Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland Gegen sechs Uhr verließ auch Venedek das Schlachtfeld und überschritt Einen ernsten Versuch, die bei Königgrätz gefallne Entscheidung zu be- Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland Gegen sechs Uhr verließ auch Venedek das Schlachtfeld und überschritt Einen ernsten Versuch, die bei Königgrätz gefallne Entscheidung zu be- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0620" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228256"/> <fw type="header" place="top"> Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1795"> Gegen sechs Uhr verließ auch Venedek das Schlachtfeld und überschritt<lb/> ungefährdet die Elbe. Von Holitz aus sandte er um zehn Uhr abends das<lb/> erste Telegramm an den Kaiser, der schon vorher durch eine Depesche des<lb/> Kommandanten von Königgrätz von siebeneinviertel Uhr über die Niederlage<lb/> unterrichtet war („ganze Oorxs en. ävdg.nclaäö in und um die Festung, über¬<lb/> steigen alle Pallisadirungen, schwimmen durch die Gräben und Elbe, erklettern<lb/> die Hauptumfaffuugsmauern"). Unter diesem Eindrucke empfing Franz Joseph<lb/> nachts 2 Uhr auf dem Nordbahnhofe seinen Bundesgenossen, den König von<lb/> Sachsen, der von der Entscheidung noch keine Ahnung hatte; als ihm der<lb/> Kaiser, selbst totenblaß, wenige leise Worte darüber sagte, sank der alte Herr<lb/> wie vernichtet in sich zusammen. Zwei sächsische Offiziere waren die nächsten<lb/> Zeugen des Auftritts. Dann kam die volle, schreckliche Gewißheit, und niemand<lb/> kann ohne Bewegung so verzweifelt ehrliche Sätze lesen, wie die des Venedekschen<lb/> Telegramms, das der Kaiser nach einer bangen Nacht am 4. Juli früh ein-<lb/> halbfünf empfing: „Vorgestern schon besorgte Katastrophe der Armee heute<lb/> vollständig eingetreten. — Ganz ungeordnet zog sich alles über die Kriegsbrücken<lb/> der Elbe sowie nach Pardubitz zurück. Verluste noch gar nicht zu übersehen,<lb/> aber gewiß unendlich groß."</p><lb/> <p xml:id="ID_1796" next="#ID_1797"> Einen ernsten Versuch, die bei Königgrätz gefallne Entscheidung zu be-<lb/> streiten, hat Österreich damals nicht gemacht. Aber indem es die grundsätzlich<lb/> schon beschlossene Abtretung Veneziens am 4. Juli thatsächlich uun in Paris<lb/> anbot, gelang es, den größten Teil der Südarmee nach Wien zu ziehen und<lb/> unter dem Oberbefehl des Erzherzogs Albrecht hinter der Donau eine ansehn¬<lb/> liche schlagfertige Streitmacht mit dem Zentrum bei Presburg aufzustellen.<lb/> Wie ein zweiter großer Kampf um die Donauübergänge ausgefallen wäre,<lb/> vermag niemand bestimmt zu sagen. Jedenfalls drängte die aufdringliche „Ver¬<lb/> mittlung" Napoleons III. und der Wunsch Bismarcks, Preußen nicht unheilbar<lb/> mit Österreich zu verfeinden, sondern, nachdem die Streitfrage entschieden war.<lb/> möglichst bald ein besseres Verhältnis wieder herzustellen, zum raschen Frieden.<lb/> Diese verwickelten Verhandlungen schildert Friedjung noch eingehend, ohne hier<lb/> gerade viel neues beizubringen, und mit begreiflicher Genugthuung stellt er<lb/> dann die glückliche Verteidigung Tirols, sowie die Seeschlacht von Lissa dar,<lb/> wobei er dem jugendlichen Sieger, dem neunnnddreißigjährigen Kontreadmiral<lb/> Wilhelm von Tegetthoff, den verdienten Lorbeerkranz flicht. Benedeks letzte Schick¬<lb/> sale, Tegetthoffs Ungnade und Rückberufung, die Verhandlungen Beusts mit<lb/> Frankreich 1868 bis 1870, um einen Vergeltungskrieg vorzubereiten, und die<lb/> endliche Aussöhnung zwischen den beiden Gegnern von 1866 durch das Bündnis<lb/> von 1879 bilden den „Schluß" des Werkes. Friedjung sieht darin noch nicht das<lb/> letzte Wort über das Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich, er hofft<lb/> mehr. „Wenn die Zeitgenossen des deutschen Bruderkrieges zu ihren Vätern<lb/> versammelt sind — das ist sein letzter Satz —, wird der Tag kommen, da ihre<lb/> Erben das Vermächtnis der deutschen Geschichte (von dem Kaiser Wilhelm II.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0620]
Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland
Gegen sechs Uhr verließ auch Venedek das Schlachtfeld und überschritt
ungefährdet die Elbe. Von Holitz aus sandte er um zehn Uhr abends das
erste Telegramm an den Kaiser, der schon vorher durch eine Depesche des
Kommandanten von Königgrätz von siebeneinviertel Uhr über die Niederlage
unterrichtet war („ganze Oorxs en. ävdg.nclaäö in und um die Festung, über¬
steigen alle Pallisadirungen, schwimmen durch die Gräben und Elbe, erklettern
die Hauptumfaffuugsmauern"). Unter diesem Eindrucke empfing Franz Joseph
nachts 2 Uhr auf dem Nordbahnhofe seinen Bundesgenossen, den König von
Sachsen, der von der Entscheidung noch keine Ahnung hatte; als ihm der
Kaiser, selbst totenblaß, wenige leise Worte darüber sagte, sank der alte Herr
wie vernichtet in sich zusammen. Zwei sächsische Offiziere waren die nächsten
Zeugen des Auftritts. Dann kam die volle, schreckliche Gewißheit, und niemand
kann ohne Bewegung so verzweifelt ehrliche Sätze lesen, wie die des Venedekschen
Telegramms, das der Kaiser nach einer bangen Nacht am 4. Juli früh ein-
halbfünf empfing: „Vorgestern schon besorgte Katastrophe der Armee heute
vollständig eingetreten. — Ganz ungeordnet zog sich alles über die Kriegsbrücken
der Elbe sowie nach Pardubitz zurück. Verluste noch gar nicht zu übersehen,
aber gewiß unendlich groß."
Einen ernsten Versuch, die bei Königgrätz gefallne Entscheidung zu be-
streiten, hat Österreich damals nicht gemacht. Aber indem es die grundsätzlich
schon beschlossene Abtretung Veneziens am 4. Juli thatsächlich uun in Paris
anbot, gelang es, den größten Teil der Südarmee nach Wien zu ziehen und
unter dem Oberbefehl des Erzherzogs Albrecht hinter der Donau eine ansehn¬
liche schlagfertige Streitmacht mit dem Zentrum bei Presburg aufzustellen.
Wie ein zweiter großer Kampf um die Donauübergänge ausgefallen wäre,
vermag niemand bestimmt zu sagen. Jedenfalls drängte die aufdringliche „Ver¬
mittlung" Napoleons III. und der Wunsch Bismarcks, Preußen nicht unheilbar
mit Österreich zu verfeinden, sondern, nachdem die Streitfrage entschieden war.
möglichst bald ein besseres Verhältnis wieder herzustellen, zum raschen Frieden.
Diese verwickelten Verhandlungen schildert Friedjung noch eingehend, ohne hier
gerade viel neues beizubringen, und mit begreiflicher Genugthuung stellt er
dann die glückliche Verteidigung Tirols, sowie die Seeschlacht von Lissa dar,
wobei er dem jugendlichen Sieger, dem neunnnddreißigjährigen Kontreadmiral
Wilhelm von Tegetthoff, den verdienten Lorbeerkranz flicht. Benedeks letzte Schick¬
sale, Tegetthoffs Ungnade und Rückberufung, die Verhandlungen Beusts mit
Frankreich 1868 bis 1870, um einen Vergeltungskrieg vorzubereiten, und die
endliche Aussöhnung zwischen den beiden Gegnern von 1866 durch das Bündnis
von 1879 bilden den „Schluß" des Werkes. Friedjung sieht darin noch nicht das
letzte Wort über das Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich, er hofft
mehr. „Wenn die Zeitgenossen des deutschen Bruderkrieges zu ihren Vätern
versammelt sind — das ist sein letzter Satz —, wird der Tag kommen, da ihre
Erben das Vermächtnis der deutschen Geschichte (von dem Kaiser Wilhelm II.
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