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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Denkmäler in der Siegesallee zu Berlin

Kaiser Wilhelm II. hat die Regierung in der Absicht angetreten, die Erb¬
schaft seiner Vorfahren nicht thatenlos zu genießen, sondern sie zu vergrößern.
Nicht bloß in politischen Dingen, die uns hier nichts angehen, sondern auch
in allen Sachen, die die geistige Kultur in ihren vielen Erscheinungsformen
betreffen. Unmittelbar nach der Beendigung der Befreiungskriege tauchte die
Idee eines protestantischen Doms auf, der in Berlin, der Hauptstadt des
deutschen Protestantismus, zugleich als Erinnernngsdenkmal an die Abschütte-
lung des französischen Jochs errichtet werden sollte. Friedrich Wilhelm III.
und Friedrich Wilhelm IV. haben sich mit Eifer um die Verwirklichung dieses
Gedankens bemüht, aber ohne greifbaren Erfolg. Unter Wilhelm I. nahm der
Gedanke durch eine große Konkurrenz wieder eine festere Gestalt an. Die
Ausführung wurde jedoch wieder auf unbestimmte Zeit verschoben. Insgeheim
arbeitete Kronprinz Friedrich Wilhelm daran weiter; aber erst der Entschlossen¬
heit seines Sohnes haben wir es zu verdanken, daß der Dom jetzt, im Äußern
fast vollendet, vor uns steht, ohne daß die Ausführung dnrch abermalige Kon¬
kurrenzen aufgehalten worden ist.

Ein Herrscher, der so rücksichtslos durchgreift und zu schneller Verwirk¬
lichung lange hingezogner Unternehmungen drängt, muß freilich Geschmack und
Urteilskraft genug haben, allen spätern kritischen Einwänden begegnen zu
können. Diese Fähigkeiten oder Eigenschaften sind Kaiser Wilhelm II. bis¬
weilen abgesprochen worden. Besonders von denen, die von gründlich nach
allen Richtungen ausgefochtnen Konkurrenzen die erspießlichste Förderung der
Kunst erwarten. Es soll nicht verkannt werden, daß allgemeine Konkurrenzen
wenigstens den Vorteil haben, daß sie jungen Talenten die Möglichkeit ge¬
währen, schneller bekannt zu werden und rascher durchzudringen, es soll auch
nicht verschwiegen werden, daß ein geringeres Maß von Beschleunigung z.B.
der Ausführung des Kaiser Wilhelmdenkmals vielleicht vorteilhafter gewesen
wäre. Auf der andern Seite beflügelt aber auch das Vertrauen des Auftrag¬
gebers die Kraft des Künstlers, die in vielen fruchtlosen Konkurrenzen endlich
erlahmen würde, und diese Taktik des Kaisers hat gerade bei den Herrschcr-
standbildern in der Siegesallee, zu deren Ausführung er sich selbst die einzelnen
Künstler ausgewühlt und sozusagen herangebildet hat, einen glänzenden Sieg
gefeiert, den auch die Leute, denen der ganze Gedanke als unkünstlerisch wider¬
strebt hat, anerkennen werden.

Zweiunddreißig Standbilder, zu je sechzehn auf jeder Seite einer breiten
Allee verteilt, die den vorder" Teil des Tiergartens von Norden nach Süden
durchschneidet! Nicht allein zweiunddreißig ganze Figuren, sondern noch dazu
als Einfassung halbrunde Marmorbänke, aus deren Rückenlehnen je zwei
hermenartige Halbfiguren, also im ganzen vierundsechzig, herauswachsen! Auf
dem Papier nimmt sich ein solcher Plan allerdings sehr trocken und langweilig
aus, wenn auch bei weiten: nicht so langweilig, wie die langen Reihen von


Die Denkmäler in der Siegesallee zu Berlin

Kaiser Wilhelm II. hat die Regierung in der Absicht angetreten, die Erb¬
schaft seiner Vorfahren nicht thatenlos zu genießen, sondern sie zu vergrößern.
Nicht bloß in politischen Dingen, die uns hier nichts angehen, sondern auch
in allen Sachen, die die geistige Kultur in ihren vielen Erscheinungsformen
betreffen. Unmittelbar nach der Beendigung der Befreiungskriege tauchte die
Idee eines protestantischen Doms auf, der in Berlin, der Hauptstadt des
deutschen Protestantismus, zugleich als Erinnernngsdenkmal an die Abschütte-
lung des französischen Jochs errichtet werden sollte. Friedrich Wilhelm III.
und Friedrich Wilhelm IV. haben sich mit Eifer um die Verwirklichung dieses
Gedankens bemüht, aber ohne greifbaren Erfolg. Unter Wilhelm I. nahm der
Gedanke durch eine große Konkurrenz wieder eine festere Gestalt an. Die
Ausführung wurde jedoch wieder auf unbestimmte Zeit verschoben. Insgeheim
arbeitete Kronprinz Friedrich Wilhelm daran weiter; aber erst der Entschlossen¬
heit seines Sohnes haben wir es zu verdanken, daß der Dom jetzt, im Äußern
fast vollendet, vor uns steht, ohne daß die Ausführung dnrch abermalige Kon¬
kurrenzen aufgehalten worden ist.

