Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Zum ^5. Juni Und dies Glück sollte dem Monarchen versagt sein? Danken wir doch Gott, Das Ausland ist gerechter, und es ist kein Ruhm sür uns Deutsche, die Zum ^5. Juni Und dies Glück sollte dem Monarchen versagt sein? Danken wir doch Gott, Das Ausland ist gerechter, und es ist kein Ruhm sür uns Deutsche, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0517" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228153"/> <fw type="header" place="top"> Zum ^5. Juni</fw><lb/> <lg xml:id="POEMID_5" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1406"> Und dies Glück sollte dem Monarchen versagt sein? Danken wir doch Gott,<lb/> daß wir nicht ein parlamentarisches, also ein verkrüppeltes Königtum haben,<lb/> das seinen Namen bald der, bald jener Partei leihen muß! Aber eben weil<lb/> eine solche ganz und gar undeutsche und im tiefsten Grunde unwahrhaftige<lb/> Staatsordnung das stille Ideal gar vieler Leute auch in Deutschland ist, weil<lb/> andrerseits jeder Tag zeigt, daß dieser Kaiser wirklich ein Monarch ist, und<lb/> nicht eine Puppe irgend welcher Partei, und weil er an die Stelle des alt¬<lb/> gewohnten, Ehrfurcht gebietenden und von ihm selbst hochverehrten Idealbilds<lb/> einen neuen Herrschertypus gesetzt hat, deshalb wird man nicht müde, auch<lb/> jetzt noch nicht, alles, was er sagt und thut, unfreundlich, kleinlich, oft geradezu<lb/> boshaft und hämisch zu bekritteln. Deal die nun einmal überall herrschende<lb/> Mittelmäßigkeit begreift eben nur das Mittelmäßige und Gewöhnliche; das<lb/> Bedeutende und Eigentümliche geht über ihren Horizont.</p><lb/> <p xml:id="ID_1407" next="#ID_1408"> Das Ausland ist gerechter, und es ist kein Ruhm sür uns Deutsche, die<lb/> wir eine ausgesprochne Begabung dafür haben, das Heimische geringzuschätzen,<lb/> daß Fremde den Kaiser oft besser zu würdigen wissen als wir. „Geben Sie<lb/> uns Ihren Kaiser, hat vor kurzem ein bedeutender Franzose zu einem Deutschen<lb/> gesagt, und wir wollten bald wieder die große Nation sein, die wir gewesen<lb/> sind." Die Fremden sehen eben, weil sie ferner stehen, nur die großen und<lb/> bedeutenden Züge dieses Charakterbildes, die kleinen und unbedeutenden treten<lb/> für sie zurück; sie sehen vor allen Dingen, daß Deutschland unter dieser Leitung<lb/> rastlos fortschreitet, und daß der Kaiser noch keinen ernsthaften Fehlschlag er¬<lb/> litten hat. Daß der Vertrag mit Rußland von 1887 nicht erneuert wurde<lb/> und eine gewisse Hinneigung zu England hervortrat, war sicher ein Fehler,<lb/> der das französisch-russische Einverständnis beschleunigt hat, aber es ist doch<lb/> die Frage, ob dies überhaupt ganz zu vermeiden gewesen wäre, ja ob es nicht<lb/> für Deutschland das Gute gehabt hat, Frankreich an die Kette zu legen, und<lb/> indem es die Nevancheschreier mehr und mehr überzeugte, daß Rußland nichts<lb/> thun wolle, um ihre Hoffnungen zu erfüllen, den Nevanchegedanken überhaupt<lb/> abzuschwächen. Das entsprach den Bemühungen des Kaisers, ein erträgliches<lb/> Verhältnis zu Frankreich herzustellen, ohne jemals den geringsten Zweifel darüber<lb/> zu lassen, daß er den Gewinn von 1870/71 nnter allen Umständen behaupten<lb/> werde. Mit Rußland vollends scheint nach dem Tode Alexanders III. das<lb/> alte Einvernehmen wiederhergestellt zu sein, trotz des „Zweibundes," während<lb/> die taktlosen Grobheiten der englischen Presse ebenso wenig auf die Haltung<lb/> Deutschlands wirken, wie ihre gelegentlich damit abwechselnden Sirenengesänge.<lb/> Der Abschluß der Handelsverträge war sicherlich übereilt, woran übrigens auch<lb/> den Reichstag ein Teil der Schuld trifft, aber daß die gewaltige Steigerung der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0517]
