Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Denkmäler in der Siegesallee zu Berlin

mythologischen Figuren und Büsten römischer Kaiser, Feldherrn und Weisen
auf gleichförmigen Postamenten, die die regelrecht geschulteren Hecken der Park¬
anlagen in Versailles, in Sanssouci, in Charlottenburg, Nymphenburg und
andre Schöpfungen des Rokokozeitalters begleiten. Aber schon die Aus¬
führung der drei ersten Gruppen hat die Bedenken, die anfangs wohl be¬
rechtigt erschienen, widerlegt, wenn auch vorläufig nur die künstlerischen.
Sachlich wird sich auch jetzt noch manches einwenden lassen, zunächst das eine,
daß die Manischen Markgrafen, mit denen die Reihen der Fürstenstandbilder
eröffnet worden sind, dem lebenden Geschlecht völlig fremd geworden sind. Wer
sich mit Gelehrsamkeit beschwert hat, der weiß aus der, wenn auch spärlichen,
Überlieferung wenigstens soviel, daß diese Markgrafen niemals tiefe Wurzeln
in den Herzen ihrer Unterthanen gefaßt haben, und daß diese Unterthanen auch
meist wenig Ursache gehabt haben, sie tief in ihre Herzen zu schließen. Wer aber
aus den alten Chroniken nichts erfahren hat, oder wer sich auf die dürftigen
Daten beschränken muß, die er in einer preußischen Volksschule oder selbst auf
einem Gymnasium auswendig gelernt hat, dem sind die Namen dieser Herrscher
nichts als Namen, mit denen er nicht einmal mehr sein Gedächtnis beschweren
mag. Aber Kaiser Wilhelm II. hat sich neben vielen andern Aufgaben auch
die gestellt, den geschichtlichen Sinn im Volke wieder zu erwecken und zu
kräftigen. Als ein wirksames Mittel dazu erscheint ihm die bildende Kunst.

Nachdem der pietätlose Sinn der neuen Berliner mit allen geschichtlichen
Erinnerungen von Alt-Berlin im Herzen der Stadt von Grund aus aufgeräumt
hat, um Platz für große Geschäftshäuser und Warenlager im Stile von New-
York und Chicago zu schaffen, sucht der Kaiser zu erhalten und auszubauen,
wo ihm das Recht dazu zusteht. Aus dieser Absicht ist die Niederlegung der
Schloßfreiheit und die Errichtung des Kaiser Wilhelmdenkmals und der es
umschließenden Halle auf dem freigewordnen Platze hervorgegangen, und jetzt
gewinnt auch die dem Schlosse zugekehrte Front des Marstallgebäudes eine neue
Gestalt, deren künstlerische Ausbildung mit der Architektur des Schlosses in
Einklang gebracht wird. Die Absicht des Kaisers geht, wie es scheint, dahin,
allmählich die ganze Umgebung des Schlosses so auszugestalten, daß dieses wie
eine Insel abgeschlossen wird, als einsames Denkmal, das zwar nicht den
Ruhm hohen Alters, aber doch den hoher Kunst hat. Vielleicht gelingt es
doch noch, den großen Gedanken Schlüters, der an dieser Stelle vor gerade
zweihundert Jahren eine der alten Römer würdige Prachtanlage plante und
entwarf, lebendig zu machen.

Eine weitere Kräftigung des geschichtlichen Sinns, der im Mittelpunkt
der Stadt keinen Stoff und Halt mehr findet, hat der Kaiser jetzt mit den
Standbildern im Tiergarten versucht. Hier darf ihm kein Mensch dreinreden,
weil der Tiergarten königliches Eigentum ist. Sein Plan geht offenbar dahin,
die brandcnburgisch-preußische Geschichte in Denkmälern, also recht eigene-


