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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Industrie und der Ausfuhr ihnen wenigstens mit zu verdanken ist, das kann
doch auch nicht zweifelhaft sein. Mit Recht wurde die Kolonialpolitik des
Kolonialfeindes Caprivi als verfehlt bezeichnet und verurteilt, vor allem auch
deshalb, weil sie die kaum erwachte Unternehmungslust lähmte; aber seit 1894
trat auch hier eine Wendung ein: der Widerspruch gegen das englisch-kongo¬
staatliche Abkommen, die Intervention im chinesisch-japanischen Kriege zusammen
mit Rußland und Frankreich 1895, das energische Eintreten für Transvaal
1896, die Erwerbung von Kiautschou 1897 und endlich die Erneuerung unsrer
Flotte verrieten einen weiten Blick, eine feste Hand und den Entschluß,
Deutschland einzuführen in die Reihe der Weltmächte und alte Sünden wieder
gut zu machen, soweit das überhaupt noch möglich ist. Man hat jetzt das
erhebende Gefühl: Wir sind überall da, wo wir sein müssen, d. h. wo wir
Interessen haben, und die Welt findet das in der Ordnung. Kein Zweifel,
Deutschland ist in eine neue zukunftsreiche Periode eingetreten.

Leider kann man keineswegs sagen, daß die große Masse des deutschen
Volkes oder seiner Presse diese Politik unterstützte oder auch nur verstünde.
Wieder einmal ist die Regierung der öffentlichen Meinung vorausgegangen,
die oft genug kurzsichtig und kleinlich ist. Sobald irgendwo eine Meldung
auftaucht, Deutschland beabsichtige da und dort eine Einmischung oder Besitz¬
ergreifung, sei es auch nur die Erwerbung einer der unentbehrlichen Kohlen¬
stationen, so wird kleinmütig abgewiegelt und im Tone gekränkter Lammes¬
unschuld versichert, es sei kein Gedanke daran. Es ist immer noch, als
wenn wir unsre geehrten Herren Nachbarn um Entschuldigung bitten müßten,
daß wir uns die Freiheit nehmen, als Nation zu existiren. Wann werden
wir endlich lernen, unsre Ellenbogen kräftig zu brauchen! Unsre Vorfahren
haben das doch recht gut verstanden. Diese Zaghaftigkeit und Schüchternheit
ist ein fremder Tropfen im deutschen Blute, sie ist uns eingeimpft in einer
schlechten Zeit, in der auch das jämmerliche, bedientenhafte Sprichtwort ent¬
standen ist: "Mit dem Hute in der Hand kommt man durchs ganze Land."
Nein, mit dem Schwerte in der Hand kommt man durchs ganze Land, d. h. jetzt
durch die Welt. Wir können gar nicht mehr thun, als was uns die Fremden
so wie so zutrauen; thun wirs doch also! Hat doch keine Macht gewagt,
uns wegen Kiautschou auch nur schief anzusehen! Aber wir wollen noch
immer nicht begreifen, daß jetzt die wichtigsten Aufgaben Deutschlands in der
auswärtigen Politik liegen, daß wir die Grundlagen unsers wirtschaftlichen
Lebens erweitern müssen, wenn wir weiter leben wollen.

Wir stehen erst am Anfange. Möge, wenn wir in fünfzehn Jahren das
fünfundzwauzigjährige Negierungsjubiläum unsers Kaisers, so Gott will, festlich
begehen, sich das entwickelt haben, was er will, möge dann die ganze Nation
einmütig hinter ihm stehen, und möge dann auch erreicht sein, was das Glück
seines Großvaters ausmachte, der volle Einklang zwischen ihm und seinem


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Industrie und der Ausfuhr ihnen wenigstens mit zu verdanken ist, das kann
doch auch nicht zweifelhaft sein. Mit Recht wurde die Kolonialpolitik des
Kolonialfeindes Caprivi als verfehlt bezeichnet und verurteilt, vor allem auch
deshalb, weil sie die kaum erwachte Unternehmungslust lähmte; aber seit 1894
trat auch hier eine Wendung ein: der Widerspruch gegen das englisch-kongo¬
staatliche Abkommen, die Intervention im chinesisch-japanischen Kriege zusammen
mit Rußland und Frankreich 1895, das energische Eintreten für Transvaal
1896, die Erwerbung von Kiautschou 1897 und endlich die Erneuerung unsrer
Flotte verrieten einen weiten Blick, eine feste Hand und den Entschluß,
Deutschland einzuführen in die Reihe der Weltmächte und alte Sünden wieder
gut zu machen, soweit das überhaupt noch möglich ist. Man hat jetzt das
erhebende Gefühl: Wir sind überall da, wo wir sein müssen, d. h. wo wir
Interessen haben, und die Welt findet das in der Ordnung. Kein Zweifel,
Deutschland ist in eine neue zukunftsreiche Periode eingetreten.

