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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der japanische Farbenholzschnitt

Illusion vorzugsweise als Raumillusion saßt, während die japanische" Maler
sie in erster Linie als Bewegungsillusion fassen. Das ist aber die ganz natür¬
liche Konsequenz des Verzichts auf die Raumillusion. Wenn einer Malerei
aus irgend welchen, sei es historisch-traditionellen, sei es theoretisch-technischen
Gründen, die Raumillusion verschlossen ist, so wirft sie sich natürlich umso
lebhafter auf die Ausbildung der Bewegungsillusion. Denn je weniger die
Maler durch die Probleme der plastischen Modellirung, der Perspektive in
Anspruch genommen sind, umso mehr Aufmerksamkeit werden sie natürlich
der Ausbildung der Mittel zuwenden, durch die eine Bewcgungsillusion er¬
reicht werden kann, d. h. also auf die Ausbildung eines belebten und mannig¬
faltigen Umrisses.

Wenn die Sache nun so stünde, daß die europäische Malerei der klassischen
Zeit von dieser Bewegungsillusion nichts wüßte, sie neben der Raumillusion
vollständig vernachlässigte, so möchte es noch angehen, beide Richtungen als
gleichberechtigt, als Äußerungen einer in ihrer Art gleich hoch entwickelten
ästhetischen Auffassung zu betrachten. So steht die Sache aber nicht. Die
europäische Malerei hat das Problem der Bewegung, des lebhaften ausdrucks¬
vollen Umrisses, durchaus nicht vernachlässigt. Gerade Lionardo selbst, dessen
ausführliche Notizen über ausdrucksvolle Bewegungen -- ganz abgesehen von
den lebhaften Gesten der Apostel seines Abendmahls -- ja bekannt sind, aber
ebenso gut Michelangelo, Rubens usw. haben gerade diesem Problem ihre be¬
sondre Aufmerksamkeit zugewandt. Sie haben nur daneben auch noch das
Raumproblem im spezieller" Sinne zu lösen versucht und es bekanntlich in
einer staunenswerten Weise gelöst.

Die europäische Kunst zeigt also der japanischen gegenüber ein Plus an
Jllnsionswerten, und dieses Plus wiegt umso schwerer, als Bewegung und
Umriß eigentlich erst auf Grund der räumlichen Vertiefung, erst dadurch, daß
sie richtig perspektivisch in den Raum gestellt werden, ihre volle Ausdrucks¬
fähigkeit gewinnen. Die Bedeutung dieser Thatsache kann nur der verkennen,
der von den eigentlichen Problemen der künstlerischen Gestaltung, von dem,
was den Künstler bei feiner Schöpfung zuerst bewegt, infolge mangelnder eigner
Kunstübung nur eine unklare Vorstellung hat. Einzig und allein daraus erklärt
es sich, daß derartige Dinge, die eigentlich zu den Elementen der ästhetischen
Beurteilung gehören, in der Kritik meist mit Stillschweigen übergangen werden.

Aber die europäische Malerei zeigt noch ein weiteres Plus an Jllnsions¬
werten, das ist die Farbenillusion. Für den japanischen Maler ist die Farbe
nur ein Element der Dekoration, etwas rein Ornamentales. Er stellt die ein¬
zelnen Farben seiner Holzschnitte mosaikartig neben einander, etwa so wie der
europäische Glasmaler des Mittelalters oder der Wandmaler der romanischen
Periode. Der realistische Maler der modernen europäischen Kunst dagegen be¬
nutzt die Farbe zugleich, um Licht und Schatten, das Vor- und Zurücktreten
der einzelnen Teile, die Abstufung der Gründe usw. wiederzugeben.


Der japanische Farbenholzschnitt

Illusion vorzugsweise als Raumillusion saßt, während die japanische» Maler
sie in erster Linie als Bewegungsillusion fassen. Das ist aber die ganz natür¬
liche Konsequenz des Verzichts auf die Raumillusion. Wenn einer Malerei
aus irgend welchen, sei es historisch-traditionellen, sei es theoretisch-technischen
Gründen, die Raumillusion verschlossen ist, so wirft sie sich natürlich umso
lebhafter auf die Ausbildung der Bewegungsillusion. Denn je weniger die
Maler durch die Probleme der plastischen Modellirung, der Perspektive in
Anspruch genommen sind, umso mehr Aufmerksamkeit werden sie natürlich
der Ausbildung der Mittel zuwenden, durch die eine Bewcgungsillusion er¬
reicht werden kann, d. h. also auf die Ausbildung eines belebten und mannig¬
faltigen Umrisses.

Wenn die Sache nun so stünde, daß die europäische Malerei der klassischen
Zeit von dieser Bewegungsillusion nichts wüßte, sie neben der Raumillusion
vollständig vernachlässigte, so möchte es noch angehen, beide Richtungen als
gleichberechtigt, als Äußerungen einer in ihrer Art gleich hoch entwickelten
ästhetischen Auffassung zu betrachten. So steht die Sache aber nicht. Die
europäische Malerei hat das Problem der Bewegung, des lebhaften ausdrucks¬
vollen Umrisses, durchaus nicht vernachlässigt. Gerade Lionardo selbst, dessen
ausführliche Notizen über ausdrucksvolle Bewegungen — ganz abgesehen von
den lebhaften Gesten der Apostel seines Abendmahls — ja bekannt sind, aber
ebenso gut Michelangelo, Rubens usw. haben gerade diesem Problem ihre be¬
sondre Aufmerksamkeit zugewandt. Sie haben nur daneben auch noch das
Raumproblem im spezieller» Sinne zu lösen versucht und es bekanntlich in
einer staunenswerten Weise gelöst.

