Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der japanische Larbenholzschnitt

war ja gerade die größere Naturwahrheit, die Illusion des Raumes. Dies
legen wir ihnen nicht etwa willkürlich unter, sondern wir wissen es aus ihrem
eignen Munde. Alberti, Lionardo und Dürer sagen uns ja mit eignen Worten,
was sie gewollt haben: ihre Figuren aus der Fläche des Gemäldes möglichst
plastisch heraustreten lassen, den Raum durch richtige perspektivische Zeichnung
vertiefen, Licht und Schatten im Sinne der plastischen Wirkung verleite",
die Farben den verschiednen Gründen entsprechend abdomen, die Natur mög¬
lichst genau nachahmen; kurz sie wollten vor allen Dingen Naturwahrheit,
den Schein, die Illusion der Natur. Hunderte von authentischen Äußerungen
könnte man zum Beweise dafür anführen, während sich keine einzige Äußerung
nachweisen läßt, die auf ein Ideal ähnlich dem der japanischen Malerei
schließen ließe. Welches war nun das Ideal der Japaner?

Ich bin zwar fest überzeugt, daß auch die japanischen Maler in erster
Linie die Natur darstellen wollten, und daß sie die Erzeugung von Illusion
ebenso sür die Hauptaufgabe der Malerei hielten, wie alle Maler zu allen
Zeiten und bei allen Völkern. So haben wir z. B. schon von Sekiyen, dem Lehrer
des Utämaro, eine Äußerung im Schlußwort zu dem Jnsektenbuch seines
Schülers, das "ein Loblied auf den Naturalismus" ist, ganz abgesehen von
den bekannten Äußerungen Hvkusais, aus denen sich die Illusion des Lebens
als sein höchstes künstlerisches Ziel ergiebt.") Nur tritt für uns, die wir auf
einem fortgeschrittnen ästhetischen Standpunkt stehen, diese Tendenz im ältern
japanischen Holzschnitt nicht so klar hervor, weil sie durch eine andre Tendenz,
nämlich die dekorative, getrübt wird. Das Überwuchern dieser dekorativen
Tendenz erklärt sich teils aus dem Überwiegen der dekorativen Künste in dem
ganzen japanischen Kunstleben, teils aus der Macht der historischen Tradition.
Durch beides wird der japanischen Malerei vor allen Dingen ein durchaus
flächenhafter Charakter aufgeprägt. Während Lionardo da Vinci sagt: Die
Hauptaufgabe der Malerei besteht darin, die Dinge auf der Fläche so darzu¬
stellen, daß sie plastisch vorzutreten scheinen, sagt der japanische Maler des
achtzehnten Jahrhunderts: Die Hauptaufgabe der Malerei besteht darin, ohne
die Mittel der plastischen Illusion, d. h. ohne Formschatten, Reflexe und Schlag¬
schatten, ohne Helldunkel, ohne perspektivische Verkürzung der Figuren, ohne
vertiefte Hintergründe, einzig und allein durch den Umriß, die Silhouette, die
Illusion des Lebens, der Bewegung zu erzeugen.

Man bemerke wohl, daß das letzte Ziel beider Richtungen dasselbe ist,
nämlich die Illusion. Der Unterschied besteht nur darin, daß Lionardo diese



So sagt er z. B, einmal in der Einleitung zu einer seiner Holzschnittpublikntionen,
er habe den Stil der alten Meister lange studirt, ohne das geringste davon zu verstehen.
Gleichzeitig habe er aber gemerkt, daß seine eignen Menschen und Tiere so lebendig seien, daß
sie aus dem Papier herauszuspringen schienen. Darum habe er ihnen von seinem Holzschneider
die Muskeln und Sehnen durchschneiden lassen, damit sie sich nicht von der Fläche entfernen
konnten.
Der japanische Larbenholzschnitt

