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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Südwestdeutsche Wanderungen

Umstünden weder verpachtet, noch in irgend einer andern Form an Private
überlassen werden darf, sondern die Verwaltung nur durch die Kolonialregierung
selbst, durch Bergämter zu erfolgen hat, wie dies z. B. bei den Bergwerken
im Harz der Fall ist. Dann fließen die Einnahmen dem Reiche zu, dann
wird man auch nicht solche Erfahrungen machen, wie man sie in Preußen mit
dem Bernstein gemacht hat, wo die Regierung das Regal an einen jüdischen
Kommerzienrat verpachtet hat.




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(Schluß)

laube man, Baden sei das Land volksfreundlicher Einrichtungen,
weil es einen liberalen Fürsten und eine aufgeklärte Bureau¬
kratie habe? Das wäre sehr oberflächlich geurteilt. Es würde
immerhin noch triftiger sein, wenn einer sagte: Ihr seid politische
Optimisten, die sich die Ecken und Kanten der Wirklichkeit durch
angenehme Selbsttäuschungen beschönigen. Indessen, nur ein dem
Volke ganz Fremder würde glauben können, alles mit dem politischen Optimis¬
mus abgethan zu haben, der ja ohne Frage da ist. Ich halte es mit dem
echt alemannischen Grundsatz: Was dem einen recht ist, das ist dem andern
billig, und frage die Leute im Lande selbst, was sie von ihrer Politik denken.
Da erinnere ich mich einer sehr beredten, wenn auch kurzen Aussage. Gerecht,
wohlwollend und versöhnlich, so rühmt ein schönes Denkmal in den städtischen
Anlagen von Donaueschingen den langjährigen Präsidenten der badischen
zweiten Kammer, den Apotheker Kirsner. einen der einflußreichsten Politiker
des badischen Landes. Es ist bezeichnend; das sind eben die Eigenschaften, die
der Alemanne hochschätzt. Durch sie hat Kirsner, der dabei entschieden frei¬
sinnig im bürgerlichen Sinne war, mehr gewirkt als durch die Staatsmännisch-
keit und Klarheit, die ihm ebenfalls die Denkmalinschrift nachrühmt. Es
dürfte in Preußen selten vorkommen, daß man einem Apotheker und Landtags¬
präsidenten ein solches Denkmal setzt, und das in einer Stadt, wo man
sich vergeblich nach Fürsten- und Feldherrndenkmälern umschaut. Wohl¬
wollen und Versöhnlichkeit wird man als große politische Eigenschaften nur
bei einem Volke rühmen, das aus weicheren Stoffe gemacht ist. Und so in
der That ist in diesem alemannischen Volkscharakter mehr Weichheit, als die
so leicht erregten politischen Leidenschaften zu verraten scheinen. Der Volks-
mund kennt den Ausdruck "wehleidig" für eine Abstufung von empfindlich und
hat auffallend zahlreiche Vergleiche für den Empfindlichen und Schüchternen,
die z. V. dem derben Bayern fern liegen. Schon vor dem lauten, raschen
Franken Nordbadens und der Pfalz zieht sich der Alemanne gern aufs


Südwestdeutsche Wanderungen

Umstünden weder verpachtet, noch in irgend einer andern Form an Private
überlassen werden darf, sondern die Verwaltung nur durch die Kolonialregierung
selbst, durch Bergämter zu erfolgen hat, wie dies z. B. bei den Bergwerken
im Harz der Fall ist. Dann fließen die Einnahmen dem Reiche zu, dann
wird man auch nicht solche Erfahrungen machen, wie man sie in Preußen mit
dem Bernstein gemacht hat, wo die Regierung das Regal an einen jüdischen
Kommerzienrat verpachtet hat.




^üdwestdeutsche Wanderungen
3
(Schluß)

