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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Südwestdeutsche Wanderungen

Schweigen zurück. Der schweizerische Alemanne ist von härteren Stoff als der
badische und besonders der elsässische, vornehmlich in den Urkantonen und in
Bern. Aber der behagliche Ton selbst der politischen Reden zeigt, daß auch
er das weiche Gemüt des Alemannen hat,,, worin jene Eigenschaften wurzeln.
Auf einer weisen, besonnenen Politik der Übereinkünfte ruht das Gedeihen der
Eidgenossenschaft, und nicht klein ist die Zahl schweizerischer Staatsmänner,
denen Denkmäler mit derselben Aufschrift zu setzen wären wie dem trefflichen
Kirsner. Übrigens konnte die hohe Gestalt dieses badischen Landtagspräsi¬
denten mit der breiten Stirn und den freundlichen braunen Augen darunter
und dem beredten Mund, von dem die Worte wohlthuend wie mit leisem
Gesang flössen, als der klassische Typus des alemannischen Stammes gelten.

In der badischen Geschichte treten uns diese Züge bei Fürsten und Staats¬
männern in allen Generationen entgegen. Sie haben den Markgrafen Karl
Friedrich, der später der erste Großherzog wurde, zum Liebling des Volkes
gemacht, das ihn noch heute nicht vergessen hat. Sie waren dem Großherzog
Leopold eigen, den man den Bürgerfreund nannte. Und wer fände sie nicht
in der sympathischen Gestalt des regierenden Großherzogs Friedrich wieder?
Wenn auch die Badenser, die mit ihrem Großherzog politisch nicht im einzelnen
übereinstimmen, mit Stolz auf ihn sehen, so ist darin das Gefühl bestimmend,
in ihm den angesehensten und geschichtlich wirkungsvollsten Vertreter des ba¬
dischen, Wesens in diesem Jahrhundert zu haben. Er verkörpert schon in seinem
edeln Äußern die milde billige Denkungsart, die der Badenser hochhält. Seine
liebenswürdigen Formen im Verkehr mit Hoch und Niedrig und seine freund¬
liche Nachgiebigkeit, die gepaart sind mit einem strengen Festhalten an politischen
Grundsätzen von liberaler Färbung, machen ihn zum Ideal des badischen
Politikers. Einem bayrischen Geschmack mag er nicht derb, einem preußischen
nicht schroff genug erscheinen; für seine Unterthanen ist er gerade so recht.
Und er hat sie mit aller Milde sest gehalten auf dem Wege zur deutschen
Einheit, auf dem er entschieden mehr Folgerichtigkeit bewiesen hat, als
die große Mehrzahl dieser Unterthanen, und größere Opfer gebracht hat, als
irgend ein Einzelner unter ihnen. Man ahnt nur die Kämpfe, die ihm sein
Rücktritt von der Stellung des obersten Kriegsherrn kostete, die von den
Fürsten seines Ranges doch bis dahin als eine notwendige Folge der Landes¬
herrschaft aufgefaßt wurde. Sachsen hat nach seiner Niederlage von 1866
nicht soviel verloren, als Baden nach den Siegen von Straßburg und Belfort
1871 aufgegeben hat. Der König von Sachsen ist der Kriegsherr seiner
Truppen, der Großherzog von Baden steht neben sich einen preußischen
General das XIV. Armeekorps kommandiren, das fast ganz aus badischen
Truppen besteht. Man hat in den siebziger Jahren viel von den Schwierig¬
keiten erzählt, mit denen der Großherzog zu kämpfen hatte, bis sich die mili¬
tärische Nebenregierung in seinem Lande in den immerhin noch halb selbständigen
Organismus des badischen Landes eingefugt hatte. Die warmherzigen Badenser
ahnten damals nicht, daß sie mit dem Übermaß des Dankes und Preises für
die angeblich abgewandte, in Wirklichkeit so nicht vorhanden gewesene Gefahr
der Invasion des Menschenknüuels, genannt Bourbakische Armee, dem ehrgeizigen
General Werber den Kopf verdrehte. Werber suchte sich an seiner Befehls¬
haberstelle in Karlsruhe für vermeintliche Zurücksetzungen gegenüber andern
Helden des Krieges von 1870/71 schadlos zu halten, wodurch in der kritischsten
Zeit die Stellung des Großherzogs recht schwierig wurde.


