen immer wieder zu erheben, auch wenn sie zuletzt banal klingen oder, was alle Tage geschieht, von den Aposteln des Fortschritts als philiströs und reaktionär verschrieen werden. Auch die Beobachtungen, die wir auf der diesjährigen Berliner Kunstausstellung machen, nötigen uns dazu. Dem ruhigen Beobachter erscheint sie nicht schwächer als eine ihrer letzten Vorgängerinnen. Aber die nervösen Besucher, die von einer Kunstausstellung prickelnde Erregungen ihrer schlaff gewordnen Nerven erwarten, wie etwa von der Aufführung eines neuen Schauspiels der modernen deutschen Dioskuren Hauptmann und Sudermann, finden nicht genug „sensationelle" Kunstwerke, und damit ist ihr Urteil fertig. Es giebt jedoch noch Leute, die so unverdorben, so wenig von Blasirtheit be¬ fallen sind, daß sie gerade in diesem Mangel einen Vorzug sehen, zumal wenn sie sich erinnern, daß die „Sensation" fast immer vom Auslande besorgt wurde. Diesmal haben sich ausländische Künstler zwar auch beteiligt, aber doch nicht in solchen Massen, wie man sie in München zu sehen gewohnt ist. Franzosen fehlen wie immer, und es ist wohl nur einem Zufall zuzuschreiben, daß sich eine Neiterstatuette Friedrichs des Großen aus vergoldeter Bronze von dem mehr durch seine orientalischen Bilder als durch seine plastischen Arbeiten be¬ kannten Gvröme nach Berlin verirrt hat. Zum Glück ist es eine unbestreitbar schwache Arbeit. Sonst würden sich unsre Förderer der heimischen Kunst, die sich ihre Begeisterung immer aus Frankreich holen, zu einem Jubelrufe darüber erhoben haben, daß sich ein Franzose — und noch dazu ein großer! — herabgelassen hat, den Preußenkönig, den man auch den großen nennt, zu Modelliren! Spanier und Italiener sind, wie immer, mit gefälliger Verkaufsware erschienen, finden aber in diesem Jahre weniger Käufer als sonst. Es scheint, daß auch ihre Zeit vorüber ist, was sie freilich selbst dnrch ihre Masfenpro-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/31>, abgerufen am 27.07.2024.