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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

genossen werden die besten Streiter auf feindlicher Seite sein, wie ja stets
in den endlosen Eroberungskriegen französischen Übermuts. Ein vlämisches
Belgien bedeutet das unangreifbare Übergewicht Deutschlands, dessen natür¬
licher Bundesgenosse es sein wird, ohne seine Selbständigkeit aufgeben zu
müssen, für deren Erhaltung schon die bundesstaatliche Verfassung des
Reichs die erforderliche Gewähr bietet. Unsre auswärtige Politik würde
sich daher einer schweren Unterlassungssünde schuldig machen, wenn sie der
Entwicklung der vlämischen Verhältnisse gegenüber gleichgiltig bliebe.

Es handelt sich um keine politische Einmischung in die innere Verwaltung
eines fremden Staates. Aber wir dürfen die Anbiederungsversuche, wenn sie
jetzt auch nur versteckt und als moralische Eroberung auftreten, wie sie Frank¬
reich und sein wallonischer Anhang betreiben, nicht mit falscher Gelassenheit
unbeachtet lassen. Das belgische Königtum hat trotz seiner deutscheu Ab¬
stammung nie national empfunden, sondern den Mantel nach dem Winde
gehängt, da der Grund seiner Herrschaft in diesem Musterstaate der Verfassung
nur schwankend ist. Es muß Partei für das niederdeutsche Volkstum er¬
greisen, sobald es dessen Stärke erkennt, die es vor den Fährnissen einer so¬
zialen Umwälzung bewahrt, die gerade von Frankreich eifrig geschürt wird.
Aus dieser Erwägung erscheint auch der deutschen Politik die Erhaltung des
belgischen Scheinkönigtums wünschenswert, da die sozialistische batavische Re¬
publik sofort Anschluß an die größere französische Schwester suchen müßte und
finden würde. Aber es ist ein ehrendes Zeichen für das nationale Empfinden
belgischer Sozialisier,, das bei unsern Gesinnungsgenossen freilich gänzlich fehlt,
daß einer ihrer Abgeordneten in der Kammer für sein angestammtes Volks-
tum eintrat, obwohl das wesentlich liberale Wallonentum der sozialistischen
Parteigesinnung mehr entspricht, und die französischen "Genossen" nur allzu
absichtlich den belgischen ihre gefährliche Freundschaft aufdrängen. Aber die
vatcrlandslose Feindschaft der höhern und besitzenden Stände in diesem Lande
der Plutokratie hat bisher stets die endliche Forderung der Gleichberechtigung
beider Sprachen trotz des unbestreitbaren und geschichtlichen Vorrechts der
niederdeutschen Mundart geschickt zu vertagen verstanden.

Auch die neuste Entwicklung dieses Sprachenstreites hat die ungerecht¬
fertigte Gegnerschaft des wallonischen Renegatentums in seiner ganzen Stärke
dargethan. Die Kammer hatte die Notwendigkeit des Gebrauchs beider
Sprachen im dienstlichen Verkehr des Staates, also die Anerkennung der
niederdeutschen als Amtssprache neben der so lauge allein herrschenden fran¬
zösischen durch Annahme eines entsprechenden vlänüschen Gesetzentwurfes zu¬
gestanden. Der Senat wollte bloß die Übersetzung des französischen Textes
jeder amtlichen Kundgebung zulassen. Diese Abstimmung war lediglich durch
den Verrat vlämischer Senatoren an der nationalen Sache möglich; aber in¬
zwischen spann ein feines Ränkespiel geschäftig auch sinnverwirrende Fäden um


Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

genossen werden die besten Streiter auf feindlicher Seite sein, wie ja stets
in den endlosen Eroberungskriegen französischen Übermuts. Ein vlämisches
Belgien bedeutet das unangreifbare Übergewicht Deutschlands, dessen natür¬
licher Bundesgenosse es sein wird, ohne seine Selbständigkeit aufgeben zu
müssen, für deren Erhaltung schon die bundesstaatliche Verfassung des
Reichs die erforderliche Gewähr bietet. Unsre auswärtige Politik würde
sich daher einer schweren Unterlassungssünde schuldig machen, wenn sie der
Entwicklung der vlämischen Verhältnisse gegenüber gleichgiltig bliebe.

Es handelt sich um keine politische Einmischung in die innere Verwaltung
eines fremden Staates. Aber wir dürfen die Anbiederungsversuche, wenn sie
jetzt auch nur versteckt und als moralische Eroberung auftreten, wie sie Frank¬
reich und sein wallonischer Anhang betreiben, nicht mit falscher Gelassenheit
unbeachtet lassen. Das belgische Königtum hat trotz seiner deutscheu Ab¬
stammung nie national empfunden, sondern den Mantel nach dem Winde
gehängt, da der Grund seiner Herrschaft in diesem Musterstaate der Verfassung
nur schwankend ist. Es muß Partei für das niederdeutsche Volkstum er¬
greisen, sobald es dessen Stärke erkennt, die es vor den Fährnissen einer so¬
zialen Umwälzung bewahrt, die gerade von Frankreich eifrig geschürt wird.
Aus dieser Erwägung erscheint auch der deutschen Politik die Erhaltung des
belgischen Scheinkönigtums wünschenswert, da die sozialistische batavische Re¬
publik sofort Anschluß an die größere französische Schwester suchen müßte und
finden würde. Aber es ist ein ehrendes Zeichen für das nationale Empfinden
belgischer Sozialisier,, das bei unsern Gesinnungsgenossen freilich gänzlich fehlt,
daß einer ihrer Abgeordneten in der Kammer für sein angestammtes Volks-
tum eintrat, obwohl das wesentlich liberale Wallonentum der sozialistischen
Parteigesinnung mehr entspricht, und die französischen „Genossen" nur allzu
absichtlich den belgischen ihre gefährliche Freundschaft aufdrängen. Aber die
vatcrlandslose Feindschaft der höhern und besitzenden Stände in diesem Lande
der Plutokratie hat bisher stets die endliche Forderung der Gleichberechtigung
beider Sprachen trotz des unbestreitbaren und geschichtlichen Vorrechts der
niederdeutschen Mundart geschickt zu vertagen verstanden.

