Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.Die Stenographie im Dienste der Shakespearekunde sondern für ein der Volksbelustigung dienendes Erzeugnis des Tages. Ruf Über die Bedeutung der Stenographie in England haben wir ein höchst Die Stenographie im Dienste der Shakespearekunde sondern für ein der Volksbelustigung dienendes Erzeugnis des Tages. Ruf Über die Bedeutung der Stenographie in England haben wir ein höchst <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0123" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228425"/> <fw type="header" place="top"> Die Stenographie im Dienste der Shakespearekunde</fw><lb/> <p xml:id="ID_374" prev="#ID_373"> sondern für ein der Volksbelustigung dienendes Erzeugnis des Tages. Ruf<lb/> und Nachruhm suchte man durch lyrische und epische Dichtungen, nicht<lb/> durch Dramen, die vielmehr an die verschiednen Bühnen verkauft und von<lb/> diesen aus Geschäftsinteresse sorgfältig vor der Veröffentlichung behütet<lb/> wurden. Freilich war das Bemühen der Gesellschaften vielfach vergeblich.<lb/> Denn da es keinen Schutz des geistigen Eigentums gab, so konnten die Ver¬<lb/> leger von beliebten Dramen ungestraft Raubausgaben veranstalten — die soge¬<lb/> nannten Quartos, Einzelausgaben in klein Quart. Es ist von verschiednen<lb/> Shakespeareforschern für eine Reihe von Quartos der Shakespearische» Dramen<lb/> überzeugend nachgewiesen worden, daß sie Naubausgaben waren: die Verstümm¬<lb/> lungen von „Romeo" (1597) und von „Hamlet" (1603) können nichts andres<lb/> sein, das zeigt die Lektüre weniger Seiten jedem Laien. Einzelne Forscher,<lb/> wie z. B. Hermann Kurz, sind der Ansicht, daß alle Einzeldrucke vor der von<lb/> Shakespeares Freunden veranstalteten Foliogesamtausgabe von 1623 Naubaus¬<lb/> gaben sind, und diese Freunde selbst bezeichnen die Quartos samt und sonders<lb/> in dem Vorwort zu der ersten Folio als „gestohlen und unecht." Diese Naub¬<lb/> ausgaben wurden hergestellt, indem man sich ein Vühuenmanuskript oder eine<lb/> Anzahl von Rollenabschriften verschaffte — so werden die beiden verhältnis¬<lb/> mäßig korrekten Drucke vom „Kaufmann von Venedig" (1600) und die zweite<lb/> „Hamlet" Quarto entstanden sein —, oder indem man einen Stenographen ins<lb/> Theater schickte und das Drama während der Aufführung nachschreiben ließ —<lb/> das gab dann die Verstümmlungen. Heywovo, Shakespeares Zeitgenosse, er¬<lb/> wähnt dieses Verfahren in einem Prolog und in einer Vorrede seiner Dramen.<lb/> Da nun den Dichtern wie den Bühnen durch solche verstümmelten Raubdrucke<lb/> nur Abbruch geschehen konnte, so sahen sich jene öfters veranlaßt, selbst authen¬<lb/> tische Ausgaben von ihren Dramen zu veranstalten, weil das, wie sich Marston<lb/> in der Vorrede zu seinem Drama „Malcontent" (1604) ausdrückt, der geringere<lb/> Schaden war. Wenn wir nun zu dem Ausspruche Dewischcits zurückkehren,<lb/> so meint er offenbar, daß, wenn nicht so viele elende, auf stenographischer<lb/> Nachschrift beruhende Quartausgaben von Shakespeares Dramen veröffentlicht<lb/> worden wären, die beiden Schauspieler Heminge und Condell schwerlich auf<lb/> den Gedanken gekommen sein würden, eine Gesamtausgabe zu veranstalten —<lb/> eine Annahme, die gerade mit Bezug auf Shakespeare, den berühmtesten der<lb/> vielen berühmten Dramatiker, mindestens als unerweislich zu bezeichnen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_375" next="#ID_376"> Über die Bedeutung der Stenographie in England haben wir ein höchst<lb/> interessantes Zeugnis von unserm Harsdörffer, dem „Poetischen Trichter"<lb/> Mann, der um 1630 in England war. Es lautet: „In England ist es eine<lb/> gemeine Sache, welche auch den Weibern bekannt, daß sie eine ganze Predigt<lb/> von Wort zu Wort nachschreiben, und bestehet die Kunst fast in solchen Zeichen,<lb/> wie sie vor Alters bei den Römern die UotArü gebrauchet, da ein Buchstab<lb/> ein ganzes Wort bedeutet, wie Valsrms?robus VmmiNÄtioris in einem sondern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0123]
Die Stenographie im Dienste der Shakespearekunde
sondern für ein der Volksbelustigung dienendes Erzeugnis des Tages. Ruf
und Nachruhm suchte man durch lyrische und epische Dichtungen, nicht
durch Dramen, die vielmehr an die verschiednen Bühnen verkauft und von
diesen aus Geschäftsinteresse sorgfältig vor der Veröffentlichung behütet
wurden. Freilich war das Bemühen der Gesellschaften vielfach vergeblich.
