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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Südwestdeutsche Wanderungen

geblieben; hatte sich doch sein Klerus am engsten mit Frankreich verbunden.
Schon äußerlich genommen ist ja auch heute die letzte Uniform, die Frankreich
im Reichslande zurückgelassen hat, die der katholischen Geistlichen. Man kann
nicht leugnen, daß sie Eindruck macht. Sie spielt sich sehr auf. Wo sonst
das bekannte Paar Gendarmen mit den quergesetzten Dreispitzen und dem
gelben Lederwerk paradirte, zeigen sich heute auf jeder größern Station der lange
bis zu den Knöcheln reichende schwarze Rock mit der schwarzseidnen Schärpe,
der breitkrempige Seidcnfilz und die schwarzen, weißberänderten Väffchen. Eine
präsentable Uniform, die sich sehr zur Koketterie eignet, auch zur politischen,
und vor allem den Vorzug aller Uniformen hat, den Korpsgeist zu heben.

Wie bescheiden, bürgerlich-bäuerlich macht sich daneben das Auftreten der
badischen Kleriker, die man in Röcken von jeder Länge und in Hüten von jeder
Form, auch im Schlapphut des Kunstjüngcrs, einhergehen sieht. Darin spricht
sich nicht eine andre Mode, sondern eine gänzlich verschiedne Stellung in der
Gesellschaft aus, und diesem Unterschied entspricht am letzten Ende auch die
verschiedne Art von politischer Stellung und Geltung der klerikalen Parteien
rechts und links vom Rhein. In Baden haben wir eine Opposition wie andre
auch, nur stärker und folgerichtiger, die "mit und gegen" für das Wohl des
Heimatlandes arbeitet; im Reichsland verkörpert sie einen fremden Geist, der
sich dem, den Deutschland dort anpflanzen will, gänzlich unverwandt fühlt.
Die Bedeutung der Abneigung der oberelsässischen Industriellen oder der
Straßburger Sozialdemokraten verschwindet vor der der Klerikalen, die in
Frankreich das Vaterland ihrer kirchlichen und sozialen Ideale sehen. Wer
nun glauben würde, daß etwa die protestantischen Geistlichen des Unterelsaß
durch eine entsprechende Anlehnung an Deutschland eine Art von Gegengewicht
bilden müßten, der irrt sich. Wohl giebt es hier teutschgesinnte Männer, aber
es ist in diesem Stande zugleich auch eine andre Art von Frcmzöselei heimisch:
die Bewunderung der Revolution, die republikanische Gesinnung in der Art,
wie sie im französischen Protestantismus ja immer Boden gefunden hat. Ich
habe sie in unterelsässischen Pfarrhäusern fanatisch entwickelt gefunden.

Ist es bei so vielen Gegensätzen zu verwundern, wenn in den Schichten,
wo die Menschen gewohnt sind und die Zeit dazu haben, ihre Ansicht zu
"kultiviren" und zur Schau zu tragen, Elsässer und Deutsche wie Fluß und
Nebenfluß neben einander in demselben Bette fließen, ohne sich zu mischen?
Ein angesehener ruhiger Manu, Wirt und Bürgermeister in einem vielge¬
nannten Städtchen des Oberelsaß, von der Nüchternheit der Lebensauffassung,
die dort die Leute gern von sich rühmen, schilderte mir die Schwierigkeiten,
die ihm als Wirt die Abneigung zwischen Deutschen und Elsässern gemacht
habe. Es sei besser geworden im einzelnen, aber noch immer habe er das
Gefühl, als ob sie sich den Rücken kehren möchten, wenn sie gezwungen sind, an
demselben Tisch zu sitzen. "Hus vouls? vous? Die Lüd möge sich halt nit, sie
gfallen einander zu schlecht." Ja, das Einandergefallen, darin liegt eben die
Schwierigkeit. Auch Völker lieben und hassen, und die Politik irrt sich gründlich,
die glaubt, dieses ImponclerMIs außer Rechnung lassen zu können. Es ist That¬
sache, Elsüsser und Altdeutsche fließen in den obern Schichten wie zwei Ströme
neben einander, die sich nicht vermischen können. Die zahlreichen Verbindungen
herüber und hinüber, die ein Vierteljahrhundert geschaffen hat, haben im ein¬
zelnen manches gebessert, diese Hauptthatsache haben sie aber gar nicht berührt.
Es ist eine beklagenswerte Schönfärberei, wenn deutsche Beamte bei allen Ge-


