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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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vom Deutschenbaß

Leistungen einer Politik ü, 1a Potemkin herauskommen wird, ist abzuwarten,
denn das hängt wesentlich auch von der weitern Gestaltung des Verhältnisses
zwischen Österreich und Ungarn ab, und es könnte doch ein Tag anbrechen,
an dem der alte und nun so kräftig genährte Haß aller nichtmagyarischen
Völkerschaften ihren Unterdrückern mit größerer Energie als 1848 den "Gro߬
machtskitzel" austriebe. Welcher Brennstoff von den Kurzsichtigen angehäuft
worden ist, das können wir unter anderm aus der aktenmäßigen Darstellung
in "Deutschtum und Magyarisirung" von Fr. G. Schultheiß (München. 1898)
und aus dem Aufsatz in Ur. 20 der Grenzboten erkennen. Leider giebt es zur
Ergänzung wieder eine beträchtliche Sündenlast des deutschen Liberalismus.

Bis 1848 begegnen wir in der Litteratur nur guter Freundschaft zwischen
Magyaren und Deutschen. Diese bewunderten bereitwillig die phantastische
Ritterlichkeit, die Neiterkünste, die Redegewandtheit, die Räuberromautik, die
feurigen Weine, die Zigeunermusik; die Ungarn ließen es sich gutmütig ge¬
fallen, daß die "Schwaben" wie von altersher Gewerbe, Handel und Ackerbau
betrieben, und daß Pester Buchhandlungen die Werke deutscher Autoren druckten,
wie z. B. Stifters Studien, belletristische Jahrbücher des Grafen Mailath u. v. a.
Erst Kossuth brachte die Lehrmeinung auf, Ungarn gehöre den Magyaren,
und sie müßten die Deutschen, Slowaken. Rumänen usw. mit allen Mitteln
magyarisiren. um nicht selbst erdrückt zu werden. Den ersten Anhang fand er
unter Juden, die stolz darauf waren, Attila und Kalpak (leider nicht auch
sofort den Säbel!) tragen zu dürfen und ihre Namen zu übersetzen oder sich
doch ein ffy oder esp anzuhängen. Indische Journalisten überschwemmten nach
Vilagos Deutschland, Frankreich und England, und deutsche Zeitungen gaben
sich dazu her, die von den "edeln Flüchtlingen," wie Hirschel-Szarvady und
Genossen, aus Ungarn datirten Entstellungen und Übertreibungen zu vertreiben.
In ihrer Verblendung merkten die Liberalen nicht, daß die Angriffe auf alles
Österreichische zugleich das Deutschtum trafen. Ein Fall dieser Art verdient
der Vergessenheit entrissen zu werden. Eine im Banat angesessene Dame
strengte sich rastlos an, die Bevölkerung dort zu rationelleren Betriebe des
Wein- und Tabakbaues anzuleiten. Die Ansiedlung von Pfülzern hatte nicht
den gewünschten Erfolg, weil die Leute sich zu schwer an Klima und Lebens¬
weise gewöhnten. Deshalb entwarf die Dame, ebenso verständig wie edelmütig,
einen andern Kolonisationsplan, wonach Kinder aus Findelhäusern Wiens über¬
nommen, zu Landarbeitern erzogen werden und eine sichere Zukunft erhalten
sollten. Der Plan war so einleuchtend, daß die edeln Flüchtlinge in Wut
geriete". Was auf einem einzelnen Landgute geschah, konnte nachgeahmt
werden, und dann drohte eine neue friedliche und deshalb umso gefährlichere
deutsche Einwanderung. Durch Darstellungen der Verhältnisse in ihrem wahren
Lichte konnten sie kaum Eindruck machen; so erklärten sie schamlos, in Ungarn
solle ein -- Botanybai für Österreich geschaffen werden! Das wurde in


vom Deutschenbaß

Leistungen einer Politik ü, 1a Potemkin herauskommen wird, ist abzuwarten,
denn das hängt wesentlich auch von der weitern Gestaltung des Verhältnisses
zwischen Österreich und Ungarn ab, und es könnte doch ein Tag anbrechen,
an dem der alte und nun so kräftig genährte Haß aller nichtmagyarischen
Völkerschaften ihren Unterdrückern mit größerer Energie als 1848 den „Gro߬
machtskitzel" austriebe. Welcher Brennstoff von den Kurzsichtigen angehäuft
worden ist, das können wir unter anderm aus der aktenmäßigen Darstellung
in „Deutschtum und Magyarisirung" von Fr. G. Schultheiß (München. 1898)
und aus dem Aufsatz in Ur. 20 der Grenzboten erkennen. Leider giebt es zur
Ergänzung wieder eine beträchtliche Sündenlast des deutschen Liberalismus.

