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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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vom Deutschenhaß

Hartmann und Alfred Meißner führten sich in hussitischen Gewände in die
deutsche Litteratur ein, und in einem verschollnen Novellenbuche ihres Zeit¬
genossen Uffo Horn aus den vierziger Jahren entsinne ich mich einmal eine
warme Schilderung des tschechischen Patriotismus gefunden zu haben, der es
seinen Anhängern verbot, sich noch der deutschen Sprache zu bedienen. Der
neue hussitische Rausch verflüchtigte sich 1849 bald, wenn auch Echtgefärbte
thätig blieben, durch Anfertigung alter Handschriften und falsche Bezeichnung
von Kunstwerken Vorstellungen von alttschechischer Kultur und Kunst zu ver¬
breiten. Die Menge fand es ersprießlicher, sich der Germanisativn in Ungarn
zur Verfügung zu stellen. Damals und später hat sich gezeigt, daß mit den
Tschechen auszukommen ist, wenn sie eine feste Hand über sich fühlen. Beamte
aus Böhmen sollen dazumal ganz Ungarn überschwemmt und das Regiment
der Minister Bach und Thun verhaßt gemacht haben. Vom General Benedek
ist oft erzählt worden, er habe als Statthalter von Ungarn einem deutschen
Beamten sein Erstaunen darüber ausgedrückt, daß er während seines mehr¬
jährigen Aufenthalts im Lande noch nicht böhmisch (wie man damals sagte)
gelernt habe. Dagegen werden Reisende sich erinnern, daß in Prag zu derselben
Zeit noch das Deutsche die allgemeine Umgangs- und Verkehrssprache war.

Wiederum verdarb der doktrinäre deutsche Liberalismus alles. Unter
dem Minister Schmerling wurde die Pflege der Muttersprache in den Schulen
eingeführt, und was Kenner der Verhältnisse voraussagten, daß in einem
Menschenalter eine ausschließlich tschechische Bevölkerung gezüchtet sein werde,
ist pünktlich in Erfüllung gegangen. Nun steht der Hussitismns wieder in
voller Blüte, die Deutschen sollen nicht nur in Böhmen, sondern anch in
Mähren, in dem österreichischen Schlesien, am liebsten in ganz Osterreich aus¬
gerottet werden, der Utraquismus steht nicht mehr in Frage wie 1419, aber
mit Ausnahme des Fenstersturzes ist die nationale Kampfesweise dieselbe ge¬
blieben. Zwar das Gedächtnis des Johann Huß ist bekanntlich fast aus¬
gelöscht worden durch die Verehrung des Johann von Nepomuk, dafür wissen
die Tschechen, und zwar sie allein, von einem böhmischen Staatsrechte, das
weder von der Wahl des Kurfürsten von der Pfalz noch von der Schlacht
am Weißen Berge berührt wird und mit der Zeit wohl an die Stelle des
österreichischen Staatsrechts treten soll.

Mit nicht geringerer Brutalität verfolgt die magyarische Minderheit die
Vernichtung der deutschen Nationalität wie der slawischen und der rumänischen
Nationalität in Ungarn. Im Besitze aller Machtmittel und sich ohne Scheu
über alle Schranken des Rechts hinwegsetzend, glaubt die Regierung durch
Umlaufe der Personen und der Ortschaften alle Bewohner des weiten Reichs
in Magyaren verwandeln zu können und scheint es für einen großen Erfolg zu
halten, wenn sie mit Hilfe der allbekannten Volkszählungsarithmetik wieder
eine Zunahme des Mcigyarentnms "konstatiren" kann. Was bei solchen


vom Deutschenhaß

Hartmann und Alfred Meißner führten sich in hussitischen Gewände in die
deutsche Litteratur ein, und in einem verschollnen Novellenbuche ihres Zeit¬
genossen Uffo Horn aus den vierziger Jahren entsinne ich mich einmal eine
warme Schilderung des tschechischen Patriotismus gefunden zu haben, der es
seinen Anhängern verbot, sich noch der deutschen Sprache zu bedienen. Der
neue hussitische Rausch verflüchtigte sich 1849 bald, wenn auch Echtgefärbte
thätig blieben, durch Anfertigung alter Handschriften und falsche Bezeichnung
von Kunstwerken Vorstellungen von alttschechischer Kultur und Kunst zu ver¬
breiten. Die Menge fand es ersprießlicher, sich der Germanisativn in Ungarn
zur Verfügung zu stellen. Damals und später hat sich gezeigt, daß mit den
Tschechen auszukommen ist, wenn sie eine feste Hand über sich fühlen. Beamte
aus Böhmen sollen dazumal ganz Ungarn überschwemmt und das Regiment
der Minister Bach und Thun verhaßt gemacht haben. Vom General Benedek
ist oft erzählt worden, er habe als Statthalter von Ungarn einem deutschen
Beamten sein Erstaunen darüber ausgedrückt, daß er während seines mehr¬
jährigen Aufenthalts im Lande noch nicht böhmisch (wie man damals sagte)
gelernt habe. Dagegen werden Reisende sich erinnern, daß in Prag zu derselben
Zeit noch das Deutsche die allgemeine Umgangs- und Verkehrssprache war.

