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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der japanische Farbcicholzschnitt

Nun könnte man ja auch hier sagen: Wenn der japanische Maler bei
seiner mosaikartigen Zusammenstellung der Farben eine besonders schöne und
harmonische Wirkung erzielt, so ist das nur ein Vorzug seiner Kunst, und
seine Farbenanffassung stellt nur eine andre Seite der Lösung des Farben¬
problems dar, die an sich ebenso berechtigt ist wie die europäische. Aber darum
handelt es sich leider nicht. Vielmehr müssen wir auch hier konstatiren, daß die
europäische Malerei, wenigstens die der koloristischen Schulen, die Farben nicht
nur im Sinne der Illusion, sondern auch in dem der Dekoration, d. h.
des harmonischen Zusammenklanges gebraucht hat. Und wenn auch zugegeben
werden mag, daß, wo diese beiden ihrem Wesen nach verschiednen Prinzipien
gleichzeitig in Kraft treten, in der Regel entweder die eine oder die andre
überwiegt, d. h. entweder die Farbe vorzugsweise in den Dienst der Illusion
oder vorzugsweise in den Dienst der Dekoration gestellt wird, so ist es doch eine
Thatsache, daß gerade mehrere der größten Meister der europäischen Malerei
eine Versöhnung der beiden Extreme erstrebt und zum Teil auch erreicht haben.

Die europäische Malerei zeigt also auch in dieser Beziehung ein Plus an
Reizmitteln, ein Zusammenwirken verschiedner Reize, von denen der eine in
der japanischen Malerei vollständig wegsällt. Und was die dekorative Ver¬
wendung der Farben betrifft, so muß ich gestehen, daß ich die Begeisterung
für den japanischen Farbenholzschnitt in dieser Beziehung nicht ganz mitmachen
kann. Ich habe gerade neuerdings wieder Gelegenheit gehabt, eine große Zahl
japanischer Farbenholzschnitte der besten Zeit zu sehen, und kann nur sagen,
daß darunter neben vielen koloristisch sehr feinen Blättern auch solche waren,
deren Farbenzusammenstellung mir ziemlich willkürlich, ja geradezu roh erschien.
Und das würde wahrscheinlich in noch viel höherm Maße der Fall gewesen sein,
wenn nicht die meisten Blätter durch die Einwirkung des Lichts eine bedeutende
Abblassung und Harmonisirung der Farben erlitten hätten. Als besonders be¬
leidigend empfand ich bei vielen dieser Blätter die Anwendung größerer gleich¬
mäßig schwarz überdruckter Flachen, die alle übrigen Farben in rücksichtsloser
Weise totschlagen. Aus dem Seidlitzschen Buche ersehe ich freilich, daß die
richtige Verwendung der schwarzen Farbe als eine besondre Schönheit des
japanischen Farbenholzschnitts gilt. Ich bescheide mich also und nehme an,
daß ich davon nichts verstehe, oder -- daß wir eigentlich bis aus diesen Tag
nichts Positives darüber wissen, welche Farben zusammen passen, und was
eigentlich unter Farbenharmonie zu verstehen ist. Daß die japanischen Maler
eine gewisse Neigung zur Nebeneinanderstellung von Komplementärfarben (wie
rosa und grün) haben, läßt sich nicht leugnen, doch zeigen die Farben wenigstens
so, wie sie jetzt erhalten sind, oft einen so geringen Grad von Intensität, daß
sie eher wie das Resultat einer zwar verfeinerten, raffinirten aber krankhaften
Farbenempfindung erscheinen, als wie ein Reflex der "frischen stets leuchtenden
Farben der Natur." (Schluß folgt)




Der japanische Farbcicholzschnitt

Nun könnte man ja auch hier sagen: Wenn der japanische Maler bei
seiner mosaikartigen Zusammenstellung der Farben eine besonders schöne und
harmonische Wirkung erzielt, so ist das nur ein Vorzug seiner Kunst, und
seine Farbenanffassung stellt nur eine andre Seite der Lösung des Farben¬
problems dar, die an sich ebenso berechtigt ist wie die europäische. Aber darum
handelt es sich leider nicht. Vielmehr müssen wir auch hier konstatiren, daß die
europäische Malerei, wenigstens die der koloristischen Schulen, die Farben nicht
nur im Sinne der Illusion, sondern auch in dem der Dekoration, d. h.
des harmonischen Zusammenklanges gebraucht hat. Und wenn auch zugegeben
werden mag, daß, wo diese beiden ihrem Wesen nach verschiednen Prinzipien
gleichzeitig in Kraft treten, in der Regel entweder die eine oder die andre
überwiegt, d. h. entweder die Farbe vorzugsweise in den Dienst der Illusion
oder vorzugsweise in den Dienst der Dekoration gestellt wird, so ist es doch eine
Thatsache, daß gerade mehrere der größten Meister der europäischen Malerei
eine Versöhnung der beiden Extreme erstrebt und zum Teil auch erreicht haben.