Bis 1848 begegnen wir in der Litteratur nur guter Freundschaft zwischen
Magyaren und Deutschen. Diese bewunderten bereitwillig die phantastische
Ritterlichkeit, die Neiterkünste, die Redegewandtheit, die Räuberromautik, die
feurigen Weine, die Zigeunermusik; die Ungarn ließen es sich gutmütig ge¬
fallen, daß die „Schwaben" wie von altersher Gewerbe, Handel und Ackerbau
betrieben, und daß Pester Buchhandlungen die Werke deutscher Autoren druckten,
wie z. B. Stifters Studien, belletristische Jahrbücher des Grafen Mailath u. v. a.
Erst Kossuth brachte die Lehrmeinung auf, Ungarn gehöre den Magyaren,
und sie müßten die Deutschen, Slowaken. Rumänen usw. mit allen Mitteln
magyarisiren. um nicht selbst erdrückt zu werden. Den ersten Anhang fand er
unter Juden, die stolz darauf waren, Attila und Kalpak (leider nicht auch
sofort den Säbel!) tragen zu dürfen und ihre Namen zu übersetzen oder sich
doch ein ffy oder esp anzuhängen. Indische Journalisten überschwemmten nach
Vilagos Deutschland, Frankreich und England, und deutsche Zeitungen gaben
sich dazu her, die von den „edeln Flüchtlingen," wie Hirschel-Szarvady und
Genossen, aus Ungarn datirten Entstellungen und Übertreibungen zu vertreiben.
In ihrer Verblendung merkten die Liberalen nicht, daß die Angriffe auf alles
Österreichische zugleich das Deutschtum trafen. Ein Fall dieser Art verdient
der Vergessenheit entrissen zu werden. Eine im Banat angesessene Dame
strengte sich rastlos an, die Bevölkerung dort zu rationelleren Betriebe des
Wein- und Tabakbaues anzuleiten. Die Ansiedlung von Pfülzern hatte nicht
den gewünschten Erfolg, weil die Leute sich zu schwer an Klima und Lebens¬
weise gewöhnten. Deshalb entwarf die Dame, ebenso verständig wie edelmütig,
einen andern Kolonisationsplan, wonach Kinder aus Findelhäusern Wiens über¬
nommen, zu Landarbeitern erzogen werden und eine sichere Zukunft erhalten
sollten. Der Plan war so einleuchtend, daß die edeln Flüchtlinge in Wut
geriete». Was auf einem einzelnen Landgute geschah, konnte nachgeahmt
werden, und dann drohte eine neue friedliche und deshalb umso gefährlichere
deutsche Einwanderung. Durch Darstellungen der Verhältnisse in ihrem wahren
Lichte konnten sie kaum Eindruck machen; so erklärten sie schamlos, in Ungarn
solle ein — Botanybai für Österreich geschaffen werden! Das wurde in


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[0523] vom Deutschenbaß Leistungen einer Politik ü, 1a Potemkin herauskommen wird, ist abzuwarten, denn das hängt wesentlich auch von der weitern Gestaltung des Verhältnisses zwischen Österreich und Ungarn ab, und es könnte doch ein Tag anbrechen, an dem der alte und nun so kräftig genährte Haß aller nichtmagyarischen Völkerschaften ihren Unterdrückern mit größerer Energie als 1848 den „Gro߬ machtskitzel" austriebe. Welcher Brennstoff von den Kurzsichtigen angehäuft worden ist, das können wir unter anderm aus der aktenmäßigen Darstellung in „Deutschtum und Magyarisirung" von Fr. G. Schultheiß (München. 1898) und aus dem Aufsatz in Ur. 20 der Grenzboten erkennen. Leider giebt es zur Ergänzung wieder eine beträchtliche Sündenlast des deutschen Liberalismus. Bis 1848 begegnen wir in der Litteratur nur guter Freundschaft zwischen Magyaren und Deutschen. Diese bewunderten bereitwillig die phantastische Ritterlichkeit, die Neiterkünste, die Redegewandtheit, die Räuberromautik, die feurigen Weine, die Zigeunermusik; die Ungarn ließen es sich gutmütig ge¬ fallen, daß die „Schwaben" wie von altersher Gewerbe, Handel und Ackerbau betrieben, und daß Pester Buchhandlungen die Werke deutscher Autoren druckten, wie z. B. Stifters Studien, belletristische Jahrbücher des Grafen Mailath u. v. a. Erst Kossuth brachte die Lehrmeinung auf, Ungarn gehöre den Magyaren, und sie müßten die Deutschen, Slowaken. Rumänen usw. mit allen Mitteln magyarisiren. um nicht selbst erdrückt zu werden. Den ersten Anhang fand er unter Juden, die stolz darauf waren, Attila und Kalpak (leider nicht auch sofort den Säbel!) tragen zu dürfen und ihre Namen zu übersetzen oder sich doch ein ffy oder esp anzuhängen. Indische Journalisten überschwemmten nach Vilagos Deutschland, Frankreich und England, und deutsche Zeitungen gaben sich dazu her, die von den „edeln Flüchtlingen," wie Hirschel-Szarvady und Genossen, aus Ungarn datirten Entstellungen und Übertreibungen zu vertreiben. In ihrer Verblendung merkten die Liberalen nicht, daß die Angriffe auf alles Österreichische zugleich das Deutschtum trafen. Ein Fall dieser Art verdient der Vergessenheit entrissen zu werden. Eine im Banat angesessene Dame strengte sich rastlos an, die Bevölkerung dort zu rationelleren Betriebe des Wein- und Tabakbaues anzuleiten. Die Ansiedlung von Pfülzern hatte nicht den gewünschten Erfolg, weil die Leute sich zu schwer an Klima und Lebens¬ weise gewöhnten. Deshalb entwarf die Dame, ebenso verständig wie edelmütig, einen andern Kolonisationsplan, wonach Kinder aus Findelhäusern Wiens über¬ nommen, zu Landarbeitern erzogen werden und eine sichere Zukunft erhalten sollten. Der Plan war so einleuchtend, daß die edeln Flüchtlinge in Wut geriete». Was auf einem einzelnen Landgute geschah, konnte nachgeahmt werden, und dann drohte eine neue friedliche und deshalb umso gefährlichere deutsche Einwanderung. Durch Darstellungen der Verhältnisse in ihrem wahren Lichte konnten sie kaum Eindruck machen; so erklärten sie schamlos, in Ungarn solle ein — Botanybai für Österreich geschaffen werden! Das wurde in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/523>, abgerufen am 23.07.2024.