Zum ^5. Juni
Und dies Glück sollte dem Monarchen versagt sein? Danken wir doch Gott,
daß wir nicht ein parlamentarisches, also ein verkrüppeltes Königtum haben,
das seinen Namen bald der, bald jener Partei leihen muß! Aber eben weil
eine solche ganz und gar undeutsche und im tiefsten Grunde unwahrhaftige
Staatsordnung das stille Ideal gar vieler Leute auch in Deutschland ist, weil
andrerseits jeder Tag zeigt, daß dieser Kaiser wirklich ein Monarch ist, und
nicht eine Puppe irgend welcher Partei, und weil er an die Stelle des alt¬
gewohnten, Ehrfurcht gebietenden und von ihm selbst hochverehrten Idealbilds
einen neuen Herrschertypus gesetzt hat, deshalb wird man nicht müde, auch
jetzt noch nicht, alles, was er sagt und thut, unfreundlich, kleinlich, oft geradezu
boshaft und hämisch zu bekritteln. Deal die nun einmal überall herrschende
Mittelmäßigkeit begreift eben nur das Mittelmäßige und Gewöhnliche; das
Bedeutende und Eigentümliche geht über ihren Horizont.
Das Ausland ist gerechter, und es ist kein Ruhm sür uns Deutsche, die
wir eine ausgesprochne Begabung dafür haben, das Heimische geringzuschätzen,
daß Fremde den Kaiser oft besser zu würdigen wissen als wir. „Geben Sie
uns Ihren Kaiser, hat vor kurzem ein bedeutender Franzose zu einem Deutschen
gesagt, und wir wollten bald wieder die große Nation sein, die wir gewesen
sind." Die Fremden sehen eben, weil sie ferner stehen, nur die großen und
bedeutenden Züge dieses Charakterbildes, die kleinen und unbedeutenden treten
für sie zurück; sie sehen vor allen Dingen, daß Deutschland unter dieser Leitung
rastlos fortschreitet, und daß der Kaiser noch keinen ernsthaften Fehlschlag er¬
litten hat. Daß der Vertrag mit Rußland von 1887 nicht erneuert wurde
und eine gewisse Hinneigung zu England hervortrat, war sicher ein Fehler,
der das französisch-russische Einverständnis beschleunigt hat, aber es ist doch
die Frage, ob dies überhaupt ganz zu vermeiden gewesen wäre, ja ob es nicht
für Deutschland das Gute gehabt hat, Frankreich an die Kette zu legen, und
indem es die Nevancheschreier mehr und mehr überzeugte, daß Rußland nichts
thun wolle, um ihre Hoffnungen zu erfüllen, den Nevanchegedanken überhaupt
abzuschwächen. Das entsprach den Bemühungen des Kaisers, ein erträgliches
Verhältnis zu Frankreich herzustellen, ohne jemals den geringsten Zweifel darüber
zu lassen, daß er den Gewinn von 1870/71 nnter allen Umständen behaupten
werde. Mit Rußland vollends scheint nach dem Tode Alexanders III. das
alte Einvernehmen wiederhergestellt zu sein, trotz des „Zweibundes," während
die taktlosen Grobheiten der englischen Presse ebenso wenig auf die Haltung
Deutschlands wirken, wie ihre gelegentlich damit abwechselnden Sirenengesänge.
Der Abschluß der Handelsverträge war sicherlich übereilt, woran übrigens auch
den Reichstag ein Teil der Schuld trifft, aber daß die gewaltige Steigerung der
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