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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Stenographie im Dienste der Shakospearekunde

Büchlein as litsris g.rlliauis beschrieben."*) In derselben Zeit berichtet Samuel
Hartlib (zeitweilig Cromwells Sekretär) in einem Briefe an einen Freund in
Elbing, daß in London in den Schulen eifrig Stenographie getrieben wurde;
und 1641 schreibt Amos Comenius, der 1637 in England war, an seine
Freunde in Lissa, daß in London "viele Jünglinge und Männer den Predigten
mit dem Griffel folgen und alles wörtlich nachstenographiren. Die Kunst der
Tachygraphie sei sogar schon nnter den Landleuten verbreitet."

Hatte also die Stenographie vor der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts
eine so ungewöhnliche Ausbreitung erlangt, wie sie hente in keinem Lande zu
finden ist, so kann sie, wenn wir uns den viel langsamern Fortschritt älterer
Zeiten vergegenwärtigen, am Ende des sechzehnten Jahrhunderts nicht unbe¬
kannt gewesen sein. Und so finden wir denn auch schon um die Mitte des
Jahrhunderts Nachschriften vermittelst Kurzschrift erwähnt, in den achtziger
und neunziger Jahren werden Handbücher über Stenographie veröffentlicht.
Timothy Bright ist der Vater der englischen Stenographie: er beschrieb das
von ihm erfundue System schon 1588**); drei Jahre später erschien ein Buch
von Peter Bates mit einem neuen, aber, wie es heißt, auf das Brightsche ge¬
gründeten System, das verschollen zu sein scheint. Im Jahre 1602 erschien
dann noch ein System von Willis, das Dewischeit über das Brightsche stellt,
und das sich allgemeine Anerkennung errang, wie die Zahl von vierzehn Auf¬
lagen, die das Buch in wenigen Jahren erreichte, beweist und das Fundament
von allen spätern Systemen wurde. Ein Teil der Shakespearischen Dramen
könnte also sehr wohl in Willisscher Kurzschrift nachgeschrieben worden sein,
Dewischeit setzt aber auch sür diese das Brightsche System voraus, dn mit
einem andern die Textuerstümmlnngen der spätern Quartos nicht zu er¬
klären seien.

Das Brightsche System hat den Fehler, daß es der tironischen Noten¬
schrift***) zu nahe stand. Aber während die römische Stenographie willkürliche
Zeichen für einzelne Wörter setzte -- im ersten Jahrhundert waren sie bis
auf 6000 gediehen, die alle auswendig gelernt werden mußten--, hat Bright
ein System von Zeichen, das als solches leichter zu handhaben ist, und be¬
ansprucht nicht mehr als die Kenntnis von 556 charakteristischen Wortzeichen.
Das Fundament oder besser den Stock der Wortzeichen bilden die Anfangs¬
buchstaben, nur 18 an der Zahl, die große Ähnlichkeit mit den Runenstäben
haben: sie bestehen immer ans einem längern senkrechten Strich mit kleinern





In den von Professor Daniel Schwerter begonnenen DsUoias xli^sieas ot inMioma-
tieao, zu denen er 16SZ einen dritten Teil veröffentlichte.
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Eine Stenographie benannt nach Tiro, dem Freigelassenen Ciceros, der sie erfunden
haben soll.
Die Stenographie im Dienste der Shakospearekunde

Büchlein as litsris g.rlliauis beschrieben."*) In derselben Zeit berichtet Samuel
Hartlib (zeitweilig Cromwells Sekretär) in einem Briefe an einen Freund in
Elbing, daß in London in den Schulen eifrig Stenographie getrieben wurde;
und 1641 schreibt Amos Comenius, der 1637 in England war, an seine
Freunde in Lissa, daß in London „viele Jünglinge und Männer den Predigten
mit dem Griffel folgen und alles wörtlich nachstenographiren. Die Kunst der
Tachygraphie sei sogar schon nnter den Landleuten verbreitet."

Hatte also die Stenographie vor der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts
eine so ungewöhnliche Ausbreitung erlangt, wie sie hente in keinem Lande zu
finden ist, so kann sie, wenn wir uns den viel langsamern Fortschritt älterer
Zeiten vergegenwärtigen, am Ende des sechzehnten Jahrhunderts nicht unbe¬
kannt gewesen sein. Und so finden wir denn auch schon um die Mitte des
Jahrhunderts Nachschriften vermittelst Kurzschrift erwähnt, in den achtziger
und neunziger Jahren werden Handbücher über Stenographie veröffentlicht.
Timothy Bright ist der Vater der englischen Stenographie: er beschrieb das
von ihm erfundue System schon 1588**); drei Jahre später erschien ein Buch
von Peter Bates mit einem neuen, aber, wie es heißt, auf das Brightsche ge¬
gründeten System, das verschollen zu sein scheint. Im Jahre 1602 erschien
dann noch ein System von Willis, das Dewischeit über das Brightsche stellt,
und das sich allgemeine Anerkennung errang, wie die Zahl von vierzehn Auf¬
lagen, die das Buch in wenigen Jahren erreichte, beweist und das Fundament
von allen spätern Systemen wurde. Ein Teil der Shakespearischen Dramen
könnte also sehr wohl in Willisscher Kurzschrift nachgeschrieben worden sein,
Dewischeit setzt aber auch sür diese das Brightsche System voraus, dn mit
einem andern die Textuerstümmlnngen der spätern Quartos nicht zu er¬
klären seien.

Das Brightsche System hat den Fehler, daß es der tironischen Noten¬
schrift***) zu nahe stand. Aber während die römische Stenographie willkürliche
Zeichen für einzelne Wörter setzte — im ersten Jahrhundert waren sie bis
auf 6000 gediehen, die alle auswendig gelernt werden mußten—, hat Bright
ein System von Zeichen, das als solches leichter zu handhaben ist, und be¬
ansprucht nicht mehr als die Kenntnis von 556 charakteristischen Wortzeichen.
Das Fundament oder besser den Stock der Wortzeichen bilden die Anfangs¬
buchstaben, nur 18 an der Zahl, die große Ähnlichkeit mit den Runenstäben
haben: sie bestehen immer ans einem längern senkrechten Strich mit kleinern





In den von Professor Daniel Schwerter begonnenen DsUoias xli^sieas ot inMioma-
tieao, zu denen er 16SZ einen dritten Teil veröffentlichte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/124>, abgerufen am 28.07.2024.