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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Aimcchme des Flotteugesetzes

Preußens und der Hansestädte, der nationalen Monarchie und des seegewaltigen
mittelalterlichen Bürgertums bedeutungsvoll vereinigt, deckt die Schiffe der
zweiten Handelsmacht der Welt.

Doch nicht alles in diesem Vergleiche zwischen einst und jetzt fällt zu
Gunsten der Gegenwart ans. Mit dem Parlament von Frankfurt, das kühn
und hochsinnig einen Kaiser kürte, hält der deutsche Reichstag in dem Pracht¬
bau am Königsplatz in Berlin, der die Flotte bewilligte, leider gar keinen
Vergleich aus. Von dem Maße des lautersten Patriotismus und des idea¬
listischen Edelsinns, der den Kern der Volksvertreter in der Paulskirche be¬
seelte, ist in dem heutigen Reichstagspalaste wenig oder gar nichts zu finden,
und dieselbe bürgerliche Demokratie, die sich 1848 für eine deutsche Flotte be¬
geisterte, die erst zu schaffen war, hat sich jetzt zum Teil dem Ausbau eiuer
Kriegsmarine widersetzt, die schon eine rühmliche, wenn auch noch keine kriege¬
rische Geschichte hinter sich hat. Und so steht auch der heutige Reichstag in
der allgemeinen Schätzung ebenso tief, wie das Frankfurter Parlament hoch
stand. Wenn Eugen Richter letzthin beweglich klagte, daß die Regierung nichts
thue, um den "Respekt" vor dem Reichstage zu erhöhen, und ihr das
Gegenteil vorwarf, so richtete er diese freisinnige Elegie an eine ganz falsche
Adresse; er sah den Balken im eignen Ange nicht. Jedes Parlament genießt
soviel Ansehen, als es sich selbst verdient, und wenn der "Respekt" vor dem
Reichstage so tief gesunken ist, so trügt daran niemand anders Schuld, als
die gesinnungstüchtigen, unbelehrbarer Neinsager vom Schlage Richters und
die gewohnheitsmäßigen schwarzer aus alleu Parteien. Wie soll sich noch
jemand für die Wahrung der Rechte des Reichstags besonders begeistern oder
über ihre angebliche Verkürzung entrüsten, wenn die Mehrzahl der Volksver¬
treter so wenig Wert darauf legt, diese Rechte auszuüben!

So hat es denn auch eiuer sehr lebhaften Agitation bedurft, um die Stim-
mung des hohen Hauses soweit zu beeinflusse", daß sich schließlich eine anstündige
Mehrheit für das Flottengesetz zusammenfand. Die Agitation wurde begünstigt
durch die Ereignisse in China und in Haiti, die ein gütiges Geschick uns im
rechten Augenblicke sandte, um uns die Augen zu öffnen. Eugen Richter sah
freilich in der Agitation eine unerhörte Beeinflussung von oben, denn natürlich,
zu agitiren ist nur der Demokratie und der Opposition erlaubt; daß gewesene
Marineoffiziere mit und ohne Auftrag Flugschriften schrieben und herumreisten,
um Vorträge über die Flotte zu halten, das war ganz und gar unerlaubt,
denn am Ende mußte man sich doch sagen, daß sie von der Sache fast ebenso
viel verstünden, wie der unentwegte flottenscheue Vertreter von Hagen oder die
drei Sozialdemokraten, die Hamburg in den Reichstag schickte, daß also ihr
Auftreten auch nicht eines gewissen Eindrucks verfehlen werde, und es gelang
wirklich in überraschend kurzer Zeit, im deutschen Volke eine mächtige Strömung
zu Gunsten der Regierungsvorlage hervorzurufen; die Befürchtung, der große


Die Aimcchme des Flotteugesetzes

Preußens und der Hansestädte, der nationalen Monarchie und des seegewaltigen
mittelalterlichen Bürgertums bedeutungsvoll vereinigt, deckt die Schiffe der
zweiten Handelsmacht der Welt.

Doch nicht alles in diesem Vergleiche zwischen einst und jetzt fällt zu
Gunsten der Gegenwart ans. Mit dem Parlament von Frankfurt, das kühn
und hochsinnig einen Kaiser kürte, hält der deutsche Reichstag in dem Pracht¬
bau am Königsplatz in Berlin, der die Flotte bewilligte, leider gar keinen
Vergleich aus. Von dem Maße des lautersten Patriotismus und des idea¬
listischen Edelsinns, der den Kern der Volksvertreter in der Paulskirche be¬
seelte, ist in dem heutigen Reichstagspalaste wenig oder gar nichts zu finden,
und dieselbe bürgerliche Demokratie, die sich 1848 für eine deutsche Flotte be¬
geisterte, die erst zu schaffen war, hat sich jetzt zum Teil dem Ausbau eiuer
Kriegsmarine widersetzt, die schon eine rühmliche, wenn auch noch keine kriege¬
rische Geschichte hinter sich hat. Und so steht auch der heutige Reichstag in
der allgemeinen Schätzung ebenso tief, wie das Frankfurter Parlament hoch
stand. Wenn Eugen Richter letzthin beweglich klagte, daß die Regierung nichts
thue, um den „Respekt" vor dem Reichstage zu erhöhen, und ihr das
Gegenteil vorwarf, so richtete er diese freisinnige Elegie an eine ganz falsche
Adresse; er sah den Balken im eignen Ange nicht. Jedes Parlament genießt
soviel Ansehen, als es sich selbst verdient, und wenn der „Respekt" vor dem
Reichstage so tief gesunken ist, so trügt daran niemand anders Schuld, als
die gesinnungstüchtigen, unbelehrbarer Neinsager vom Schlage Richters und
die gewohnheitsmäßigen schwarzer aus alleu Parteien. Wie soll sich noch
jemand für die Wahrung der Rechte des Reichstags besonders begeistern oder
über ihre angebliche Verkürzung entrüsten, wenn die Mehrzahl der Volksver¬
treter so wenig Wert darauf legt, diese Rechte auszuüben!

So hat es denn auch eiuer sehr lebhaften Agitation bedurft, um die Stim-
mung des hohen Hauses soweit zu beeinflusse», daß sich schließlich eine anstündige
Mehrheit für das Flottengesetz zusammenfand. Die Agitation wurde begünstigt
durch die Ereignisse in China und in Haiti, die ein gütiges Geschick uns im
rechten Augenblicke sandte, um uns die Augen zu öffnen. Eugen Richter sah
freilich in der Agitation eine unerhörte Beeinflussung von oben, denn natürlich,
zu agitiren ist nur der Demokratie und der Opposition erlaubt; daß gewesene
Marineoffiziere mit und ohne Auftrag Flugschriften schrieben und herumreisten,
um Vorträge über die Flotte zu halten, das war ganz und gar unerlaubt,
denn am Ende mußte man sich doch sagen, daß sie von der Sache fast ebenso
viel verstünden, wie der unentwegte flottenscheue Vertreter von Hagen oder die
drei Sozialdemokraten, die Hamburg in den Reichstag schickte, daß also ihr
Auftreten auch nicht eines gewissen Eindrucks verfehlen werde, und es gelang
wirklich in überraschend kurzer Zeit, im deutschen Volke eine mächtige Strömung
zu Gunsten der Regierungsvorlage hervorzurufen; die Befürchtung, der große


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/58>, abgerufen am 23.07.2024.