Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Südwestdeutsche Wanderungen bischofstuhles oder gegenüber unglaublichen Berufungen an die Landeshochschulen Wie anders das Elsaß. Baden und Elsaß zeigen ja anch, wie ihre Im Elsaß hatte das dritte Kaiserreich den liberalisirenden Protestantismus Südwestdeutsche Wanderungen bischofstuhles oder gegenüber unglaublichen Berufungen an die Landeshochschulen Wie anders das Elsaß. Baden und Elsaß zeigen ja anch, wie ihre Im Elsaß hatte das dritte Kaiserreich den liberalisirenden Protestantismus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0642" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228278"/> <fw type="header" place="top"> Südwestdeutsche Wanderungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1869" prev="#ID_1868"> bischofstuhles oder gegenüber unglaublichen Berufungen an die Landeshochschulen<lb/> oder in der Frage der Selbständigkeit der badischen Eisenbahnen, hat ihre<lb/> Opposition nicht selten ins Schwarze getroffen und ihnen auch bei solchen<lb/> Beifall gewonnen, die ihren Bestrebungen sonst lau gegenüberstanden. Dabei<lb/> hielten aber die engen Beziehungen zum rheinischen Katholizismus und durch<lb/> diesen zum Zentrum doch die Verbindungen nach allen Seiten offen, und eine<lb/> Abschließung wie im Elsaß kam hier niemand in den Sinn. Man kann<lb/> sagen, in Baden haben Freund und Feind daran gearbeitet, das Land fester<lb/> in das Reich einzufügen, zwar aus sehr verschiednen Gründen und mit einem<lb/> sehr verschiednen Maß von gutem Willen, aber immer doch mit demselben Erfolge.</p><lb/> <p xml:id="ID_1870"> Wie anders das Elsaß. Baden und Elsaß zeigen ja anch, wie ihre<lb/> Lage es selbstverständlich macht, in der politischen Entwicklung manche Ähn¬<lb/> lichkeit. Vor allem gehört die Erstarkung des Katholizismus in Baden und<lb/> im Elsaß zu den großen folgenreichen Veränderungen in Süddeutschland. Beide<lb/> sind sich auch darin ähnlich, daß ihre protestantischen Minderheiten bis in die<lb/> siebziger Jahre einen überwiegenden Einfluß auf die Politik ausgeübt hatten,<lb/> bis die katholischen Mehrheiten sich ans ihre Macht besannen und eine Herr¬<lb/> schaft brachen, die wie alle Partei-, Sekten- und Kliqueuherrschaft zuletzt<lb/> tyrannisch, kleinlich, ausschließlich, kurz unerträglich geworden war. In Baden<lb/> hatten der liberale Rückschlag gegen das geistlose reaktionäre Regiment der<lb/> Stengel und Genossen, das sich mit dem Konkordat unmöglich gemacht hatte,<lb/> und der Schwung der nationalen Idee, der im Anfang der sechziger Jahre eine<lb/> aus Protestanten, liberalen Katholiken und Juden bestehende Kammer mit einer<lb/> verschwindenden Minderheit von drei oder vier Ultramontanen zu Stande<lb/> gebracht. Ich erinnere mich noch gut der Kammerverhandlungen, in denen der<lb/> ultramontane Jakob Lindau aus Heidelberg, seines Zeichens Kleintaufmann in<lb/> Wolle und Baumwolle, wie ein Fels im Meere seiner Gegner aufragte, ein<lb/> Hüne von Gestalt, ein Redner von Gottes Gnaden, der im bittersten Kampfe<lb/> den pfälzischen Humor nicht verleugnete. Den liberalen Beamten und Professoren<lb/> stand er als ein echter Volksmann gegenüber, der zu Zeiten auch etwas<lb/> Demagogie nicht verschmähte. Das rechtfertigt aber nicht, daß man ihn in<lb/> der altkatholischen Bewegung, weil er den Kirchenschatz in sein Haus in Heidel¬<lb/> berg gerettet hatte, um die Teilung zu verhindern, wie einen Dieb verurteilte.<lb/> Das Gefängnis brach die Gesundheit des Mannes, dem in ruhigern Zeiten<lb/> auch Feinde die Hand gereicht hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1871" next="#ID_1872"> Im Elsaß hatte das dritte Kaiserreich den liberalisirenden Protestantismus<lb/> begünstigt, der durch seine schriftstellernden und wissenschaftlichen Talente, durch<lb/> seine Beamten und nicht zuletzt durch seine Pariser Verbindungen einflußreich<lb/> war — es war der unterelsässtsche und speziell der Straßburger Protestantismus<lb/> Augsburgischen Bekenntnisses; die reformirte Insel von Mülhausen stand diesem<lb/> fern. Ohnehin suchte das dritte Kaiserreich der von ihm selbst großgezognen Macht<lb/> des Klerikalismus, als sie bedrohlich wurde, überall kleine Hindernisse entgegen¬<lb/> zusetzen. Die Elsässer Katholiken hatten sich in den ruhigen Zeiten der fünfziger und<lb/> sechziger Jahre ähnlich wie die badischen darein gefunden, daß die Protestanten<lb/> überall an der Spitze waren, so z. B. daß sie in der Verwaltung Straßburgs<lb/> eine Art erblichen Vorrechts auf die ersten Stellen beanspruchten. Es schien ja<lb/> die Stellung der Katholiken in dem katholischen Frankreich gesichert, wo das<lb/> Departement des Niederrheins mit einem Drittel protestantischer, Bevölkerung<lb/> ijetzt 36 Prozent) überhaupt das protestantischste war. Der Übergang des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0642]