Denn da es keinen Schutz des geistigen Eigentums gab, so konnten die Ver¬
leger von beliebten Dramen ungestraft Raubausgaben veranstalten — die soge¬
nannten Quartos, Einzelausgaben in klein Quart. Es ist von verschiednen
Shakespeareforschern für eine Reihe von Quartos der Shakespearische» Dramen
überzeugend nachgewiesen worden, daß sie Naubausgaben waren: die Verstümm¬
lungen von „Romeo" (1597) und von „Hamlet" (1603) können nichts andres
sein, das zeigt die Lektüre weniger Seiten jedem Laien. Einzelne Forscher,
wie z. B. Hermann Kurz, sind der Ansicht, daß alle Einzeldrucke vor der von
Shakespeares Freunden veranstalteten Foliogesamtausgabe von 1623 Naubaus¬
gaben sind, und diese Freunde selbst bezeichnen die Quartos samt und sonders
in dem Vorwort zu der ersten Folio als „gestohlen und unecht." Diese Naub¬
ausgaben wurden hergestellt, indem man sich ein Vühuenmanuskript oder eine
Anzahl von Rollenabschriften verschaffte — so werden die beiden verhältnis¬
mäßig korrekten Drucke vom „Kaufmann von Venedig" (1600) und die zweite
„Hamlet" Quarto entstanden sein —, oder indem man einen Stenographen ins
Theater schickte und das Drama während der Aufführung nachschreiben ließ —
das gab dann die Verstümmlungen. Heywovo, Shakespeares Zeitgenosse, er¬
wähnt dieses Verfahren in einem Prolog und in einer Vorrede seiner Dramen.
Da nun den Dichtern wie den Bühnen durch solche verstümmelten Raubdrucke
nur Abbruch geschehen konnte, so sahen sich jene öfters veranlaßt, selbst authen¬
tische Ausgaben von ihren Dramen zu veranstalten, weil das, wie sich Marston
in der Vorrede zu seinem Drama „Malcontent" (1604) ausdrückt, der geringere
Schaden war. Wenn wir nun zu dem Ausspruche Dewischcits zurückkehren,
so meint er offenbar, daß, wenn nicht so viele elende, auf stenographischer
Nachschrift beruhende Quartausgaben von Shakespeares Dramen veröffentlicht
worden wären, die beiden Schauspieler Heminge und Condell schwerlich auf
den Gedanken gekommen sein würden, eine Gesamtausgabe zu veranstalten —
eine Annahme, die gerade mit Bezug auf Shakespeare, den berühmtesten der
vielen berühmten Dramatiker, mindestens als unerweislich zu bezeichnen ist.
Über die Bedeutung der Stenographie in England haben wir ein höchst
interessantes Zeugnis von unserm Harsdörffer, dem „Poetischen Trichter"
Mann, der um 1630 in England war. Es lautet: „In England ist es eine
gemeine Sache, welche auch den Weibern bekannt, daß sie eine ganze Predigt
von Wort zu Wort nachschreiben, und bestehet die Kunst fast in solchen Zeichen,
wie sie vor Alters bei den Römern die UotArü gebrauchet, da ein Buchstab
ein ganzes Wort bedeutet, wie Valsrms?robus VmmiNÄtioris in einem sondern
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