Ein Herrscher, der so rücksichtslos durchgreift und zu schneller Verwirk¬
lichung lange hingezogner Unternehmungen drängt, muß freilich Geschmack und
Urteilskraft genug haben, allen spätern kritischen Einwänden begegnen zu
können. Diese Fähigkeiten oder Eigenschaften sind Kaiser Wilhelm II. bis¬
weilen abgesprochen worden. Besonders von denen, die von gründlich nach
allen Richtungen ausgefochtnen Konkurrenzen die erspießlichste Förderung der
Kunst erwarten. Es soll nicht verkannt werden, daß allgemeine Konkurrenzen
wenigstens den Vorteil haben, daß sie jungen Talenten die Möglichkeit ge¬
währen, schneller bekannt zu werden und rascher durchzudringen, es soll auch
nicht verschwiegen werden, daß ein geringeres Maß von Beschleunigung z.B.
der Ausführung des Kaiser Wilhelmdenkmals vielleicht vorteilhafter gewesen
wäre. Auf der andern Seite beflügelt aber auch das Vertrauen des Auftrag¬
gebers die Kraft des Künstlers, die in vielen fruchtlosen Konkurrenzen endlich
erlahmen würde, und diese Taktik des Kaisers hat gerade bei den Herrschcr-
standbildern in der Siegesallee, zu deren Ausführung er sich selbst die einzelnen
Künstler ausgewühlt und sozusagen herangebildet hat, einen glänzenden Sieg
gefeiert, den auch die Leute, denen der ganze Gedanke als unkünstlerisch wider¬
strebt hat, anerkennen werden.

Zweiunddreißig Standbilder, zu je sechzehn auf jeder Seite einer breiten
Allee verteilt, die den vorder« Teil des Tiergartens von Norden nach Süden
durchschneidet! Nicht allein zweiunddreißig ganze Figuren, sondern noch dazu
als Einfassung halbrunde Marmorbänke, aus deren Rückenlehnen je zwei
hermenartige Halbfiguren, also im ganzen vierundsechzig, herauswachsen! Auf
dem Papier nimmt sich ein solcher Plan allerdings sehr trocken und langweilig
aus, wenn auch bei weiten: nicht so langweilig, wie die langen Reihen von


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[0098] Die Denkmäler in der Siegesallee zu Berlin Kaiser Wilhelm II. hat die Regierung in der Absicht angetreten, die Erb¬ schaft seiner Vorfahren nicht thatenlos zu genießen, sondern sie zu vergrößern. Nicht bloß in politischen Dingen, die uns hier nichts angehen, sondern auch in allen Sachen, die die geistige Kultur in ihren vielen Erscheinungsformen betreffen. Unmittelbar nach der Beendigung der Befreiungskriege tauchte die Idee eines protestantischen Doms auf, der in Berlin, der Hauptstadt des deutschen Protestantismus, zugleich als Erinnernngsdenkmal an die Abschütte- lung des französischen Jochs errichtet werden sollte. Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. haben sich mit Eifer um die Verwirklichung dieses Gedankens bemüht, aber ohne greifbaren Erfolg. Unter Wilhelm I. nahm der Gedanke durch eine große Konkurrenz wieder eine festere Gestalt an. Die Ausführung wurde jedoch wieder auf unbestimmte Zeit verschoben. Insgeheim arbeitete Kronprinz Friedrich Wilhelm daran weiter; aber erst der Entschlossen¬ heit seines Sohnes haben wir es zu verdanken, daß der Dom jetzt, im Äußern fast vollendet, vor uns steht, ohne daß die Ausführung dnrch abermalige Kon¬ kurrenzen aufgehalten worden ist. Ein Herrscher, der so rücksichtslos durchgreift und zu schneller Verwirk¬ lichung lange hingezogner Unternehmungen drängt, muß freilich Geschmack und Urteilskraft genug haben, allen spätern kritischen Einwänden begegnen zu können. Diese Fähigkeiten oder Eigenschaften sind Kaiser Wilhelm II. bis¬ weilen abgesprochen worden. Besonders von denen, die von gründlich nach allen Richtungen ausgefochtnen Konkurrenzen die erspießlichste Förderung der Kunst erwarten. Es soll nicht verkannt werden, daß allgemeine Konkurrenzen wenigstens den Vorteil haben, daß sie jungen Talenten die Möglichkeit ge¬ währen, schneller bekannt zu werden und rascher durchzudringen, es soll auch nicht verschwiegen werden, daß ein geringeres Maß von Beschleunigung z.B. der Ausführung des Kaiser Wilhelmdenkmals vielleicht vorteilhafter gewesen wäre. Auf der andern Seite beflügelt aber auch das Vertrauen des Auftrag¬ gebers die Kraft des Künstlers, die in vielen fruchtlosen Konkurrenzen endlich erlahmen würde, und diese Taktik des Kaisers hat gerade bei den Herrschcr- standbildern in der Siegesallee, zu deren Ausführung er sich selbst die einzelnen Künstler ausgewühlt und sozusagen herangebildet hat, einen glänzenden Sieg gefeiert, den auch die Leute, denen der ganze Gedanke als unkünstlerisch wider¬ strebt hat, anerkennen werden. Zweiunddreißig Standbilder, zu je sechzehn auf jeder Seite einer breiten Allee verteilt, die den vorder« Teil des Tiergartens von Norden nach Süden durchschneidet! Nicht allein zweiunddreißig ganze Figuren, sondern noch dazu als Einfassung halbrunde Marmorbänke, aus deren Rückenlehnen je zwei hermenartige Halbfiguren, also im ganzen vierundsechzig, herauswachsen! Auf dem Papier nimmt sich ein solcher Plan allerdings sehr trocken und langweilig aus, wenn auch bei weiten: nicht so langweilig, wie die langen Reihen von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/98>, abgerufen am 27.12.2024.