Südwestdeutsche Wanderungen
bischofstuhles oder gegenüber unglaublichen Berufungen an die Landeshochschulen
oder in der Frage der Selbständigkeit der badischen Eisenbahnen, hat ihre
Opposition nicht selten ins Schwarze getroffen und ihnen auch bei solchen
Beifall gewonnen, die ihren Bestrebungen sonst lau gegenüberstanden. Dabei
hielten aber die engen Beziehungen zum rheinischen Katholizismus und durch
diesen zum Zentrum doch die Verbindungen nach allen Seiten offen, und eine
Abschließung wie im Elsaß kam hier niemand in den Sinn. Man kann
sagen, in Baden haben Freund und Feind daran gearbeitet, das Land fester
in das Reich einzufügen, zwar aus sehr verschiednen Gründen und mit einem
sehr verschiednen Maß von gutem Willen, aber immer doch mit demselben Erfolge.
Wie anders das Elsaß. Baden und Elsaß zeigen ja anch, wie ihre
Lage es selbstverständlich macht, in der politischen Entwicklung manche Ähn¬
lichkeit. Vor allem gehört die Erstarkung des Katholizismus in Baden und
im Elsaß zu den großen folgenreichen Veränderungen in Süddeutschland. Beide
sind sich auch darin ähnlich, daß ihre protestantischen Minderheiten bis in die
siebziger Jahre einen überwiegenden Einfluß auf die Politik ausgeübt hatten,
bis die katholischen Mehrheiten sich ans ihre Macht besannen und eine Herr¬
schaft brachen, die wie alle Partei-, Sekten- und Kliqueuherrschaft zuletzt
tyrannisch, kleinlich, ausschließlich, kurz unerträglich geworden war. In Baden
hatten der liberale Rückschlag gegen das geistlose reaktionäre Regiment der
Stengel und Genossen, das sich mit dem Konkordat unmöglich gemacht hatte,
und der Schwung der nationalen Idee, der im Anfang der sechziger Jahre eine
aus Protestanten, liberalen Katholiken und Juden bestehende Kammer mit einer
verschwindenden Minderheit von drei oder vier Ultramontanen zu Stande
gebracht. Ich erinnere mich noch gut der Kammerverhandlungen, in denen der
ultramontane Jakob Lindau aus Heidelberg, seines Zeichens Kleintaufmann in
Wolle und Baumwolle, wie ein Fels im Meere seiner Gegner aufragte, ein
Hüne von Gestalt, ein Redner von Gottes Gnaden, der im bittersten Kampfe
den pfälzischen Humor nicht verleugnete. Den liberalen Beamten und Professoren
stand er als ein echter Volksmann gegenüber, der zu Zeiten auch etwas
Demagogie nicht verschmähte. Das rechtfertigt aber nicht, daß man ihn in
der altkatholischen Bewegung, weil er den Kirchenschatz in sein Haus in Heidel¬
berg gerettet hatte, um die Teilung zu verhindern, wie einen Dieb verurteilte.
Das Gefängnis brach die Gesundheit des Mannes, dem in ruhigern Zeiten
auch Feinde die Hand gereicht hatten.
Im Elsaß hatte das dritte Kaiserreich den liberalisirenden Protestantismus
begünstigt, der durch seine schriftstellernden und wissenschaftlichen Talente, durch
seine Beamten und nicht zuletzt durch seine Pariser Verbindungen einflußreich
war — es war der unterelsässtsche und speziell der Straßburger Protestantismus
Augsburgischen Bekenntnisses; die reformirte Insel von Mülhausen stand diesem
fern. Ohnehin suchte das dritte Kaiserreich der von ihm selbst großgezognen Macht
des Klerikalismus, als sie bedrohlich wurde, überall kleine Hindernisse entgegen¬
zusetzen. Die Elsässer Katholiken hatten sich in den ruhigen Zeiten der fünfziger und
sechziger Jahre ähnlich wie die badischen darein gefunden, daß die Protestanten
überall an der Spitze waren, so z. B. daß sie in der Verwaltung Straßburgs
eine Art erblichen Vorrechts auf die ersten Stellen beanspruchten. Es schien ja
die Stellung der Katholiken in dem katholischen Frankreich gesichert, wo das
Departement des Niederrheins mit einem Drittel protestantischer, Bevölkerung
ijetzt 36 Prozent) überhaupt das protestantischste war. Der Übergang des
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