Die Denkmäler in der Siegesallee zu Berlin

mythologischen Figuren und Büsten römischer Kaiser, Feldherrn und Weisen
auf gleichförmigen Postamenten, die die regelrecht geschulteren Hecken der Park¬
anlagen in Versailles, in Sanssouci, in Charlottenburg, Nymphenburg und
andre Schöpfungen des Rokokozeitalters begleiten. Aber schon die Aus¬
führung der drei ersten Gruppen hat die Bedenken, die anfangs wohl be¬
rechtigt erschienen, widerlegt, wenn auch vorläufig nur die künstlerischen.
Sachlich wird sich auch jetzt noch manches einwenden lassen, zunächst das eine,
daß die Manischen Markgrafen, mit denen die Reihen der Fürstenstandbilder
eröffnet worden sind, dem lebenden Geschlecht völlig fremd geworden sind. Wer
sich mit Gelehrsamkeit beschwert hat, der weiß aus der, wenn auch spärlichen,
Überlieferung wenigstens soviel, daß diese Markgrafen niemals tiefe Wurzeln
in den Herzen ihrer Unterthanen gefaßt haben, und daß diese Unterthanen auch
meist wenig Ursache gehabt haben, sie tief in ihre Herzen zu schließen. Wer aber
aus den alten Chroniken nichts erfahren hat, oder wer sich auf die dürftigen
Daten beschränken muß, die er in einer preußischen Volksschule oder selbst auf
einem Gymnasium auswendig gelernt hat, dem sind die Namen dieser Herrscher
nichts als Namen, mit denen er nicht einmal mehr sein Gedächtnis beschweren
mag. Aber Kaiser Wilhelm II. hat sich neben vielen andern Aufgaben auch
die gestellt, den geschichtlichen Sinn im Volke wieder zu erwecken und zu
kräftigen. Als ein wirksames Mittel dazu erscheint ihm die bildende Kunst.

Nachdem der pietätlose Sinn der neuen Berliner mit allen geschichtlichen
Erinnerungen von Alt-Berlin im Herzen der Stadt von Grund aus aufgeräumt
hat, um Platz für große Geschäftshäuser und Warenlager im Stile von New-
York und Chicago zu schaffen, sucht der Kaiser zu erhalten und auszubauen,
wo ihm das Recht dazu zusteht. Aus dieser Absicht ist die Niederlegung der
Schloßfreiheit und die Errichtung des Kaiser Wilhelmdenkmals und der es
umschließenden Halle auf dem freigewordnen Platze hervorgegangen, und jetzt
gewinnt auch die dem Schlosse zugekehrte Front des Marstallgebäudes eine neue
Gestalt, deren künstlerische Ausbildung mit der Architektur des Schlosses in
Einklang gebracht wird. Die Absicht des Kaisers geht, wie es scheint, dahin,
allmählich die ganze Umgebung des Schlosses so auszugestalten, daß dieses wie
eine Insel abgeschlossen wird, als einsames Denkmal, das zwar nicht den
Ruhm hohen Alters, aber doch den hoher Kunst hat. Vielleicht gelingt es
doch noch, den großen Gedanken Schlüters, der an dieser Stelle vor gerade
zweihundert Jahren eine der alten Römer würdige Prachtanlage plante und
entwarf, lebendig zu machen.

