Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.?le niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika die Häupter der Abgeordneten, die nach alter schlechter deutscher Sitte die Da man von seinen Feinden am besten lernen kann, so ist ein Hinweis Als die Mißgunst der Großmächte den Oraniern ohne jeden Grund die ?le niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika die Häupter der Abgeordneten, die nach alter schlechter deutscher Sitte die Da man von seinen Feinden am besten lernen kann, so ist ein Hinweis Als die Mißgunst der Großmächte den Oraniern ohne jeden Grund die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227713"/> <fw type="header" place="top"> ?le niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika</fw><lb/> <p xml:id="ID_192" prev="#ID_191"> die Häupter der Abgeordneten, die nach alter schlechter deutscher Sitte die<lb/> Ausländerei besonders im zierlichen französischen Gewände so inniglich lieben.<lb/> Siehe da, auch die vlcimische Mehrheit in der Kammer fiel um, und der be¬<lb/> deutungsvolle Schritt auf der Leidcnsbahn des niederdeutschen Volkstums in<lb/> Belgien wurde verschoben. Freilich standen Hof und Regierung diesem Treiben<lb/> nicht fern. Der amtliche Zuschnitt ist in Belgien noch französisch. Die Be¬<lb/> amten und Anwälte fürchten für ihre Stellung, wenn sie plötzlich in der alten<lb/> Volkssprache ihren Gedanken Ausdruck geben sollen, was sie leider trotz<lb/> ihrer deutschen Abstammung mit der dem Deutschtum eignen Schnelligkeit<lb/> verlernt haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_193"> Da man von seinen Feinden am besten lernen kann, so ist ein Hinweis<lb/> auf Ungarn für die Vlamen nicht nutzlos. Dort hat auch eine absolute<lb/> Minderheit durch eiserne Thatkraft und Rücksichtslosigkeit aus der rohen<lb/> Sprache der Pferdehirten der Pußta in einem Menschenalter eine Amts- und<lb/> Litteratursprache geschaffen. Die deutsche Kultursprache hat die Kosten tragen<lb/> müssen. In Belgien ist die niederdeutsche Sprache aber die Mundart<lb/> der Mehrheit und der französischen ebenbürtig. Am Ausgang des Mittel¬<lb/> alters standen die Niederlande auf der höchsten Bildungsstufe in Deutschland,<lb/> und doch war der heimatliche Laut das jetzige Vlämisch. Im Norden hat<lb/> sich die niederdeutsche Sprache als Alleinherrscherin erhalten, und Holländisch<lb/> und Vlämisch sind nur verschiedne Bezeichnungen sür die gleiche Schriftsprache.<lb/> Die mundartliche Abweichung ist geringer als in den hochdeutschen Idiomen.<lb/> Unsre belgischen Volksgenossen haben ein Recht, unsre werkthätige Teilnahme<lb/> an ihrem Geschick zu verlangen, die sich bisher nur in platonischer Liebe<lb/> geäußert hat. Ihr Führer Coremans hat dem Unterzeichneten vor Jahren<lb/> seine Dankbarkeit für die deutschen Shmpathiebezeugungen ausgesprochen. Aber<lb/> wir können von den deutscheu Belgiern das lebendige Gefühl des gemein¬<lb/> samen größern Vaterlandes nicht erwarten, wenn sie nicht ein machtvolles<lb/> Eintreten für das Daseinsrecht ihres Volksstammes durch ihre Brüder jenseits<lb/> des Rheins sehen. Einst hat sie das Habsburgische Österreich verlassen.<lb/> Wollen wir diesem Beispiel folgen, um den Verlust eines weitern Gliedes<lb/> des alten Reiches zu betrauern, das deutscher ist als die Lande jenseits der<lb/> Elbe? An der Schelde ist uralter deutscher Volksboden; Preußen ist vor¬<lb/> wiegend Siedlungsbvden, wo der deutsche Einwandrer den vormals germanischen<lb/> Grund erst wieder dem Deutschtum gewonnen hat. Schließlich dürfte auch<lb/> noch der Umstand deutscherseits nicht außer acht zu lassen sein, daß im bel¬<lb/> gischen Luxemburg und Lüttich die Volkssprache noch gegenwärtig hochdeutsch ist<lb/> und als Dienstsprache gefordert wird, obwohl das amtliche Französisch reißende<lb/> Fortschritte macht.</p><lb/> <p xml:id="ID_194" next="#ID_195"> Als die Mißgunst der Großmächte den Oraniern ohne jeden Grund die<lb/> österreichischen Niederlande schenkte, um sie dauernd aus dem alten Reichs- und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0077]
?le niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika
die Häupter der Abgeordneten, die nach alter schlechter deutscher Sitte die
Ausländerei besonders im zierlichen französischen Gewände so inniglich lieben.
