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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich der Große und England

Feindseligkeiten doch zu allererst ausgesetzt. Der Appell an den Protestantismus
verfehlte beim Könige, wie man sich denken kann, seinen Zweck vollständig.
Was aber Österreich angehe -- der Beitritt zum Familienpakt mache ihm den
Übergang zu England unmöglich, und dann sei Maria Theresia deshalb nicht
für England zu haben, weil es die Behandlung, die Österreich im Utrechter
Frieden erfahren habe, nicht vergessen könne. Kaunitz sage das jedem, der es
hören wolle: "Diese Engländer zahlen, aber sie verlangen grausame Opfer für
ihr Geld!" "Das, mein lieber Neffe, fährt der König fort, ist die Reputation,
die sich Ihre Engländer verschafft haben. Sie wissen, was mir geschehen ist,
und daß ich meine Existenz nur einem glücklichen Zufall verdanke, der mich
aufrecht hielt, als man mich verraten hatte. Wenn man in England verständig
denkt, so soll man zufrieden sein, wenn ein tief beleidigter Freund lorusllkinöiit,
1ö8(y seinen Groll unterdrückt, und das ist viel; sich aber einzubilden, daß es
genüge, betrügen zu wollen und gleich Dumme zu finden, dabei könnte man
doch schlechte Erfahrungen machen. Soviel von Politik, mein lieber Neffe. Sie
ist nicht nach der Art des Macchiavell; der würde die Dinge dahin getrieben
haben, sich mit Glanz zu rächen: dazu bin ich nicht imstande. Ich begnüge
mich, auf meine eignen Kosten weise geworden zu sein und in meinem Alter
keine dummen Streiche (sottisss) mehr zu machen."

Das letzte der Schreiben Friedrichs an Karl Wilhelm Ferdinand in dieser
Angelegenheit scheint mir ganz besondrer Aufmerksamkeit wert. Es ist datirt vom
10. Februar 1766. Der Erbprinz hatte bei seiner Erwiderung auf einen der
ablehnenden Briefe des Königs diesem die Verwirrung der englischen innern
Zustände geschildert -- es war die Zeit, in der die Aufhebung der Stempel¬
akte durchgesetzt wurde, wo England zum erstenmal in Konflikt mit seinen
"westindischen Kolonien," d. h. mit Amerika kam. Er hatte dabei von dem
Wortschwall der Parlamentsredner gesprochen und als charakteristisch "eine
Menge harter Ausdrücke, jeden, der nicht zur Nation gehört, beleidigend" er¬
wähnt. Im übrigen hatte der Erbprinz die äußerst schwierige Lage der englischen
Regierung gegenüber seinen Kolonien geschildert, die Unmöglichkeit, auf diese
einen Zwang auszuüben: die englischen Truppen in Amerika seien schwach und
über weite Gebiete zerstreut, die Truppen in England selbst schlecht disziplinirt,
während die Bewohner der Kolonien durch den letzten Krieg militärisch geschult
seien.

Bei dieser Sachlage -- und sie war, wie später der Unabhängigkeitskrieg
genügend offenbaren sollte, in der That für England höchst kritisch -- fiel es
König Friedrich nicht schwer, den Großmütigen zu spielen. In seiner Antwort
geht er denn auch zunächst auf die mißliche Lage der englischen Negierung
ein. Was ihn betreffe, so werde er abwarten, ob sich das Ministerium in den
jetzigen Wirren halten werde, und was Spanien in dem Konflikt über Manilla
(der damals einer Krisis zutrieb) thun werde; er erwarte ferner, daß die Partei


Friedrich der Große und England

Feindseligkeiten doch zu allererst ausgesetzt. Der Appell an den Protestantismus
verfehlte beim Könige, wie man sich denken kann, seinen Zweck vollständig.
Was aber Österreich angehe — der Beitritt zum Familienpakt mache ihm den
Übergang zu England unmöglich, und dann sei Maria Theresia deshalb nicht
für England zu haben, weil es die Behandlung, die Österreich im Utrechter
Frieden erfahren habe, nicht vergessen könne. Kaunitz sage das jedem, der es
hören wolle: „Diese Engländer zahlen, aber sie verlangen grausame Opfer für
ihr Geld!" „Das, mein lieber Neffe, fährt der König fort, ist die Reputation,
die sich Ihre Engländer verschafft haben. Sie wissen, was mir geschehen ist,
und daß ich meine Existenz nur einem glücklichen Zufall verdanke, der mich
aufrecht hielt, als man mich verraten hatte. Wenn man in England verständig
denkt, so soll man zufrieden sein, wenn ein tief beleidigter Freund lorusllkinöiit,
1ö8(y seinen Groll unterdrückt, und das ist viel; sich aber einzubilden, daß es
genüge, betrügen zu wollen und gleich Dumme zu finden, dabei könnte man
doch schlechte Erfahrungen machen. Soviel von Politik, mein lieber Neffe. Sie
ist nicht nach der Art des Macchiavell; der würde die Dinge dahin getrieben
haben, sich mit Glanz zu rächen: dazu bin ich nicht imstande. Ich begnüge
mich, auf meine eignen Kosten weise geworden zu sein und in meinem Alter
keine dummen Streiche (sottisss) mehr zu machen."