war ja gerade die größere Naturwahrheit, die Illusion des Raumes. Dies
legen wir ihnen nicht etwa willkürlich unter, sondern wir wissen es aus ihrem
eignen Munde. Alberti, Lionardo und Dürer sagen uns ja mit eignen Worten,
was sie gewollt haben: ihre Figuren aus der Fläche des Gemäldes möglichst
plastisch heraustreten lassen, den Raum durch richtige perspektivische Zeichnung
vertiefen, Licht und Schatten im Sinne der plastischen Wirkung verleite»,
die Farben den verschiednen Gründen entsprechend abdomen, die Natur mög¬
lichst genau nachahmen; kurz sie wollten vor allen Dingen Naturwahrheit,
den Schein, die Illusion der Natur. Hunderte von authentischen Äußerungen
könnte man zum Beweise dafür anführen, während sich keine einzige Äußerung
nachweisen läßt, die auf ein Ideal ähnlich dem der japanischen Malerei
schließen ließe. Welches war nun das Ideal der Japaner?

Ich bin zwar fest überzeugt, daß auch die japanischen Maler in erster
Linie die Natur darstellen wollten, und daß sie die Erzeugung von Illusion
ebenso sür die Hauptaufgabe der Malerei hielten, wie alle Maler zu allen
Zeiten und bei allen Völkern. So haben wir z. B. schon von Sekiyen, dem Lehrer
des Utämaro, eine Äußerung im Schlußwort zu dem Jnsektenbuch seines
Schülers, das „ein Loblied auf den Naturalismus" ist, ganz abgesehen von
den bekannten Äußerungen Hvkusais, aus denen sich die Illusion des Lebens
als sein höchstes künstlerisches Ziel ergiebt.") Nur tritt für uns, die wir auf
einem fortgeschrittnen ästhetischen Standpunkt stehen, diese Tendenz im ältern
japanischen Holzschnitt nicht so klar hervor, weil sie durch eine andre Tendenz,
nämlich die dekorative, getrübt wird. Das Überwuchern dieser dekorativen
Tendenz erklärt sich teils aus dem Überwiegen der dekorativen Künste in dem
ganzen japanischen Kunstleben, teils aus der Macht der historischen Tradition.
Durch beides wird der japanischen Malerei vor allen Dingen ein durchaus
flächenhafter Charakter aufgeprägt. Während Lionardo da Vinci sagt: Die
Hauptaufgabe der Malerei besteht darin, die Dinge auf der Fläche so darzu¬
stellen, daß sie plastisch vorzutreten scheinen, sagt der japanische Maler des
achtzehnten Jahrhunderts: Die Hauptaufgabe der Malerei besteht darin, ohne
die Mittel der plastischen Illusion, d. h. ohne Formschatten, Reflexe und Schlag¬
schatten, ohne Helldunkel, ohne perspektivische Verkürzung der Figuren, ohne
vertiefte Hintergründe, einzig und allein durch den Umriß, die Silhouette, die
Illusion des Lebens, der Bewegung zu erzeugen.

Man bemerke wohl, daß das letzte Ziel beider Richtungen dasselbe ist,
nämlich die Illusion. Der Unterschied besteht nur darin, daß Lionardo diese