Siehe da, auch die vlcimische Mehrheit in der Kammer fiel um, und der be¬
deutungsvolle Schritt auf der Leidcnsbahn des niederdeutschen Volkstums in
Belgien wurde verschoben. Freilich standen Hof und Regierung diesem Treiben
nicht fern. Der amtliche Zuschnitt ist in Belgien noch französisch. Die Be¬
amten und Anwälte fürchten für ihre Stellung, wenn sie plötzlich in der alten
Volkssprache ihren Gedanken Ausdruck geben sollen, was sie leider trotz
ihrer deutschen Abstammung mit der dem Deutschtum eignen Schnelligkeit
verlernt haben.
Da man von seinen Feinden am besten lernen kann, so ist ein Hinweis
auf Ungarn für die Vlamen nicht nutzlos. Dort hat auch eine absolute
Minderheit durch eiserne Thatkraft und Rücksichtslosigkeit aus der rohen
Sprache der Pferdehirten der Pußta in einem Menschenalter eine Amts- und
Litteratursprache geschaffen. Die deutsche Kultursprache hat die Kosten tragen
müssen. In Belgien ist die niederdeutsche Sprache aber die Mundart
der Mehrheit und der französischen ebenbürtig. Am Ausgang des Mittel¬
alters standen die Niederlande auf der höchsten Bildungsstufe in Deutschland,
und doch war der heimatliche Laut das jetzige Vlämisch. Im Norden hat
sich die niederdeutsche Sprache als Alleinherrscherin erhalten, und Holländisch
und Vlämisch sind nur verschiedne Bezeichnungen sür die gleiche Schriftsprache.
Die mundartliche Abweichung ist geringer als in den hochdeutschen Idiomen.
Unsre belgischen Volksgenossen haben ein Recht, unsre werkthätige Teilnahme
an ihrem Geschick zu verlangen, die sich bisher nur in platonischer Liebe
geäußert hat. Ihr Führer Coremans hat dem Unterzeichneten vor Jahren
seine Dankbarkeit für die deutschen Shmpathiebezeugungen ausgesprochen. Aber
wir können von den deutscheu Belgiern das lebendige Gefühl des gemein¬
samen größern Vaterlandes nicht erwarten, wenn sie nicht ein machtvolles
Eintreten für das Daseinsrecht ihres Volksstammes durch ihre Brüder jenseits
des Rheins sehen. Einst hat sie das Habsburgische Österreich verlassen.
Wollen wir diesem Beispiel folgen, um den Verlust eines weitern Gliedes
des alten Reiches zu betrauern, das deutscher ist als die Lande jenseits der
Elbe? An der Schelde ist uralter deutscher Volksboden; Preußen ist vor¬
wiegend Siedlungsbvden, wo der deutsche Einwandrer den vormals germanischen
Grund erst wieder dem Deutschtum gewonnen hat. Schließlich dürfte auch
noch der Umstand deutscherseits nicht außer acht zu lassen sein, daß im bel¬
gischen Luxemburg und Lüttich die Volkssprache noch gegenwärtig hochdeutsch ist
und als Dienstsprache gefordert wird, obwohl das amtliche Französisch reißende
Fortschritte macht.
Als die Mißgunst der Großmächte den Oraniern ohne jeden Grund die
österreichischen Niederlande schenkte, um sie dauernd aus dem alten Reichs- und
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