Auch die neuste Entwicklung dieses Sprachenstreites hat die ungerecht¬
fertigte Gegnerschaft des wallonischen Renegatentums in seiner ganzen Stärke
dargethan. Die Kammer hatte die Notwendigkeit des Gebrauchs beider
Sprachen im dienstlichen Verkehr des Staates, also die Anerkennung der
niederdeutschen als Amtssprache neben der so lauge allein herrschenden fran¬
zösischen durch Annahme eines entsprechenden vlänüschen Gesetzentwurfes zu¬
gestanden. Der Senat wollte bloß die Übersetzung des französischen Textes
jeder amtlichen Kundgebung zulassen. Diese Abstimmung war lediglich durch
den Verrat vlämischer Senatoren an der nationalen Sache möglich; aber in¬
zwischen spann ein feines Ränkespiel geschäftig auch sinnverwirrende Fäden um


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[0076] Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika genossen werden die besten Streiter auf feindlicher Seite sein, wie ja stets in den endlosen Eroberungskriegen französischen Übermuts. Ein vlämisches Belgien bedeutet das unangreifbare Übergewicht Deutschlands, dessen natür¬ licher Bundesgenosse es sein wird, ohne seine Selbständigkeit aufgeben zu müssen, für deren Erhaltung schon die bundesstaatliche Verfassung des Reichs die erforderliche Gewähr bietet. Unsre auswärtige Politik würde sich daher einer schweren Unterlassungssünde schuldig machen, wenn sie der Entwicklung der vlämischen Verhältnisse gegenüber gleichgiltig bliebe. Es handelt sich um keine politische Einmischung in die innere Verwaltung eines fremden Staates. Aber wir dürfen die Anbiederungsversuche, wenn sie jetzt auch nur versteckt und als moralische Eroberung auftreten, wie sie Frank¬ reich und sein wallonischer Anhang betreiben, nicht mit falscher Gelassenheit unbeachtet lassen. Das belgische Königtum hat trotz seiner deutscheu Ab¬ stammung nie national empfunden, sondern den Mantel nach dem Winde gehängt, da der Grund seiner Herrschaft in diesem Musterstaate der Verfassung nur schwankend ist. Es muß Partei für das niederdeutsche Volkstum er¬ greisen, sobald es dessen Stärke erkennt, die es vor den Fährnissen einer so¬ zialen Umwälzung bewahrt, die gerade von Frankreich eifrig geschürt wird. Aus dieser Erwägung erscheint auch der deutschen Politik die Erhaltung des belgischen Scheinkönigtums wünschenswert, da die sozialistische batavische Re¬ publik sofort Anschluß an die größere französische Schwester suchen müßte und finden würde. Aber es ist ein ehrendes Zeichen für das nationale Empfinden belgischer Sozialisier,, das bei unsern Gesinnungsgenossen freilich gänzlich fehlt, daß einer ihrer Abgeordneten in der Kammer für sein angestammtes Volks- tum eintrat, obwohl das wesentlich liberale Wallonentum der sozialistischen Parteigesinnung mehr entspricht, und die französischen „Genossen" nur allzu absichtlich den belgischen ihre gefährliche Freundschaft aufdrängen. Aber die vatcrlandslose Feindschaft der höhern und besitzenden Stände in diesem Lande der Plutokratie hat bisher stets die endliche Forderung der Gleichberechtigung beider Sprachen trotz des unbestreitbaren und geschichtlichen Vorrechts der niederdeutschen Mundart geschickt zu vertagen verstanden. Auch die neuste Entwicklung dieses Sprachenstreites hat die ungerecht¬ fertigte Gegnerschaft des wallonischen Renegatentums in seiner ganzen Stärke dargethan. Die Kammer hatte die Notwendigkeit des Gebrauchs beider Sprachen im dienstlichen Verkehr des Staates, also die Anerkennung der niederdeutschen als Amtssprache neben der so lauge allein herrschenden fran¬ zösischen durch Annahme eines entsprechenden vlänüschen Gesetzentwurfes zu¬ gestanden. Der Senat wollte bloß die Übersetzung des französischen Textes jeder amtlichen Kundgebung zulassen. Diese Abstimmung war lediglich durch den Verrat vlämischer Senatoren an der nationalen Sache möglich; aber in¬ zwischen spann ein feines Ränkespiel geschäftig auch sinnverwirrende Fäden um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/76>, abgerufen am 23.07.2024.