Die europäische Malerei zeigt also auch in dieser Beziehung ein Plus an
Reizmitteln, ein Zusammenwirken verschiedner Reize, von denen der eine in
der japanischen Malerei vollständig wegsällt. Und was die dekorative Ver¬
wendung der Farben betrifft, so muß ich gestehen, daß ich die Begeisterung
für den japanischen Farbenholzschnitt in dieser Beziehung nicht ganz mitmachen
kann. Ich habe gerade neuerdings wieder Gelegenheit gehabt, eine große Zahl
japanischer Farbenholzschnitte der besten Zeit zu sehen, und kann nur sagen,
daß darunter neben vielen koloristisch sehr feinen Blättern auch solche waren,
deren Farbenzusammenstellung mir ziemlich willkürlich, ja geradezu roh erschien.
Und das würde wahrscheinlich in noch viel höherm Maße der Fall gewesen sein,
wenn nicht die meisten Blätter durch die Einwirkung des Lichts eine bedeutende
Abblassung und Harmonisirung der Farben erlitten hätten. Als besonders be¬
leidigend empfand ich bei vielen dieser Blätter die Anwendung größerer gleich¬
mäßig schwarz überdruckter Flachen, die alle übrigen Farben in rücksichtsloser
Weise totschlagen. Aus dem Seidlitzschen Buche ersehe ich freilich, daß die
richtige Verwendung der schwarzen Farbe als eine besondre Schönheit des
japanischen Farbenholzschnitts gilt. Ich bescheide mich also und nehme an,
daß ich davon nichts verstehe, oder — daß wir eigentlich bis aus diesen Tag
nichts Positives darüber wissen, welche Farben zusammen passen, und was
eigentlich unter Farbenharmonie zu verstehen ist. Daß die japanischen Maler
eine gewisse Neigung zur Nebeneinanderstellung von Komplementärfarben (wie
rosa und grün) haben, läßt sich nicht leugnen, doch zeigen die Farben wenigstens
so, wie sie jetzt erhalten sind, oft einen so geringen Grad von Intensität, daß
sie eher wie das Resultat einer zwar verfeinerten, raffinirten aber krankhaften
Farbenempfindung erscheinen, als wie ein Reflex der „frischen stets leuchtenden
Farben der Natur." (Schluß folgt)




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[0102] Der japanische Farbcicholzschnitt Nun könnte man ja auch hier sagen: Wenn der japanische Maler bei seiner mosaikartigen Zusammenstellung der Farben eine besonders schöne und harmonische Wirkung erzielt, so ist das nur ein Vorzug seiner Kunst, und seine Farbenanffassung stellt nur eine andre Seite der Lösung des Farben¬ problems dar, die an sich ebenso berechtigt ist wie die europäische. Aber darum handelt es sich leider nicht. Vielmehr müssen wir auch hier konstatiren, daß die europäische Malerei, wenigstens die der koloristischen Schulen, die Farben nicht nur im Sinne der Illusion, sondern auch in dem der Dekoration, d. h. des harmonischen Zusammenklanges gebraucht hat. Und wenn auch zugegeben werden mag, daß, wo diese beiden ihrem Wesen nach verschiednen Prinzipien gleichzeitig in Kraft treten, in der Regel entweder die eine oder die andre überwiegt, d. h. entweder die Farbe vorzugsweise in den Dienst der Illusion oder vorzugsweise in den Dienst der Dekoration gestellt wird, so ist es doch eine Thatsache, daß gerade mehrere der größten Meister der europäischen Malerei eine Versöhnung der beiden Extreme erstrebt und zum Teil auch erreicht haben. Die europäische Malerei zeigt also auch in dieser Beziehung ein Plus an Reizmitteln, ein Zusammenwirken verschiedner Reize, von denen der eine in der japanischen Malerei vollständig wegsällt. Und was die dekorative Ver¬ wendung der Farben betrifft, so muß ich gestehen, daß ich die Begeisterung für den japanischen Farbenholzschnitt in dieser Beziehung nicht ganz mitmachen kann. Ich habe gerade neuerdings wieder Gelegenheit gehabt, eine große Zahl japanischer Farbenholzschnitte der besten Zeit zu sehen, und kann nur sagen, daß darunter neben vielen koloristisch sehr feinen Blättern auch solche waren, deren Farbenzusammenstellung mir ziemlich willkürlich, ja geradezu roh erschien. Und das würde wahrscheinlich in noch viel höherm Maße der Fall gewesen sein, wenn nicht die meisten Blätter durch die Einwirkung des Lichts eine bedeutende Abblassung und Harmonisirung der Farben erlitten hätten. Als besonders be¬ leidigend empfand ich bei vielen dieser Blätter die Anwendung größerer gleich¬ mäßig schwarz überdruckter Flachen, die alle übrigen Farben in rücksichtsloser Weise totschlagen. Aus dem Seidlitzschen Buche ersehe ich freilich, daß die richtige Verwendung der schwarzen Farbe als eine besondre Schönheit des japanischen Farbenholzschnitts gilt. Ich bescheide mich also und nehme an, daß ich davon nichts verstehe, oder — daß wir eigentlich bis aus diesen Tag nichts Positives darüber wissen, welche Farben zusammen passen, und was eigentlich unter Farbenharmonie zu verstehen ist. Daß die japanischen Maler eine gewisse Neigung zur Nebeneinanderstellung von Komplementärfarben (wie rosa und grün) haben, läßt sich nicht leugnen, doch zeigen die Farben wenigstens so, wie sie jetzt erhalten sind, oft einen so geringen Grad von Intensität, daß sie eher wie das Resultat einer zwar verfeinerten, raffinirten aber krankhaften Farbenempfindung erscheinen, als wie ein Reflex der „frischen stets leuchtenden Farben der Natur." (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/102>, abgerufen am 27.07.2024.