Die europäische Kunst zeigt also der japanischen gegenüber ein Plus an
Jllnsionswerten, und dieses Plus wiegt umso schwerer, als Bewegung und
Umriß eigentlich erst auf Grund der räumlichen Vertiefung, erst dadurch, daß
sie richtig perspektivisch in den Raum gestellt werden, ihre volle Ausdrucks¬
fähigkeit gewinnen. Die Bedeutung dieser Thatsache kann nur der verkennen,
der von den eigentlichen Problemen der künstlerischen Gestaltung, von dem,
was den Künstler bei feiner Schöpfung zuerst bewegt, infolge mangelnder eigner
Kunstübung nur eine unklare Vorstellung hat. Einzig und allein daraus erklärt
es sich, daß derartige Dinge, die eigentlich zu den Elementen der ästhetischen
Beurteilung gehören, in der Kritik meist mit Stillschweigen übergangen werden.

Aber die europäische Malerei zeigt noch ein weiteres Plus an Jllnsions¬
werten, das ist die Farbenillusion. Für den japanischen Maler ist die Farbe
nur ein Element der Dekoration, etwas rein Ornamentales. Er stellt die ein¬
zelnen Farben seiner Holzschnitte mosaikartig neben einander, etwa so wie der
europäische Glasmaler des Mittelalters oder der Wandmaler der romanischen
Periode. Der realistische Maler der modernen europäischen Kunst dagegen be¬
nutzt die Farbe zugleich, um Licht und Schatten, das Vor- und Zurücktreten
der einzelnen Teile, die Abstufung der Gründe usw. wiederzugeben.


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[0101] Der japanische Farbenholzschnitt Illusion vorzugsweise als Raumillusion saßt, während die japanische» Maler sie in erster Linie als Bewegungsillusion fassen. Das ist aber die ganz natür¬ liche Konsequenz des Verzichts auf die Raumillusion. Wenn einer Malerei aus irgend welchen, sei es historisch-traditionellen, sei es theoretisch-technischen Gründen, die Raumillusion verschlossen ist, so wirft sie sich natürlich umso lebhafter auf die Ausbildung der Bewegungsillusion. Denn je weniger die Maler durch die Probleme der plastischen Modellirung, der Perspektive in Anspruch genommen sind, umso mehr Aufmerksamkeit werden sie natürlich der Ausbildung der Mittel zuwenden, durch die eine Bewcgungsillusion er¬ reicht werden kann, d. h. also auf die Ausbildung eines belebten und mannig¬ faltigen Umrisses. Wenn die Sache nun so stünde, daß die europäische Malerei der klassischen Zeit von dieser Bewegungsillusion nichts wüßte, sie neben der Raumillusion vollständig vernachlässigte, so möchte es noch angehen, beide Richtungen als gleichberechtigt, als Äußerungen einer in ihrer Art gleich hoch entwickelten ästhetischen Auffassung zu betrachten. So steht die Sache aber nicht. Die europäische Malerei hat das Problem der Bewegung, des lebhaften ausdrucks¬ vollen Umrisses, durchaus nicht vernachlässigt. Gerade Lionardo selbst, dessen ausführliche Notizen über ausdrucksvolle Bewegungen — ganz abgesehen von den lebhaften Gesten der Apostel seines Abendmahls — ja bekannt sind, aber ebenso gut Michelangelo, Rubens usw. haben gerade diesem Problem ihre be¬ sondre Aufmerksamkeit zugewandt. Sie haben nur daneben auch noch das Raumproblem im spezieller» Sinne zu lösen versucht und es bekanntlich in einer staunenswerten Weise gelöst. Die europäische Kunst zeigt also der japanischen gegenüber ein Plus an Jllnsionswerten, und dieses Plus wiegt umso schwerer, als Bewegung und Umriß eigentlich erst auf Grund der räumlichen Vertiefung, erst dadurch, daß sie richtig perspektivisch in den Raum gestellt werden, ihre volle Ausdrucks¬ fähigkeit gewinnen. Die Bedeutung dieser Thatsache kann nur der verkennen, der von den eigentlichen Problemen der künstlerischen Gestaltung, von dem, was den Künstler bei feiner Schöpfung zuerst bewegt, infolge mangelnder eigner Kunstübung nur eine unklare Vorstellung hat. Einzig und allein daraus erklärt es sich, daß derartige Dinge, die eigentlich zu den Elementen der ästhetischen Beurteilung gehören, in der Kritik meist mit Stillschweigen übergangen werden. Aber die europäische Malerei zeigt noch ein weiteres Plus an Jllnsions¬ werten, das ist die Farbenillusion. Für den japanischen Maler ist die Farbe nur ein Element der Dekoration, etwas rein Ornamentales. Er stellt die ein¬ zelnen Farben seiner Holzschnitte mosaikartig neben einander, etwa so wie der europäische Glasmaler des Mittelalters oder der Wandmaler der romanischen Periode. Der realistische Maler der modernen europäischen Kunst dagegen be¬ nutzt die Farbe zugleich, um Licht und Schatten, das Vor- und Zurücktreten der einzelnen Teile, die Abstufung der Gründe usw. wiederzugeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/101>, abgerufen am 01.09.2024.