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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die große Kunstausstellung in Berlin

steht, zu dem einige Musen hinaufklettern, man sieht auch etwas von land¬
schaftlichen Formen -- aber man muß, auch wenn man sonst alle Vor¬
bedingungen zum Mystiker erfüllt, doch etwas mehr sehen können, um über
den Inhalt dieser Bilder ins Klare zu kommen. Eine Notwendigkeit, sich
einiger Maler wegen in die Tiefen des Mysticismus zu versenken, liegt für
den parteilosen Kunstfreund auch- nicht mehr vor. Bevor er sich noch diese
Mühe auferlegt hat, ist von Paris schon die Parole ausgegeben worden, mit
dem Mystizismus aufzuhören. Die Geschäfte damit sind zu schlecht gegangen,
vermutlich weil sie das Heer schwachsüßiger Pfuscher, das jedem Leithammel
gedankenlos nachtrottet, gründlich verdorben hat. Es soll zwar nach der
Meinung der Völkerpsychologen in England mehr Narren geben als anderswo,
und es wird darum wohl noch eine Zeit lang dauern, bis die künstlich an¬
gesachte Begeisterung für Präraffaeliten und Mystiker, für Burne-Jones,
Walter Crane und ihr ganzes Gefolge von Zeichnern und Kunsthandwerkern
wieder der Erinnerung an die alten Herrschergebiete der englischen Kunst, an die
Bildnis-, Genre- und Landschaftsmalerei gewichen ist. Wie toll sich aber auch
die Bewegung auf dem Markte des englischen Kunstgewerbes und der Kunst,
die diese Bewegung hervorgerufen, geberden mag -- wir haben doch soviel
aus der Geschichte der englischen Kunst gelernt, daß wir wissen, daß sie nicht
lange dauern wird. Die klugen und besonnenen Engländer werden, wenn sie
auch jetzt anscheinend in der Minderheit sind, mit der Zeit den Geschmack
schon wieder in vernünftige Bahnen leiten, und wenn das Ausland inzwischen
auf den englischen Möbel- und Dekorationsstil hineingefallen ist, so werden
selbst die in künstlerischen Dingen konservativen Engländer diesen Erfolg aus
das Konto ihrer Überlegenheit in der Reklame und in der Überlistung des
Kontinents hundelt. Die echte englische Kunst, die von Gainsborough, Reynolds,
Wilkie, Turner u. a., die kommenden Jahrhunderten das englische Volkstum
im Bilde überliefern und lebendig erhalten wird, ist vornehmlich bei Millais
und Herkomer zu suchen. Millais ist tot; aber man empfindet die Bedeutung
seines Wesens, indem man schon alle seine Werke sammelt und in englischen
oder, wenn möglich, in Nationalbesitz zu bringen sucht. Herkomer schafft da¬
gegen noch in gewaltiger Kraft, die er leider bisweilen verzettelt. Seine Radi-
rungen wollen wir gern als künstlerische Erzeugnisse gelten lassen, die seinen
Ölgemälden und Aquarellen gleichkommen; aber um sich mit der Erfindung
von neuen Druckverfahren abzuplagen, die den erfindenden Künstler von dem
reproduzirenden unabhängig machen und dem Drucke das Aussehen von ge¬
tuschten Zeichnungen geben sollen, dazu sollte die Zeit eines Künstlers, der zu
den größten Vildnismalern unsers Jahrhunderts gehört und auch in die erste
Reihe unsrer Genremaler treten könnte, wenn er dem volkstümlichen Genre
größere Bedeutung beimäße, zu kostbar sein. Wie hoch wir ihn gerade als
Bildnismaler zu schützen haben, hat er uns wieder durch zwei kürzlich


Grenzboten III 18O8 4
Die große Kunstausstellung in Berlin

steht, zu dem einige Musen hinaufklettern, man sieht auch etwas von land¬
schaftlichen Formen — aber man muß, auch wenn man sonst alle Vor¬
bedingungen zum Mystiker erfüllt, doch etwas mehr sehen können, um über
den Inhalt dieser Bilder ins Klare zu kommen. Eine Notwendigkeit, sich
einiger Maler wegen in die Tiefen des Mysticismus zu versenken, liegt für
den parteilosen Kunstfreund auch- nicht mehr vor. Bevor er sich noch diese
Mühe auferlegt hat, ist von Paris schon die Parole ausgegeben worden, mit
dem Mystizismus aufzuhören. Die Geschäfte damit sind zu schlecht gegangen,
vermutlich weil sie das Heer schwachsüßiger Pfuscher, das jedem Leithammel
gedankenlos nachtrottet, gründlich verdorben hat. Es soll zwar nach der
Meinung der Völkerpsychologen in England mehr Narren geben als anderswo,
und es wird darum wohl noch eine Zeit lang dauern, bis die künstlich an¬
gesachte Begeisterung für Präraffaeliten und Mystiker, für Burne-Jones,
Walter Crane und ihr ganzes Gefolge von Zeichnern und Kunsthandwerkern
wieder der Erinnerung an die alten Herrschergebiete der englischen Kunst, an die
Bildnis-, Genre- und Landschaftsmalerei gewichen ist. Wie toll sich aber auch
die Bewegung auf dem Markte des englischen Kunstgewerbes und der Kunst,
die diese Bewegung hervorgerufen, geberden mag — wir haben doch soviel
aus der Geschichte der englischen Kunst gelernt, daß wir wissen, daß sie nicht
lange dauern wird. Die klugen und besonnenen Engländer werden, wenn sie
auch jetzt anscheinend in der Minderheit sind, mit der Zeit den Geschmack
schon wieder in vernünftige Bahnen leiten, und wenn das Ausland inzwischen
auf den englischen Möbel- und Dekorationsstil hineingefallen ist, so werden
selbst die in künstlerischen Dingen konservativen Engländer diesen Erfolg aus
das Konto ihrer Überlegenheit in der Reklame und in der Überlistung des
Kontinents hundelt. Die echte englische Kunst, die von Gainsborough, Reynolds,
Wilkie, Turner u. a., die kommenden Jahrhunderten das englische Volkstum
im Bilde überliefern und lebendig erhalten wird, ist vornehmlich bei Millais
und Herkomer zu suchen. Millais ist tot; aber man empfindet die Bedeutung
seines Wesens, indem man schon alle seine Werke sammelt und in englischen
oder, wenn möglich, in Nationalbesitz zu bringen sucht. Herkomer schafft da¬
gegen noch in gewaltiger Kraft, die er leider bisweilen verzettelt. Seine Radi-
rungen wollen wir gern als künstlerische Erzeugnisse gelten lassen, die seinen
Ölgemälden und Aquarellen gleichkommen; aber um sich mit der Erfindung
von neuen Druckverfahren abzuplagen, die den erfindenden Künstler von dem
reproduzirenden unabhängig machen und dem Drucke das Aussehen von ge¬
tuschten Zeichnungen geben sollen, dazu sollte die Zeit eines Künstlers, der zu
den größten Vildnismalern unsers Jahrhunderts gehört und auch in die erste
Reihe unsrer Genremaler treten könnte, wenn er dem volkstümlichen Genre
größere Bedeutung beimäße, zu kostbar sein. Wie hoch wir ihn gerade als
Bildnismaler zu schützen haben, hat er uns wieder durch zwei kürzlich


Grenzboten III 18O8 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/33>, abgerufen am 01.09.2024.