Eine weitere Kräftigung des geschichtlichen Sinns, der im Mittelpunkt
der Stadt keinen Stoff und Halt mehr findet, hat der Kaiser jetzt mit den
Standbildern im Tiergarten versucht. Hier darf ihm kein Mensch dreinreden,
weil der Tiergarten königliches Eigentum ist. Sein Plan geht offenbar dahin,
die brandcnburgisch-preußische Geschichte in Denkmälern, also recht eigene-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227735"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Denkmäler in der Siegesallee zu Berlin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_247" prev="#ID_246"> mythologischen Figuren und Büsten römischer Kaiser, Feldherrn und Weisen<lb/>
auf gleichförmigen Postamenten, die die regelrecht geschulteren Hecken der Park¬<lb/>
anlagen in Versailles, in Sanssouci, in Charlottenburg, Nymphenburg und<lb/>
andre Schöpfungen des Rokokozeitalters begleiten. Aber schon die Aus¬<lb/>
führung der drei ersten Gruppen hat die Bedenken, die anfangs wohl be¬<lb/>
rechtigt erschienen, widerlegt, wenn auch vorläufig nur die künstlerischen.<lb/>
Sachlich wird sich auch jetzt noch manches einwenden lassen, zunächst das eine,<lb/>
daß die Manischen Markgrafen, mit denen die Reihen der Fürstenstandbilder<lb/>
eröffnet worden sind, dem lebenden Geschlecht völlig fremd geworden sind. Wer<lb/>
sich mit Gelehrsamkeit beschwert hat, der weiß aus der, wenn auch spärlichen,<lb/>
Überlieferung wenigstens soviel, daß diese Markgrafen niemals tiefe Wurzeln<lb/>
in den Herzen ihrer Unterthanen gefaßt haben, und daß diese Unterthanen auch<lb/>
meist wenig Ursache gehabt haben, sie tief in ihre Herzen zu schließen. Wer aber<lb/>
aus den alten Chroniken nichts erfahren hat, oder wer sich auf die dürftigen<lb/>
Daten beschränken muß, die er in einer preußischen Volksschule oder selbst auf<lb/>
einem Gymnasium auswendig gelernt hat, dem sind die Namen dieser Herrscher<lb/>
nichts als Namen, mit denen er nicht einmal mehr sein Gedächtnis beschweren<lb/>
mag. Aber Kaiser Wilhelm II. hat sich neben vielen andern Aufgaben auch<lb/>
die gestellt, den geschichtlichen Sinn im Volke wieder zu erwecken und zu<lb/>
kräftigen.  Als ein wirksames Mittel dazu erscheint ihm die bildende Kunst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_248"> Nachdem der pietätlose Sinn der neuen Berliner mit allen geschichtlichen<lb/>
Erinnerungen von Alt-Berlin im Herzen der Stadt von Grund aus aufgeräumt<lb/>
hat, um Platz für große Geschäftshäuser und Warenlager im Stile von New-<lb/>
York und Chicago zu schaffen, sucht der Kaiser zu erhalten und auszubauen,<lb/>
wo ihm das Recht dazu zusteht. Aus dieser Absicht ist die Niederlegung der<lb/>
Schloßfreiheit und die Errichtung des Kaiser Wilhelmdenkmals und der es<lb/>
umschließenden Halle auf dem freigewordnen Platze hervorgegangen, und jetzt<lb/>
gewinnt auch die dem Schlosse zugekehrte Front des Marstallgebäudes eine neue<lb/>
Gestalt, deren künstlerische Ausbildung mit der Architektur des Schlosses in<lb/>
Einklang gebracht wird. Die Absicht des Kaisers geht, wie es scheint, dahin,<lb/>
allmählich die ganze Umgebung des Schlosses so auszugestalten, daß dieses wie<lb/>
eine Insel abgeschlossen wird, als einsames Denkmal, das zwar nicht den<lb/>
Ruhm hohen Alters, aber doch den hoher Kunst hat. Vielleicht gelingt es<lb/>
doch noch, den großen Gedanken Schlüters, der an dieser Stelle vor gerade<lb/>
zweihundert Jahren eine der alten Römer würdige Prachtanlage plante und<lb/>
entwarf, lebendig zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_249" next="#ID_250"> Eine weitere Kräftigung des geschichtlichen Sinns, der im Mittelpunkt<lb/>