Südwestdeutsche Wanderungen

geblieben; hatte sich doch sein Klerus am engsten mit Frankreich verbunden.
Schon äußerlich genommen ist ja auch heute die letzte Uniform, die Frankreich
im Reichslande zurückgelassen hat, die der katholischen Geistlichen. Man kann
nicht leugnen, daß sie Eindruck macht. Sie spielt sich sehr auf. Wo sonst
das bekannte Paar Gendarmen mit den quergesetzten Dreispitzen und dem
gelben Lederwerk paradirte, zeigen sich heute auf jeder größern Station der lange
bis zu den Knöcheln reichende schwarze Rock mit der schwarzseidnen Schärpe,
der breitkrempige Seidcnfilz und die schwarzen, weißberänderten Väffchen. Eine
präsentable Uniform, die sich sehr zur Koketterie eignet, auch zur politischen,
und vor allem den Vorzug aller Uniformen hat, den Korpsgeist zu heben.

Wie bescheiden, bürgerlich-bäuerlich macht sich daneben das Auftreten der
badischen Kleriker, die man in Röcken von jeder Länge und in Hüten von jeder
Form, auch im Schlapphut des Kunstjüngcrs, einhergehen sieht. Darin spricht
sich nicht eine andre Mode, sondern eine gänzlich verschiedne Stellung in der
Gesellschaft aus, und diesem Unterschied entspricht am letzten Ende auch die
verschiedne Art von politischer Stellung und Geltung der klerikalen Parteien
rechts und links vom Rhein. In Baden haben wir eine Opposition wie andre
auch, nur stärker und folgerichtiger, die „mit und gegen" für das Wohl des
Heimatlandes arbeitet; im Reichsland verkörpert sie einen fremden Geist, der
sich dem, den Deutschland dort anpflanzen will, gänzlich unverwandt fühlt.
Die Bedeutung der Abneigung der oberelsässischen Industriellen oder der
Straßburger Sozialdemokraten verschwindet vor der der Klerikalen, die in
Frankreich das Vaterland ihrer kirchlichen und sozialen Ideale sehen. Wer
nun glauben würde, daß etwa die protestantischen Geistlichen des Unterelsaß
durch eine entsprechende Anlehnung an Deutschland eine Art von Gegengewicht
bilden müßten, der irrt sich. Wohl giebt es hier teutschgesinnte Männer, aber
es ist in diesem Stande zugleich auch eine andre Art von Frcmzöselei heimisch:
die Bewunderung der Revolution, die republikanische Gesinnung in der Art,
wie sie im französischen Protestantismus ja immer Boden gefunden hat. Ich
habe sie in unterelsässischen Pfarrhäusern fanatisch entwickelt gefunden.

Ist es bei so vielen Gegensätzen zu verwundern, wenn in den Schichten,
wo die Menschen gewohnt sind und die Zeit dazu haben, ihre Ansicht zu
„kultiviren" und zur Schau zu tragen, Elsässer und Deutsche wie Fluß und
Nebenfluß neben einander in demselben Bette fließen, ohne sich zu mischen?
Ein angesehener ruhiger Manu, Wirt und Bürgermeister in einem vielge¬
nannten Städtchen des Oberelsaß, von der Nüchternheit der Lebensauffassung,
die dort die Leute gern von sich rühmen, schilderte mir die Schwierigkeiten,
die ihm als Wirt die Abneigung zwischen Deutschen und Elsässern gemacht
habe. Es sei besser geworden im einzelnen, aber noch immer habe er das
Gefühl, als ob sie sich den Rücken kehren möchten, wenn sie gezwungen sind, an
demselben Tisch zu sitzen. „Hus vouls? vous? Die Lüd möge sich halt nit, sie
gfallen einander zu schlecht." Ja, das Einandergefallen, darin liegt eben die
Schwierigkeit. Auch Völker lieben und hassen, und die Politik irrt sich gründlich,
die glaubt, dieses ImponclerMIs außer Rechnung lassen zu können. Es ist That¬
sache, Elsüsser und Altdeutsche fließen in den obern Schichten wie zwei Ströme
neben einander, die sich nicht vermischen können. Die zahlreichen Verbindungen
herüber und hinüber, die ein Vierteljahrhundert geschaffen hat, haben im ein¬
zelnen manches gebessert, diese Hauptthatsache haben sie aber gar nicht berührt.
Es ist eine beklagenswerte Schönfärberei, wenn deutsche Beamte bei allen Ge-


