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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse

der natürlichen Bodenverhältnisse etwas entfernt. Sehen wir aber auch davon
ab, selbst dann wird dem Thone keine führende Rolle zugewiesen werden
dürfen. Er ist einerseits zu bildsam, andrerseits -- wenn er nicht ganz
raffinirt behandelt wird -- zu wenig formfähig, formbildend. Er wird durch
die zu große Leichtigkeit der Bearbeitung einem erst zum glückhaften Gestirn
der Kunst emporstrebenden Volke die wachsende Kraft mindern, die im Feuer
des Widerstands, des Ringens erstarken soll, und aus der andern Seite ist
die Formengebung nicht scharf genug, sodaß die Formenanschauung nicht ge¬
nügend gekräftigt wird.

Die Nachteile der Thonplastik sind ja auch neuerdings von einem unsrer
besten lebenden Bildhauer, Hildebrandt, der gerade für die Form sehr empfindlich
ist, hervorgehoben worden. Er schreibt: "Das Modelliren in Thon hat seinen
Wert beim Studium der Natur, um Bewegungsvorstellungen zu gewinnen und
alle Erkenntnis der Form zu fördern, entwickelt aber nicht die künstlerische
Einigung des Ganzen als Bildvorstellung." Wenn also sogar ein angehender
Künstler der Gegenwart durch dies Material so schwer geschädigt werden kann,
um wie viel mehr Menschen, die am Beginn der Entwicklung der Kunst stehen!
Daß die Thonplastik nichts desto weniger bewundrungswerte Werke hervor¬
gebracht hat, wissen wir alle, denn wer kennt nicht die Tanagrasiguren, die
etruskischen Porträts, die Büsten im steinarmen Gebiet von Bologna, die herr¬
lichen Gebilde eines Donatello, eines Begarelli, die Nobbiaarbeiten? Ähnliche
Schwierigkeiten bietet das Holz als plastisches Material. Und doch könnte
man fragen: Ist ein Eichen-, ein Virkenstamm nicht fest gefügt und doch bild¬
sam, ist das Holz nicht widerstandsfähig gegen Wind und Wetter, steht es
nicht in großen Stücken und in kleinen zur Verfügung, kann man es nicht
bemalen, damit es der Natur täuschend ähnele, das Auge erfreue und befriedige?
Haben wir nicht hervorragende in Holz geschnittne Meisterwerke, wissen wir
nicht, daß die ältesten Werke thatsächlich aus Holz geschnitzt waren? -- Gewiß,
und doch darf man dem Holze unter den Materialien, die die natürlichen
Bodenverhältnisse darbieten, nnr eine zweite Stelle einräumen, obgleich wir
sogar bereit sind, zuzugestehen, daß das Holz dein Menschen vielleicht die erste
Anregung zur Bethätigung seines plastischen Triebes gegeben hat. Das Holz
mußte seiner Natur wegen schnell vom echten Stein verdrängt werden. Es
hat durch seine Faserung, durch seine verschiednen Schnittflächen, durch die
Unfähigkeit, gleich dem Marmor durch technische Behandlung eine "Epidermis"
anzunehmen, das Licht einzusaugen und wieder ausgehe" zu lassen, mit einem
Worte, durch seine Leblosigkeit die köstliche Himmelsgabe des festen Marmor¬
steines nicht erhalten, von der Michelangelo singt: "Des besten Künstlers
herrlichsten Gedanken -- ein einzger Marmor kann ihn ganz enthalten." Die
spätern Zeiten haben dem Holze Leben zu geben versucht durch Bemalung,
durch Tönung, durch Einsetzen von andern Stücken, sodaß die Faserung gleich-


Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse

der natürlichen Bodenverhältnisse etwas entfernt. Sehen wir aber auch davon
ab, selbst dann wird dem Thone keine führende Rolle zugewiesen werden
dürfen. Er ist einerseits zu bildsam, andrerseits — wenn er nicht ganz
raffinirt behandelt wird — zu wenig formfähig, formbildend. Er wird durch
die zu große Leichtigkeit der Bearbeitung einem erst zum glückhaften Gestirn
der Kunst emporstrebenden Volke die wachsende Kraft mindern, die im Feuer
des Widerstands, des Ringens erstarken soll, und aus der andern Seite ist
die Formengebung nicht scharf genug, sodaß die Formenanschauung nicht ge¬
nügend gekräftigt wird.

Die Nachteile der Thonplastik sind ja auch neuerdings von einem unsrer
besten lebenden Bildhauer, Hildebrandt, der gerade für die Form sehr empfindlich
ist, hervorgehoben worden. Er schreibt: „Das Modelliren in Thon hat seinen
Wert beim Studium der Natur, um Bewegungsvorstellungen zu gewinnen und
alle Erkenntnis der Form zu fördern, entwickelt aber nicht die künstlerische
Einigung des Ganzen als Bildvorstellung." Wenn also sogar ein angehender
Künstler der Gegenwart durch dies Material so schwer geschädigt werden kann,
um wie viel mehr Menschen, die am Beginn der Entwicklung der Kunst stehen!
Daß die Thonplastik nichts desto weniger bewundrungswerte Werke hervor¬
gebracht hat, wissen wir alle, denn wer kennt nicht die Tanagrasiguren, die
etruskischen Porträts, die Büsten im steinarmen Gebiet von Bologna, die herr¬
lichen Gebilde eines Donatello, eines Begarelli, die Nobbiaarbeiten? Ähnliche
Schwierigkeiten bietet das Holz als plastisches Material. Und doch könnte
man fragen: Ist ein Eichen-, ein Virkenstamm nicht fest gefügt und doch bild¬
sam, ist das Holz nicht widerstandsfähig gegen Wind und Wetter, steht es
nicht in großen Stücken und in kleinen zur Verfügung, kann man es nicht
bemalen, damit es der Natur täuschend ähnele, das Auge erfreue und befriedige?
Haben wir nicht hervorragende in Holz geschnittne Meisterwerke, wissen wir
nicht, daß die ältesten Werke thatsächlich aus Holz geschnitzt waren? — Gewiß,
und doch darf man dem Holze unter den Materialien, die die natürlichen
Bodenverhältnisse darbieten, nnr eine zweite Stelle einräumen, obgleich wir
sogar bereit sind, zuzugestehen, daß das Holz dein Menschen vielleicht die erste
Anregung zur Bethätigung seines plastischen Triebes gegeben hat. Das Holz
mußte seiner Natur wegen schnell vom echten Stein verdrängt werden. Es
hat durch seine Faserung, durch seine verschiednen Schnittflächen, durch die
Unfähigkeit, gleich dem Marmor durch technische Behandlung eine „Epidermis"
anzunehmen, das Licht einzusaugen und wieder ausgehe» zu lassen, mit einem
Worte, durch seine Leblosigkeit die köstliche Himmelsgabe des festen Marmor¬
steines nicht erhalten, von der Michelangelo singt: „Des besten Künstlers
herrlichsten Gedanken — ein einzger Marmor kann ihn ganz enthalten." Die
spätern Zeiten haben dem Holze Leben zu geben versucht durch Bemalung,
durch Tönung, durch Einsetzen von andern Stücken, sodaß die Faserung gleich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/90>, abgerufen am 23.07.2024.