So sagt er z. B, einmal in der Einleitung zu einer seiner Holzschnittpublikntionen,
er habe den Stil der alten Meister lange studirt, ohne das geringste davon zu verstehen.
Gleichzeitig habe er aber gemerkt, daß seine eignen Menschen und Tiere so lebendig seien, daß
sie aus dem Papier herauszuspringen schienen. Darum habe er ihnen von seinem Holzschneider
die Muskeln und Sehnen durchschneiden lassen, damit sie sich nicht von der Fläche entfernen
konnten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228402"/>
          <fw type="header" place="top"> Der japanische Larbenholzschnitt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_310" prev="#ID_309"> war ja gerade die größere Naturwahrheit, die Illusion des Raumes. Dies<lb/>
legen wir ihnen nicht etwa willkürlich unter, sondern wir wissen es aus ihrem<lb/>
eignen Munde. Alberti, Lionardo und Dürer sagen uns ja mit eignen Worten,<lb/>
was sie gewollt haben: ihre Figuren aus der Fläche des Gemäldes möglichst<lb/>
plastisch heraustreten lassen, den Raum durch richtige perspektivische Zeichnung<lb/>
vertiefen, Licht und Schatten im Sinne der plastischen Wirkung verleite»,<lb/>
die Farben den verschiednen Gründen entsprechend abdomen, die Natur mög¬<lb/>
lichst genau nachahmen; kurz sie wollten vor allen Dingen Naturwahrheit,<lb/>
den Schein, die Illusion der Natur. Hunderte von authentischen Äußerungen<lb/>
könnte man zum Beweise dafür anführen, während sich keine einzige Äußerung<lb/>
nachweisen läßt, die auf ein Ideal ähnlich dem der japanischen Malerei<lb/>
schließen ließe.  Welches war nun das Ideal der Japaner?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_311"> Ich bin zwar fest überzeugt, daß auch die japanischen Maler in erster<lb/>
Linie die Natur darstellen wollten, und daß sie die Erzeugung von Illusion<lb/>
ebenso sür die Hauptaufgabe der Malerei hielten, wie alle Maler zu allen<lb/>
Zeiten und bei allen Völkern. So haben wir z. B. schon von Sekiyen, dem Lehrer<lb/>
des Utämaro, eine Äußerung im Schlußwort zu dem Jnsektenbuch seines<lb/>
Schülers, das &#x201E;ein Loblied auf den Naturalismus" ist, ganz abgesehen von<lb/>
den bekannten Äußerungen Hvkusais, aus denen sich die Illusion des Lebens<lb/>
als sein höchstes künstlerisches Ziel ergiebt.") Nur tritt für uns, die wir auf<lb/>
einem fortgeschrittnen ästhetischen Standpunkt stehen, diese Tendenz im ältern<lb/>
japanischen Holzschnitt nicht so klar hervor, weil sie durch eine andre Tendenz,<lb/>
nämlich die dekorative, getrübt wird. Das Überwuchern dieser dekorativen<lb/>
Tendenz erklärt sich teils aus dem Überwiegen der dekorativen Künste in dem<lb/>
ganzen japanischen Kunstleben, teils aus der Macht der historischen Tradition.<lb/>
Durch beides wird der japanischen Malerei vor allen Dingen ein durchaus<lb/>
flächenhafter Charakter aufgeprägt. Während Lionardo da Vinci sagt: Die<lb/>
Hauptaufgabe der Malerei besteht darin, die Dinge auf der Fläche so darzu¬<lb/>
stellen, daß sie plastisch vorzutreten scheinen, sagt der japanische Maler des<lb/>
achtzehnten Jahrhunderts: Die Hauptaufgabe der Malerei besteht darin, ohne<lb/>
die Mittel der plastischen Illusion, d. h. ohne Formschatten, Reflexe und Schlag¬<lb/>
schatten, ohne Helldunkel, ohne perspektivische Verkürzung der Figuren, ohne<lb/>
vertiefte Hintergründe, einzig und allein durch den Umriß, die Silhouette, die<lb/>
Illusion des Lebens, der Bewegung zu erzeugen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_312" next="#ID_313"> Man bemerke wohl, daß das letzte Ziel beider Richtungen dasselbe ist,<lb/>
nämlich die Illusion.  Der Unterschied besteht nur darin, daß Lionardo diese</p><lb/>
          <note xml:id="FID_23" place="foot"> So sagt er z. B, einmal in der Einleitung zu einer seiner Holzschnittpublikntionen,<lb/>