Südwestdeutsche Wanderungen

Schweigen zurück. Der schweizerische Alemanne ist von härteren Stoff als der
badische und besonders der elsässische, vornehmlich in den Urkantonen und in
Bern. Aber der behagliche Ton selbst der politischen Reden zeigt, daß auch
er das weiche Gemüt des Alemannen hat,,, worin jene Eigenschaften wurzeln.
Auf einer weisen, besonnenen Politik der Übereinkünfte ruht das Gedeihen der
Eidgenossenschaft, und nicht klein ist die Zahl schweizerischer Staatsmänner,
denen Denkmäler mit derselben Aufschrift zu setzen wären wie dem trefflichen
Kirsner. Übrigens konnte die hohe Gestalt dieses badischen Landtagspräsi¬
denten mit der breiten Stirn und den freundlichen braunen Augen darunter
und dem beredten Mund, von dem die Worte wohlthuend wie mit leisem
Gesang flössen, als der klassische Typus des alemannischen Stammes gelten.

In der badischen Geschichte treten uns diese Züge bei Fürsten und Staats¬
männern in allen Generationen entgegen. Sie haben den Markgrafen Karl
Friedrich, der später der erste Großherzog wurde, zum Liebling des Volkes
gemacht, das ihn noch heute nicht vergessen hat. Sie waren dem Großherzog
Leopold eigen, den man den Bürgerfreund nannte. Und wer fände sie nicht
in der sympathischen Gestalt des regierenden Großherzogs Friedrich wieder?
Wenn auch die Badenser, die mit ihrem Großherzog politisch nicht im einzelnen
übereinstimmen, mit Stolz auf ihn sehen, so ist darin das Gefühl bestimmend,
in ihm den angesehensten und geschichtlich wirkungsvollsten Vertreter des ba¬
dischen, Wesens in diesem Jahrhundert zu haben. Er verkörpert schon in seinem
edeln Äußern die milde billige Denkungsart, die der Badenser hochhält. Seine
liebenswürdigen Formen im Verkehr mit Hoch und Niedrig und seine freund¬
liche Nachgiebigkeit, die gepaart sind mit einem strengen Festhalten an politischen
Grundsätzen von liberaler Färbung, machen ihn zum Ideal des badischen
Politikers. Einem bayrischen Geschmack mag er nicht derb, einem preußischen
nicht schroff genug erscheinen; für seine Unterthanen ist er gerade so recht.
Und er hat sie mit aller Milde sest gehalten auf dem Wege zur deutschen
Einheit, auf dem er entschieden mehr Folgerichtigkeit bewiesen hat, als
die große Mehrzahl dieser Unterthanen, und größere Opfer gebracht hat, als
irgend ein Einzelner unter ihnen. Man ahnt nur die Kämpfe, die ihm sein
Rücktritt von der Stellung des obersten Kriegsherrn kostete, die von den
Fürsten seines Ranges doch bis dahin als eine notwendige Folge der Landes¬
herrschaft aufgefaßt wurde. Sachsen hat nach seiner Niederlage von 1866
nicht soviel verloren, als Baden nach den Siegen von Straßburg und Belfort
1871 aufgegeben hat. Der König von Sachsen ist der Kriegsherr seiner
Truppen, der Großherzog von Baden steht neben sich einen preußischen
General das XIV. Armeekorps kommandiren, das fast ganz aus badischen
Truppen besteht. Man hat in den siebziger Jahren viel von den Schwierig¬
keiten erzählt, mit denen der Großherzog zu kämpfen hatte, bis sich die mili¬
tärische Nebenregierung in seinem Lande in den immerhin noch halb selbständigen
Organismus des badischen Landes eingefugt hatte. Die warmherzigen Badenser
ahnten damals nicht, daß sie mit dem Übermaß des Dankes und Preises für
die angeblich abgewandte, in Wirklichkeit so nicht vorhanden gewesene Gefahr
der Invasion des Menschenknüuels, genannt Bourbakische Armee, dem ehrgeizigen
General Werber den Kopf verdrehte. Werber suchte sich an seiner Befehls¬
haberstelle in Karlsruhe für vermeintliche Zurücksetzungen gegenüber andern
Helden des Krieges von 1870/71 schadlos zu halten, wodurch in der kritischsten
Zeit die Stellung des Großherzogs recht schwierig wurde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/640>, abgerufen am 27.12.2024.