Wiederum verdarb der doktrinäre deutsche Liberalismus alles. Unter
dem Minister Schmerling wurde die Pflege der Muttersprache in den Schulen
eingeführt, und was Kenner der Verhältnisse voraussagten, daß in einem
Menschenalter eine ausschließlich tschechische Bevölkerung gezüchtet sein werde,
ist pünktlich in Erfüllung gegangen. Nun steht der Hussitismns wieder in
voller Blüte, die Deutschen sollen nicht nur in Böhmen, sondern anch in
Mähren, in dem österreichischen Schlesien, am liebsten in ganz Osterreich aus¬
gerottet werden, der Utraquismus steht nicht mehr in Frage wie 1419, aber
mit Ausnahme des Fenstersturzes ist die nationale Kampfesweise dieselbe ge¬
blieben. Zwar das Gedächtnis des Johann Huß ist bekanntlich fast aus¬
gelöscht worden durch die Verehrung des Johann von Nepomuk, dafür wissen
die Tschechen, und zwar sie allein, von einem böhmischen Staatsrechte, das
weder von der Wahl des Kurfürsten von der Pfalz noch von der Schlacht
am Weißen Berge berührt wird und mit der Zeit wohl an die Stelle des
österreichischen Staatsrechts treten soll.

Mit nicht geringerer Brutalität verfolgt die magyarische Minderheit die
Vernichtung der deutschen Nationalität wie der slawischen und der rumänischen
Nationalität in Ungarn. Im Besitze aller Machtmittel und sich ohne Scheu
über alle Schranken des Rechts hinwegsetzend, glaubt die Regierung durch
Umlaufe der Personen und der Ortschaften alle Bewohner des weiten Reichs
in Magyaren verwandeln zu können und scheint es für einen großen Erfolg zu
halten, wenn sie mit Hilfe der allbekannten Volkszählungsarithmetik wieder
eine Zunahme des Mcigyarentnms „konstatiren" kann. Was bei solchen


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[0522] vom Deutschenhaß Hartmann und Alfred Meißner führten sich in hussitischen Gewände in die deutsche Litteratur ein, und in einem verschollnen Novellenbuche ihres Zeit¬ genossen Uffo Horn aus den vierziger Jahren entsinne ich mich einmal eine warme Schilderung des tschechischen Patriotismus gefunden zu haben, der es seinen Anhängern verbot, sich noch der deutschen Sprache zu bedienen. Der neue hussitische Rausch verflüchtigte sich 1849 bald, wenn auch Echtgefärbte thätig blieben, durch Anfertigung alter Handschriften und falsche Bezeichnung von Kunstwerken Vorstellungen von alttschechischer Kultur und Kunst zu ver¬ breiten. Die Menge fand es ersprießlicher, sich der Germanisativn in Ungarn zur Verfügung zu stellen. Damals und später hat sich gezeigt, daß mit den Tschechen auszukommen ist, wenn sie eine feste Hand über sich fühlen. Beamte aus Böhmen sollen dazumal ganz Ungarn überschwemmt und das Regiment der Minister Bach und Thun verhaßt gemacht haben. Vom General Benedek ist oft erzählt worden, er habe als Statthalter von Ungarn einem deutschen Beamten sein Erstaunen darüber ausgedrückt, daß er während seines mehr¬ jährigen Aufenthalts im Lande noch nicht böhmisch (wie man damals sagte) gelernt habe. Dagegen werden Reisende sich erinnern, daß in Prag zu derselben Zeit noch das Deutsche die allgemeine Umgangs- und Verkehrssprache war. Wiederum verdarb der doktrinäre deutsche Liberalismus alles. Unter dem Minister Schmerling wurde die Pflege der Muttersprache in den Schulen eingeführt, und was Kenner der Verhältnisse voraussagten, daß in einem Menschenalter eine ausschließlich tschechische Bevölkerung gezüchtet sein werde, ist pünktlich in Erfüllung gegangen. Nun steht der Hussitismns wieder in voller Blüte, die Deutschen sollen nicht nur in Böhmen, sondern anch in Mähren, in dem österreichischen Schlesien, am liebsten in ganz Osterreich aus¬ gerottet werden, der Utraquismus steht nicht mehr in Frage wie 1419, aber mit Ausnahme des Fenstersturzes ist die nationale Kampfesweise dieselbe ge¬ blieben. Zwar das Gedächtnis des Johann Huß ist bekanntlich fast aus¬ gelöscht worden durch die Verehrung des Johann von Nepomuk, dafür wissen die Tschechen, und zwar sie allein, von einem böhmischen Staatsrechte, das weder von der Wahl des Kurfürsten von der Pfalz noch von der Schlacht am Weißen Berge berührt wird und mit der Zeit wohl an die Stelle des österreichischen Staatsrechts treten soll. Mit nicht geringerer Brutalität verfolgt die magyarische Minderheit die Vernichtung der deutschen Nationalität wie der slawischen und der rumänischen Nationalität in Ungarn. Im Besitze aller Machtmittel und sich ohne Scheu über alle Schranken des Rechts hinwegsetzend, glaubt die Regierung durch Umlaufe der Personen und der Ortschaften alle Bewohner des weiten Reichs in Magyaren verwandeln zu können und scheint es für einen großen Erfolg zu halten, wenn sie mit Hilfe der allbekannten Volkszählungsarithmetik wieder eine Zunahme des Mcigyarentnms „konstatiren" kann. Was bei solchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/522>, abgerufen am 26.08.2024.