er habe den Stil der alten Meister lange studirt, ohne das geringste davon zu verstehen.<lb/>
Gleichzeitig habe er aber gemerkt, daß seine eignen Menschen und Tiere so lebendig seien, daß<lb/>
sie aus dem Papier herauszuspringen schienen. Darum habe er ihnen von seinem Holzschneider<lb/>
die Muskeln und Sehnen durchschneiden lassen, damit sie sich nicht von der Fläche entfernen<lb/>
konnten.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] Der japanische Larbenholzschnitt war ja gerade die größere Naturwahrheit, die Illusion des Raumes. Dies legen wir ihnen nicht etwa willkürlich unter, sondern wir wissen es aus ihrem eignen Munde. Alberti, Lionardo und Dürer sagen uns ja mit eignen Worten, was sie gewollt haben: ihre Figuren aus der Fläche des Gemäldes möglichst plastisch heraustreten lassen, den Raum durch richtige perspektivische Zeichnung vertiefen, Licht und Schatten im Sinne der plastischen Wirkung verleite», die Farben den verschiednen Gründen entsprechend abdomen, die Natur mög¬ lichst genau nachahmen; kurz sie wollten vor allen Dingen Naturwahrheit, den Schein, die Illusion der Natur. Hunderte von authentischen Äußerungen könnte man zum Beweise dafür anführen, während sich keine einzige Äußerung nachweisen läßt, die auf ein Ideal ähnlich dem der japanischen Malerei schließen ließe. Welches war nun das Ideal der Japaner? Ich bin zwar fest überzeugt, daß auch die japanischen Maler in erster Linie die Natur darstellen wollten, und daß sie die Erzeugung von Illusion ebenso sür die Hauptaufgabe der Malerei hielten, wie alle Maler zu allen Zeiten und bei allen Völkern. So haben wir z. B. schon von Sekiyen, dem Lehrer des Utämaro, eine Äußerung im Schlußwort zu dem Jnsektenbuch seines Schülers, das „ein Loblied auf den Naturalismus" ist, ganz abgesehen von den bekannten Äußerungen Hvkusais, aus denen sich die Illusion des Lebens als sein höchstes künstlerisches Ziel ergiebt.") Nur tritt für uns, die wir auf einem fortgeschrittnen ästhetischen Standpunkt stehen, diese Tendenz im ältern japanischen Holzschnitt nicht so klar hervor, weil sie durch eine andre Tendenz, nämlich die dekorative, getrübt wird. Das Überwuchern dieser dekorativen Tendenz erklärt sich teils aus dem Überwiegen der dekorativen Künste in dem ganzen japanischen Kunstleben, teils aus der Macht der historischen Tradition. Durch beides wird der japanischen Malerei vor allen Dingen ein durchaus flächenhafter Charakter aufgeprägt. Während Lionardo da Vinci sagt: Die Hauptaufgabe der Malerei besteht darin, die Dinge auf der Fläche so darzu¬ stellen, daß sie plastisch vorzutreten scheinen, sagt der japanische Maler des achtzehnten Jahrhunderts: Die Hauptaufgabe der Malerei besteht darin, ohne die Mittel der plastischen Illusion, d. h. ohne Formschatten, Reflexe und Schlag¬ schatten, ohne Helldunkel, ohne perspektivische Verkürzung der Figuren, ohne vertiefte Hintergründe, einzig und allein durch den Umriß, die Silhouette, die Illusion des Lebens, der Bewegung zu erzeugen. Man bemerke wohl, daß das letzte Ziel beider Richtungen dasselbe ist, nämlich die Illusion. Der Unterschied besteht nur darin, daß Lionardo diese So sagt er z. B, einmal in der Einleitung zu einer seiner Holzschnittpublikntionen, er habe den Stil der alten Meister lange studirt, ohne das geringste davon zu verstehen. Gleichzeitig habe er aber gemerkt, daß seine eignen Menschen und Tiere so lebendig seien, daß sie aus dem Papier herauszuspringen schienen. Darum habe er ihnen von seinem Holzschneider die Muskeln und Sehnen durchschneiden lassen, damit sie sich nicht von der Fläche entfernen konnten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/100>, abgerufen am 01.09.2024.