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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

werdet) Das war gewiß nur konsequent, aber eine reine Verteidiguugspolitik
war das nicht mehr. Und diese Richtung überwog im österreichischen Minister¬
rate mehr und mehr, deun sie hatte wenigstens ein bestimmtes klares Ziel.
Daher wurde in Holstein die Augustenburgische Agitation begünstigt, in der
Preußen einen Angriff auf sein Mitbesitzrecht erkannte und erkennen mußte.
Nun lagen an sich für Österreich zwei Wege offen. Entweder mußte es den
Krieg gegen Preußen mit allen Mitteln aufnehmen, also sich möglichst bald
mit Italien unmittelbar durch Verzicht ans Venezien verständigen, um seine
ganze Kraft nach Norden werfen zu können und hier einen durchschlagenden
Sieg zu erfechten. Oder es mußte seinen Anspruch auf den ausschließlichen
Vorsitz im Deutschen Bundestage -- denn viel mehr bedeutete die so eifer¬
süchtig bewahrte "Vorherrschaft" nicht -- aufgeben und sich mit Preußen über
eine gemeinsame Neuordnung der deutschen Verhältnisse einigen, deren UnHalt¬
barkeit Kaiser Franz Joseph selbst 1863 mit unvergeßlichen Worten anerkannt
hatte. Der Stolz auf die alte Tradition und der Mangel an jedem Ver¬
ständnis für die nationalen Interessen Deutschlands versperrten den zweiten
Weg, wie den ersten. Um so sichrer ging Vismarck vor. Schon am
28. Februar 1866 hatte der preußische Ministerrat gegen die Stimme des
Kronprinzen beschlossen, es um Schleswig-Holsteins willen auf einen Krieg
ankommen zu lassen, und seit dem 14. März wurde mit dem General Govone
in Berlin über ein preußisch-italienisches Bündnis verhandelt. Nachdem am
29. März die ersten Befehle zu militärischen Vorbereitungen ergangen waren,
kam am 8. April der Bund auf drei Monate zum Abschluß (in dem Sinne,
daß, falls Preußen wegen der Bundesreform während dieser Zeit in Krieg
verwickelt würde, Italien gleichfalls losschlagen müsse und Venezien erhalten
solle). Unmittelbar darauf, am 9. April, stellte Preußen in Frankfurt den
überraschenden Antrag auf die Berufung eines deutschen Parlaments nach dem
allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht der Reichsverfassung von 1849.

Dieser kühn vordringenden, zielbewußter preußischen Politik gegenüber
herrschte in Österreich ebenso große Ratlosigkeit wie Erbitterung. Dabei trat
ein bedenklicher Zwiespalt zwischen der Staats- und der Heeresleitung hervor.
Die Diplomaten, namentlich Biegeleben, trieben zum Kriege, die Generale
machten Bedenken geltend, besonders wegen der unvermeidlichen Langsam¬
keit der österreichische" Mobilisirung, und wollten von Anfang an nur
von einem Verteidigungskriege hören, während Moltke sich ebenso ent¬
schieden für den entschlossensten Angriffskrieg und zwar in möglichst kurzer
Frist aussprach, allerdings ohne den König zu überzeugen. In dieser Ab¬
neigung des Monarchen gegen einen Angriff, in der er von einem Teile seiner
nächsten Umgebung bestärkt wurde, lag die letzte Möglichkeit einer friedlichen



*) Th. von Bernhardi, Aus den letzten Tagen des deutschen Bundes, 308.
Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

werdet) Das war gewiß nur konsequent, aber eine reine Verteidiguugspolitik
war das nicht mehr. Und diese Richtung überwog im österreichischen Minister¬
rate mehr und mehr, deun sie hatte wenigstens ein bestimmtes klares Ziel.
Daher wurde in Holstein die Augustenburgische Agitation begünstigt, in der
Preußen einen Angriff auf sein Mitbesitzrecht erkannte und erkennen mußte.
Nun lagen an sich für Österreich zwei Wege offen. Entweder mußte es den
Krieg gegen Preußen mit allen Mitteln aufnehmen, also sich möglichst bald
mit Italien unmittelbar durch Verzicht ans Venezien verständigen, um seine
ganze Kraft nach Norden werfen zu können und hier einen durchschlagenden
Sieg zu erfechten. Oder es mußte seinen Anspruch auf den ausschließlichen
Vorsitz im Deutschen Bundestage — denn viel mehr bedeutete die so eifer¬
süchtig bewahrte „Vorherrschaft" nicht — aufgeben und sich mit Preußen über
eine gemeinsame Neuordnung der deutschen Verhältnisse einigen, deren UnHalt¬
barkeit Kaiser Franz Joseph selbst 1863 mit unvergeßlichen Worten anerkannt
hatte. Der Stolz auf die alte Tradition und der Mangel an jedem Ver¬
ständnis für die nationalen Interessen Deutschlands versperrten den zweiten
Weg, wie den ersten. Um so sichrer ging Vismarck vor. Schon am
28. Februar 1866 hatte der preußische Ministerrat gegen die Stimme des
Kronprinzen beschlossen, es um Schleswig-Holsteins willen auf einen Krieg
ankommen zu lassen, und seit dem 14. März wurde mit dem General Govone
in Berlin über ein preußisch-italienisches Bündnis verhandelt. Nachdem am
29. März die ersten Befehle zu militärischen Vorbereitungen ergangen waren,
kam am 8. April der Bund auf drei Monate zum Abschluß (in dem Sinne,
daß, falls Preußen wegen der Bundesreform während dieser Zeit in Krieg
verwickelt würde, Italien gleichfalls losschlagen müsse und Venezien erhalten
solle). Unmittelbar darauf, am 9. April, stellte Preußen in Frankfurt den
überraschenden Antrag auf die Berufung eines deutschen Parlaments nach dem
allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht der Reichsverfassung von 1849.