der Stadt keinen Stoff und Halt mehr findet, hat der Kaiser jetzt mit den<lb/>
Standbildern im Tiergarten versucht. Hier darf ihm kein Mensch dreinreden,<lb/>
weil der Tiergarten königliches Eigentum ist. Sein Plan geht offenbar dahin,<lb/>
die brandcnburgisch-preußische Geschichte in Denkmälern, also recht eigene-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0099] Die Denkmäler in der Siegesallee zu Berlin mythologischen Figuren und Büsten römischer Kaiser, Feldherrn und Weisen auf gleichförmigen Postamenten, die die regelrecht geschulteren Hecken der Park¬ anlagen in Versailles, in Sanssouci, in Charlottenburg, Nymphenburg und andre Schöpfungen des Rokokozeitalters begleiten. Aber schon die Aus¬ führung der drei ersten Gruppen hat die Bedenken, die anfangs wohl be¬ rechtigt erschienen, widerlegt, wenn auch vorläufig nur die künstlerischen. Sachlich wird sich auch jetzt noch manches einwenden lassen, zunächst das eine, daß die Manischen Markgrafen, mit denen die Reihen der Fürstenstandbilder eröffnet worden sind, dem lebenden Geschlecht völlig fremd geworden sind. Wer sich mit Gelehrsamkeit beschwert hat, der weiß aus der, wenn auch spärlichen, Überlieferung wenigstens soviel, daß diese Markgrafen niemals tiefe Wurzeln in den Herzen ihrer Unterthanen gefaßt haben, und daß diese Unterthanen auch meist wenig Ursache gehabt haben, sie tief in ihre Herzen zu schließen. Wer aber aus den alten Chroniken nichts erfahren hat, oder wer sich auf die dürftigen Daten beschränken muß, die er in einer preußischen Volksschule oder selbst auf einem Gymnasium auswendig gelernt hat, dem sind die Namen dieser Herrscher nichts als Namen, mit denen er nicht einmal mehr sein Gedächtnis beschweren mag. Aber Kaiser Wilhelm II. hat sich neben vielen andern Aufgaben auch die gestellt, den geschichtlichen Sinn im Volke wieder zu erwecken und zu kräftigen. Als ein wirksames Mittel dazu erscheint ihm die bildende Kunst. Nachdem der pietätlose Sinn der neuen Berliner mit allen geschichtlichen Erinnerungen von Alt-Berlin im Herzen der Stadt von Grund aus aufgeräumt hat, um Platz für große Geschäftshäuser und Warenlager im Stile von New- York und Chicago zu schaffen, sucht der Kaiser zu erhalten und auszubauen, wo ihm das Recht dazu zusteht. Aus dieser Absicht ist die Niederlegung der Schloßfreiheit und die Errichtung des Kaiser Wilhelmdenkmals und der es umschließenden Halle auf dem freigewordnen Platze hervorgegangen, und jetzt gewinnt auch die dem Schlosse zugekehrte Front des Marstallgebäudes eine neue Gestalt, deren künstlerische Ausbildung mit der Architektur des Schlosses in Einklang gebracht wird. Die Absicht des Kaisers geht, wie es scheint, dahin, allmählich die ganze Umgebung des Schlosses so auszugestalten, daß dieses wie eine Insel abgeschlossen wird, als einsames Denkmal, das zwar nicht den Ruhm hohen Alters, aber doch den hoher Kunst hat. Vielleicht gelingt es doch noch, den großen Gedanken Schlüters, der an dieser Stelle vor gerade zweihundert Jahren eine der alten Römer würdige Prachtanlage plante und entwarf, lebendig zu machen. Eine weitere Kräftigung des geschichtlichen Sinns, der im Mittelpunkt der Stadt keinen Stoff und Halt mehr findet, hat der Kaiser jetzt mit den Standbildern im Tiergarten versucht. Hier darf ihm kein Mensch dreinreden, weil der Tiergarten königliches Eigentum ist. Sein Plan geht offenbar dahin, die brandcnburgisch-preußische Geschichte in Denkmälern, also recht eigene-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/99
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/99>, abgerufen am 23.07.2024.