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[0644] Südwestdeutsche Wanderungen geblieben; hatte sich doch sein Klerus am engsten mit Frankreich verbunden. Schon äußerlich genommen ist ja auch heute die letzte Uniform, die Frankreich im Reichslande zurückgelassen hat, die der katholischen Geistlichen. Man kann nicht leugnen, daß sie Eindruck macht. Sie spielt sich sehr auf. Wo sonst das bekannte Paar Gendarmen mit den quergesetzten Dreispitzen und dem gelben Lederwerk paradirte, zeigen sich heute auf jeder größern Station der lange bis zu den Knöcheln reichende schwarze Rock mit der schwarzseidnen Schärpe, der breitkrempige Seidcnfilz und die schwarzen, weißberänderten Väffchen. Eine präsentable Uniform, die sich sehr zur Koketterie eignet, auch zur politischen, und vor allem den Vorzug aller Uniformen hat, den Korpsgeist zu heben. Wie bescheiden, bürgerlich-bäuerlich macht sich daneben das Auftreten der badischen Kleriker, die man in Röcken von jeder Länge und in Hüten von jeder Form, auch im Schlapphut des Kunstjüngcrs, einhergehen sieht. Darin spricht sich nicht eine andre Mode, sondern eine gänzlich verschiedne Stellung in der Gesellschaft aus, und diesem Unterschied entspricht am letzten Ende auch die verschiedne Art von politischer Stellung und Geltung der klerikalen Parteien rechts und links vom Rhein. In Baden haben wir eine Opposition wie andre auch, nur stärker und folgerichtiger, die „mit und gegen" für das Wohl des Heimatlandes arbeitet; im Reichsland verkörpert sie einen fremden Geist, der sich dem, den Deutschland dort anpflanzen will, gänzlich unverwandt fühlt. Die Bedeutung der Abneigung der oberelsässischen Industriellen oder der Straßburger Sozialdemokraten verschwindet vor der der Klerikalen, die in Frankreich das Vaterland ihrer kirchlichen und sozialen Ideale sehen. Wer nun glauben würde, daß etwa die protestantischen Geistlichen des Unterelsaß durch eine entsprechende Anlehnung an Deutschland eine Art von Gegengewicht bilden müßten, der irrt sich. Wohl giebt es hier teutschgesinnte Männer, aber es ist in diesem Stande zugleich auch eine andre Art von Frcmzöselei heimisch: die Bewunderung der Revolution, die republikanische Gesinnung in der Art, wie sie im französischen Protestantismus ja immer Boden gefunden hat. Ich habe sie in unterelsässischen Pfarrhäusern fanatisch entwickelt gefunden. Ist es bei so vielen Gegensätzen zu verwundern, wenn in den Schichten, wo die Menschen gewohnt sind und die Zeit dazu haben, ihre Ansicht zu „kultiviren" und zur Schau zu tragen, Elsässer und Deutsche wie Fluß und Nebenfluß neben einander in demselben Bette fließen, ohne sich zu mischen? Ein angesehener ruhiger Manu, Wirt und Bürgermeister in einem vielge¬ nannten Städtchen des Oberelsaß, von der Nüchternheit der Lebensauffassung, die dort die Leute gern von sich rühmen, schilderte mir die Schwierigkeiten, die ihm als Wirt die Abneigung zwischen Deutschen und Elsässern gemacht habe. Es sei besser geworden im einzelnen, aber noch immer habe er das Gefühl, als ob sie sich den Rücken kehren möchten, wenn sie gezwungen sind, an demselben Tisch zu sitzen. „Hus vouls? vous? Die Lüd möge sich halt nit, sie gfallen einander zu schlecht." Ja, das Einandergefallen, darin liegt eben die Schwierigkeit. Auch Völker lieben und hassen, und die Politik irrt sich gründlich, die glaubt, dieses ImponclerMIs außer Rechnung lassen zu können. Es ist That¬ sache, Elsüsser und Altdeutsche fließen in den obern Schichten wie zwei Ströme neben einander, die sich nicht vermischen können. Die zahlreichen Verbindungen herüber und hinüber, die ein Vierteljahrhundert geschaffen hat, haben im ein¬ zelnen manches gebessert, diese Hauptthatsache haben sie aber gar nicht berührt. Es ist eine beklagenswerte Schönfärberei, wenn deutsche Beamte bei allen Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/644>, abgerufen am 27.12.2024.