Das letzte der Schreiben Friedrichs an Karl Wilhelm Ferdinand in dieser
Angelegenheit scheint mir ganz besondrer Aufmerksamkeit wert. Es ist datirt vom
10. Februar 1766. Der Erbprinz hatte bei seiner Erwiderung auf einen der
ablehnenden Briefe des Königs diesem die Verwirrung der englischen innern
Zustände geschildert — es war die Zeit, in der die Aufhebung der Stempel¬
akte durchgesetzt wurde, wo England zum erstenmal in Konflikt mit seinen
„westindischen Kolonien," d. h. mit Amerika kam. Er hatte dabei von dem
Wortschwall der Parlamentsredner gesprochen und als charakteristisch „eine
Menge harter Ausdrücke, jeden, der nicht zur Nation gehört, beleidigend" er¬
wähnt. Im übrigen hatte der Erbprinz die äußerst schwierige Lage der englischen
Regierung gegenüber seinen Kolonien geschildert, die Unmöglichkeit, auf diese
einen Zwang auszuüben: die englischen Truppen in Amerika seien schwach und
über weite Gebiete zerstreut, die Truppen in England selbst schlecht disziplinirt,
während die Bewohner der Kolonien durch den letzten Krieg militärisch geschult
seien.

Bei dieser Sachlage — und sie war, wie später der Unabhängigkeitskrieg
genügend offenbaren sollte, in der That für England höchst kritisch — fiel es
König Friedrich nicht schwer, den Großmütigen zu spielen. In seiner Antwort
geht er denn auch zunächst auf die mißliche Lage der englischen Negierung
ein. Was ihn betreffe, so werde er abwarten, ob sich das Ministerium in den
jetzigen Wirren halten werde, und was Spanien in dem Konflikt über Manilla
(der damals einer Krisis zutrieb) thun werde; er erwarte ferner, daß die Partei


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[0070] Friedrich der Große und England Feindseligkeiten doch zu allererst ausgesetzt. Der Appell an den Protestantismus verfehlte beim Könige, wie man sich denken kann, seinen Zweck vollständig. Was aber Österreich angehe — der Beitritt zum Familienpakt mache ihm den Übergang zu England unmöglich, und dann sei Maria Theresia deshalb nicht für England zu haben, weil es die Behandlung, die Österreich im Utrechter Frieden erfahren habe, nicht vergessen könne. Kaunitz sage das jedem, der es hören wolle: „Diese Engländer zahlen, aber sie verlangen grausame Opfer für ihr Geld!" „Das, mein lieber Neffe, fährt der König fort, ist die Reputation, die sich Ihre Engländer verschafft haben. Sie wissen, was mir geschehen ist, und daß ich meine Existenz nur einem glücklichen Zufall verdanke, der mich aufrecht hielt, als man mich verraten hatte. Wenn man in England verständig denkt, so soll man zufrieden sein, wenn ein tief beleidigter Freund lorusllkinöiit, 1ö8(y seinen Groll unterdrückt, und das ist viel; sich aber einzubilden, daß es genüge, betrügen zu wollen und gleich Dumme zu finden, dabei könnte man doch schlechte Erfahrungen machen. Soviel von Politik, mein lieber Neffe. Sie ist nicht nach der Art des Macchiavell; der würde die Dinge dahin getrieben haben, sich mit Glanz zu rächen: dazu bin ich nicht imstande. Ich begnüge mich, auf meine eignen Kosten weise geworden zu sein und in meinem Alter keine dummen Streiche (sottisss) mehr zu machen." Das letzte der Schreiben Friedrichs an Karl Wilhelm Ferdinand in dieser Angelegenheit scheint mir ganz besondrer Aufmerksamkeit wert. Es ist datirt vom 10. Februar 1766. Der Erbprinz hatte bei seiner Erwiderung auf einen der ablehnenden Briefe des Königs diesem die Verwirrung der englischen innern Zustände geschildert — es war die Zeit, in der die Aufhebung der Stempel¬ akte durchgesetzt wurde, wo England zum erstenmal in Konflikt mit seinen „westindischen Kolonien," d. h. mit Amerika kam. Er hatte dabei von dem Wortschwall der Parlamentsredner gesprochen und als charakteristisch „eine Menge harter Ausdrücke, jeden, der nicht zur Nation gehört, beleidigend" er¬ wähnt. Im übrigen hatte der Erbprinz die äußerst schwierige Lage der englischen Regierung gegenüber seinen Kolonien geschildert, die Unmöglichkeit, auf diese einen Zwang auszuüben: die englischen Truppen in Amerika seien schwach und über weite Gebiete zerstreut, die Truppen in England selbst schlecht disziplinirt, während die Bewohner der Kolonien durch den letzten Krieg militärisch geschult seien. Bei dieser Sachlage — und sie war, wie später der Unabhängigkeitskrieg genügend offenbaren sollte, in der That für England höchst kritisch — fiel es König Friedrich nicht schwer, den Großmütigen zu spielen. In seiner Antwort geht er denn auch zunächst auf die mißliche Lage der englischen Negierung ein. Was ihn betreffe, so werde er abwarten, ob sich das Ministerium in den jetzigen Wirren halten werde, und was Spanien in dem Konflikt über Manilla (der damals einer Krisis zutrieb) thun werde; er erwarte ferner, daß die Partei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/70>, abgerufen am 27.12.2024.