laube man, Baden sei das Land volksfreundlicher Einrichtungen,
weil es einen liberalen Fürsten und eine aufgeklärte Bureau¬
kratie habe? Das wäre sehr oberflächlich geurteilt. Es würde
immerhin noch triftiger sein, wenn einer sagte: Ihr seid politische
Optimisten, die sich die Ecken und Kanten der Wirklichkeit durch
angenehme Selbsttäuschungen beschönigen. Indessen, nur ein dem
Volke ganz Fremder würde glauben können, alles mit dem politischen Optimis¬
mus abgethan zu haben, der ja ohne Frage da ist. Ich halte es mit dem
echt alemannischen Grundsatz: Was dem einen recht ist, das ist dem andern
billig, und frage die Leute im Lande selbst, was sie von ihrer Politik denken.
Da erinnere ich mich einer sehr beredten, wenn auch kurzen Aussage. Gerecht,
wohlwollend und versöhnlich, so rühmt ein schönes Denkmal in den städtischen
Anlagen von Donaueschingen den langjährigen Präsidenten der badischen
zweiten Kammer, den Apotheker Kirsner. einen der einflußreichsten Politiker
des badischen Landes. Es ist bezeichnend; das sind eben die Eigenschaften, die
der Alemanne hochschätzt. Durch sie hat Kirsner, der dabei entschieden frei¬
sinnig im bürgerlichen Sinne war, mehr gewirkt als durch die Staatsmännisch-
keit und Klarheit, die ihm ebenfalls die Denkmalinschrift nachrühmt. Es
dürfte in Preußen selten vorkommen, daß man einem Apotheker und Landtags¬
präsidenten ein solches Denkmal setzt, und das in einer Stadt, wo man
sich vergeblich nach Fürsten- und Feldherrndenkmälern umschaut. Wohl¬
wollen und Versöhnlichkeit wird man als große politische Eigenschaften nur
bei einem Volke rühmen, das aus weicheren Stoffe gemacht ist. Und so in
der That ist in diesem alemannischen Volkscharakter mehr Weichheit, als die
so leicht erregten politischen Leidenschaften zu verraten scheinen. Der Volks-
mund kennt den Ausdruck „wehleidig" für eine Abstufung von empfindlich und
hat auffallend zahlreiche Vergleiche für den Empfindlichen und Schüchternen,
die z. V. dem derben Bayern fern liegen. Schon vor dem lauten, raschen
Franken Nordbadens und der Pfalz zieht sich der Alemanne gern aufs


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[0639] Südwestdeutsche Wanderungen Umstünden weder verpachtet, noch in irgend einer andern Form an Private überlassen werden darf, sondern die Verwaltung nur durch die Kolonialregierung selbst, durch Bergämter zu erfolgen hat, wie dies z. B. bei den Bergwerken im Harz der Fall ist. Dann fließen die Einnahmen dem Reiche zu, dann wird man auch nicht solche Erfahrungen machen, wie man sie in Preußen mit dem Bernstein gemacht hat, wo die Regierung das Regal an einen jüdischen Kommerzienrat verpachtet hat. ^üdwestdeutsche Wanderungen 3 (Schluß) laube man, Baden sei das Land volksfreundlicher Einrichtungen, weil es einen liberalen Fürsten und eine aufgeklärte Bureau¬ kratie habe? Das wäre sehr oberflächlich geurteilt. Es würde immerhin noch triftiger sein, wenn einer sagte: Ihr seid politische Optimisten, die sich die Ecken und Kanten der Wirklichkeit durch angenehme Selbsttäuschungen beschönigen. Indessen, nur ein dem Volke ganz Fremder würde glauben können, alles mit dem politischen Optimis¬ mus abgethan zu haben, der ja ohne Frage da ist. Ich halte es mit dem echt alemannischen Grundsatz: Was dem einen recht ist, das ist dem andern billig, und frage die Leute im Lande selbst, was sie von ihrer Politik denken. Da erinnere ich mich einer sehr beredten, wenn auch kurzen Aussage. Gerecht, wohlwollend und versöhnlich, so rühmt ein schönes Denkmal in den städtischen Anlagen von Donaueschingen den langjährigen Präsidenten der badischen zweiten Kammer, den Apotheker Kirsner. einen der einflußreichsten Politiker des badischen Landes. Es ist bezeichnend; das sind eben die Eigenschaften, die der Alemanne hochschätzt. Durch sie hat Kirsner, der dabei entschieden frei¬ sinnig im bürgerlichen Sinne war, mehr gewirkt als durch die Staatsmännisch- keit und Klarheit, die ihm ebenfalls die Denkmalinschrift nachrühmt. Es dürfte in Preußen selten vorkommen, daß man einem Apotheker und Landtags¬ präsidenten ein solches Denkmal setzt, und das in einer Stadt, wo man sich vergeblich nach Fürsten- und Feldherrndenkmälern umschaut. Wohl¬ wollen und Versöhnlichkeit wird man als große politische Eigenschaften nur bei einem Volke rühmen, das aus weicheren Stoffe gemacht ist. Und so in der That ist in diesem alemannischen Volkscharakter mehr Weichheit, als die so leicht erregten politischen Leidenschaften zu verraten scheinen. Der Volks- mund kennt den Ausdruck „wehleidig" für eine Abstufung von empfindlich und hat auffallend zahlreiche Vergleiche für den Empfindlichen und Schüchternen, die z. V. dem derben Bayern fern liegen. Schon vor dem lauten, raschen Franken Nordbadens und der Pfalz zieht sich der Alemanne gern aufs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/639>, abgerufen am 23.07.2024.