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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

Wendung, und in der That beantwortete Preußen (gegen den Willen Bismarcks,
der damals erkrankt war) die österreichische Note vom 7. April mit dem Vor¬
schlage, die schon getroffnen militärischen Maßregeln zurückzunehmen, am 15. April
zustimmend. Allein hier griffen nun die europäischen Verhältnisse maßgebend ein.
Für beide Mächte war die Haltung Napoleons III. von entscheidender Bedeutung.
Da dieser den Krieg schürte, um, als Vermittler zwischen die erschöpften Gegner
tretend, für Frankreich eine Landerwerbung am Rhein oder in Belgien, für
Italien die Erwerbung Vencziens durchzusetzen, daher Italien zum Bündnis mit
Preußen drängte, um der, wie er meinte, unzweifelhaften Übermacht Österreichs
einigermaßen ein Gegengewicht zu schaffen, so vermochte zunächst weder Preußen
noch Österreich zu einer festen Abmachung mit ihm zu kommen, das seine
Neutralität der einen oder andern Macht gesichert hätte. Gerade die Rüstungen
Italiens aber führten in Wien gegen Mensdorffs Meinung zu dem ent¬
scheidenden Beschlusse, die dort stehenden Truppen zu mobilisiren (21. April)
und in der Note vom 26. April Preußen zu erklären, daß Österreich im Süden
nicht abrüsten könne. Damit waren im Grunde die Würfel gefallen, denn das
konnte Preußen schon mit Rücksicht auf das verbündete Italien nicht zugeben,
und da schon am 27. April Österreich auch die Aufstellung einer Nordarmee
anordnete, so ergingen seit dem 3. Mai die Befehle auch zur Mobilisirung
der gesamten preußischen Armee.

Jetzt erst war der lange Widerstand des Königs Wilhelm gegen den
Krieg überwunden, denn die Sicherheit seines Staates war bedroht. In dem¬
selben Augenblicke, also zu spät, faßte man in Wien den Entschluß, sich mit
Italien zu verständigen, aber auch jetzt noch nicht unmittelbar und nicht rück¬
haltlos, sondern indem man am 30. April in Paris, wenn Italien neutral
bliebe, Venezien anbot, falls es nämlich gelänge, Schlesien für Österreich zu
erobern. Damit spielte dies Napoleon III. und dem Kabinett von Florenz
die Entscheidung in die Hand. Jener bestand auf der Zusicherung, Venezieu
ohne Rücksicht auf Schlesien abzutreten, und erreichte sie auch; die italienische
Regierung aber konnte nach dem Bündnisvertrage und unter dem steigenden
Drucke der nationalen Leidenschaft das verspätete Anerbieten auf keinen Fall
annehmen. So mißlang dieser österreichische Schachzug völlig, und Österreich
vergoß dann das Blut seiner Soldaten in Strömen für das Gespenst der
Waffenehre um einer Provinz willen, die es grundsätzlich schon aufgegeben
hatte, ein Verfahren, das Graf Rechberg später rund heraus eine "Schändlich¬
keit" genannt hat.

(Schluß folgt)




Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

Wendung, und in der That beantwortete Preußen (gegen den Willen Bismarcks,
der damals erkrankt war) die österreichische Note vom 7. April mit dem Vor¬
schlage, die schon getroffnen militärischen Maßregeln zurückzunehmen, am 15. April
zustimmend. Allein hier griffen nun die europäischen Verhältnisse maßgebend ein.
Für beide Mächte war die Haltung Napoleons III. von entscheidender Bedeutung.
Da dieser den Krieg schürte, um, als Vermittler zwischen die erschöpften Gegner
tretend, für Frankreich eine Landerwerbung am Rhein oder in Belgien, für
Italien die Erwerbung Vencziens durchzusetzen, daher Italien zum Bündnis mit
Preußen drängte, um der, wie er meinte, unzweifelhaften Übermacht Österreichs
einigermaßen ein Gegengewicht zu schaffen, so vermochte zunächst weder Preußen
noch Österreich zu einer festen Abmachung mit ihm zu kommen, das seine
Neutralität der einen oder andern Macht gesichert hätte. Gerade die Rüstungen
Italiens aber führten in Wien gegen Mensdorffs Meinung zu dem ent¬
scheidenden Beschlusse, die dort stehenden Truppen zu mobilisiren (21. April)
und in der Note vom 26. April Preußen zu erklären, daß Österreich im Süden
nicht abrüsten könne. Damit waren im Grunde die Würfel gefallen, denn das
konnte Preußen schon mit Rücksicht auf das verbündete Italien nicht zugeben,
und da schon am 27. April Österreich auch die Aufstellung einer Nordarmee
anordnete, so ergingen seit dem 3. Mai die Befehle auch zur Mobilisirung
der gesamten preußischen Armee.

Jetzt erst war der lange Widerstand des Königs Wilhelm gegen den
Krieg überwunden, denn die Sicherheit seines Staates war bedroht. In dem¬
selben Augenblicke, also zu spät, faßte man in Wien den Entschluß, sich mit
Italien zu verständigen, aber auch jetzt noch nicht unmittelbar und nicht rück¬
haltlos, sondern indem man am 30. April in Paris, wenn Italien neutral
bliebe, Venezien anbot, falls es nämlich gelänge, Schlesien für Österreich zu
erobern. Damit spielte dies Napoleon III. und dem Kabinett von Florenz
die Entscheidung in die Hand. Jener bestand auf der Zusicherung, Venezieu
ohne Rücksicht auf Schlesien abzutreten, und erreichte sie auch; die italienische
Regierung aber konnte nach dem Bündnisvertrage und unter dem steigenden
Drucke der nationalen Leidenschaft das verspätete Anerbieten auf keinen Fall
annehmen. So mißlang dieser österreichische Schachzug völlig, und Österreich
vergoß dann das Blut seiner Soldaten in Strömen für das Gespenst der
Waffenehre um einer Provinz willen, die es grundsätzlich schon aufgegeben
hatte, ein Verfahren, das Graf Rechberg später rund heraus eine „Schändlich¬
keit" genannt hat.

(Schluß folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/571>, abgerufen am 23.07.2024.