Dieser kühn vordringenden, zielbewußter preußischen Politik gegenüber
herrschte in Österreich ebenso große Ratlosigkeit wie Erbitterung. Dabei trat
ein bedenklicher Zwiespalt zwischen der Staats- und der Heeresleitung hervor.
Die Diplomaten, namentlich Biegeleben, trieben zum Kriege, die Generale
machten Bedenken geltend, besonders wegen der unvermeidlichen Langsam¬
keit der österreichische« Mobilisirung, und wollten von Anfang an nur
von einem Verteidigungskriege hören, während Moltke sich ebenso ent¬
schieden für den entschlossensten Angriffskrieg und zwar in möglichst kurzer
Frist aussprach, allerdings ohne den König zu überzeugen. In dieser Ab¬
neigung des Monarchen gegen einen Angriff, in der er von einem Teile seiner
nächsten Umgebung bestärkt wurde, lag die letzte Möglichkeit einer friedlichen



*) Th. von Bernhardi, Aus den letzten Tagen des deutschen Bundes, 308.
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[0570] Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland werdet) Das war gewiß nur konsequent, aber eine reine Verteidiguugspolitik war das nicht mehr. Und diese Richtung überwog im österreichischen Minister¬ rate mehr und mehr, deun sie hatte wenigstens ein bestimmtes klares Ziel. Daher wurde in Holstein die Augustenburgische Agitation begünstigt, in der Preußen einen Angriff auf sein Mitbesitzrecht erkannte und erkennen mußte. Nun lagen an sich für Österreich zwei Wege offen. Entweder mußte es den Krieg gegen Preußen mit allen Mitteln aufnehmen, also sich möglichst bald mit Italien unmittelbar durch Verzicht ans Venezien verständigen, um seine ganze Kraft nach Norden werfen zu können und hier einen durchschlagenden Sieg zu erfechten. Oder es mußte seinen Anspruch auf den ausschließlichen Vorsitz im Deutschen Bundestage — denn viel mehr bedeutete die so eifer¬ süchtig bewahrte „Vorherrschaft" nicht — aufgeben und sich mit Preußen über eine gemeinsame Neuordnung der deutschen Verhältnisse einigen, deren UnHalt¬ barkeit Kaiser Franz Joseph selbst 1863 mit unvergeßlichen Worten anerkannt hatte. Der Stolz auf die alte Tradition und der Mangel an jedem Ver¬ ständnis für die nationalen Interessen Deutschlands versperrten den zweiten Weg, wie den ersten. Um so sichrer ging Vismarck vor. Schon am 28. Februar 1866 hatte der preußische Ministerrat gegen die Stimme des Kronprinzen beschlossen, es um Schleswig-Holsteins willen auf einen Krieg ankommen zu lassen, und seit dem 14. März wurde mit dem General Govone in Berlin über ein preußisch-italienisches Bündnis verhandelt. Nachdem am 29. März die ersten Befehle zu militärischen Vorbereitungen ergangen waren, kam am 8. April der Bund auf drei Monate zum Abschluß (in dem Sinne, daß, falls Preußen wegen der Bundesreform während dieser Zeit in Krieg verwickelt würde, Italien gleichfalls losschlagen müsse und Venezien erhalten solle). Unmittelbar darauf, am 9. April, stellte Preußen in Frankfurt den überraschenden Antrag auf die Berufung eines deutschen Parlaments nach dem allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht der Reichsverfassung von 1849. Dieser kühn vordringenden, zielbewußter preußischen Politik gegenüber herrschte in Österreich ebenso große Ratlosigkeit wie Erbitterung. Dabei trat ein bedenklicher Zwiespalt zwischen der Staats- und der Heeresleitung hervor. Die Diplomaten, namentlich Biegeleben, trieben zum Kriege, die Generale machten Bedenken geltend, besonders wegen der unvermeidlichen Langsam¬ keit der österreichische« Mobilisirung, und wollten von Anfang an nur von einem Verteidigungskriege hören, während Moltke sich ebenso ent¬ schieden für den entschlossensten Angriffskrieg und zwar in möglichst kurzer Frist aussprach, allerdings ohne den König zu überzeugen. In dieser Ab¬ neigung des Monarchen gegen einen Angriff, in der er von einem Teile seiner nächsten Umgebung bestärkt wurde, lag die letzte Möglichkeit einer friedlichen *) Th. von Bernhardi, Aus den letzten Tagen des deutschen Bundes, 308.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/570>, abgerufen am 23.07.2024.