Leider kann man keineswegs sagen, daß die große Masse des deutschen
Volkes oder seiner Presse diese Politik unterstützte oder auch nur verstünde.
Wieder einmal ist die Regierung der öffentlichen Meinung vorausgegangen,
die oft genug kurzsichtig und kleinlich ist. Sobald irgendwo eine Meldung
auftaucht, Deutschland beabsichtige da und dort eine Einmischung oder Besitz¬
ergreifung, sei es auch nur die Erwerbung einer der unentbehrlichen Kohlen¬
stationen, so wird kleinmütig abgewiegelt und im Tone gekränkter Lammes¬
unschuld versichert, es sei kein Gedanke daran. Es ist immer noch, als
wenn wir unsre geehrten Herren Nachbarn um Entschuldigung bitten müßten,
daß wir uns die Freiheit nehmen, als Nation zu existiren. Wann werden
wir endlich lernen, unsre Ellenbogen kräftig zu brauchen! Unsre Vorfahren
haben das doch recht gut verstanden. Diese Zaghaftigkeit und Schüchternheit
ist ein fremder Tropfen im deutschen Blute, sie ist uns eingeimpft in einer
schlechten Zeit, in der auch das jämmerliche, bedientenhafte Sprichtwort ent¬
standen ist: „Mit dem Hute in der Hand kommt man durchs ganze Land."
Nein, mit dem Schwerte in der Hand kommt man durchs ganze Land, d. h. jetzt
durch die Welt. Wir können gar nicht mehr thun, als was uns die Fremden
so wie so zutrauen; thun wirs doch also! Hat doch keine Macht gewagt,
uns wegen Kiautschou auch nur schief anzusehen! Aber wir wollen noch
immer nicht begreifen, daß jetzt die wichtigsten Aufgaben Deutschlands in der
auswärtigen Politik liegen, daß wir die Grundlagen unsers wirtschaftlichen
Lebens erweitern müssen, wenn wir weiter leben wollen.

Wir stehen erst am Anfange. Möge, wenn wir in fünfzehn Jahren das
fünfundzwauzigjährige Negierungsjubiläum unsers Kaisers, so Gott will, festlich
begehen, sich das entwickelt haben, was er will, möge dann die ganze Nation
einmütig hinter ihm stehen, und möge dann auch erreicht sein, was das Glück
seines Großvaters ausmachte, der volle Einklang zwischen ihm und seinem


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[0518] Zum ^5. Zum Industrie und der Ausfuhr ihnen wenigstens mit zu verdanken ist, das kann doch auch nicht zweifelhaft sein. Mit Recht wurde die Kolonialpolitik des Kolonialfeindes Caprivi als verfehlt bezeichnet und verurteilt, vor allem auch deshalb, weil sie die kaum erwachte Unternehmungslust lähmte; aber seit 1894 trat auch hier eine Wendung ein: der Widerspruch gegen das englisch-kongo¬ staatliche Abkommen, die Intervention im chinesisch-japanischen Kriege zusammen mit Rußland und Frankreich 1895, das energische Eintreten für Transvaal 1896, die Erwerbung von Kiautschou 1897 und endlich die Erneuerung unsrer Flotte verrieten einen weiten Blick, eine feste Hand und den Entschluß, Deutschland einzuführen in die Reihe der Weltmächte und alte Sünden wieder gut zu machen, soweit das überhaupt noch möglich ist. Man hat jetzt das erhebende Gefühl: Wir sind überall da, wo wir sein müssen, d. h. wo wir Interessen haben, und die Welt findet das in der Ordnung. Kein Zweifel, Deutschland ist in eine neue zukunftsreiche Periode eingetreten. Leider kann man keineswegs sagen, daß die große Masse des deutschen Volkes oder seiner Presse diese Politik unterstützte oder auch nur verstünde. Wieder einmal ist die Regierung der öffentlichen Meinung vorausgegangen, die oft genug kurzsichtig und kleinlich ist. Sobald irgendwo eine Meldung auftaucht, Deutschland beabsichtige da und dort eine Einmischung oder Besitz¬ ergreifung, sei es auch nur die Erwerbung einer der unentbehrlichen Kohlen¬ stationen, so wird kleinmütig abgewiegelt und im Tone gekränkter Lammes¬ unschuld versichert, es sei kein Gedanke daran. Es ist immer noch, als wenn wir unsre geehrten Herren Nachbarn um Entschuldigung bitten müßten, daß wir uns die Freiheit nehmen, als Nation zu existiren. Wann werden wir endlich lernen, unsre Ellenbogen kräftig zu brauchen! Unsre Vorfahren haben das doch recht gut verstanden. Diese Zaghaftigkeit und Schüchternheit ist ein fremder Tropfen im deutschen Blute, sie ist uns eingeimpft in einer schlechten Zeit, in der auch das jämmerliche, bedientenhafte Sprichtwort ent¬ standen ist: „Mit dem Hute in der Hand kommt man durchs ganze Land." Nein, mit dem Schwerte in der Hand kommt man durchs ganze Land, d. h. jetzt durch die Welt. Wir können gar nicht mehr thun, als was uns die Fremden so wie so zutrauen; thun wirs doch also! Hat doch keine Macht gewagt, uns wegen Kiautschou auch nur schief anzusehen! Aber wir wollen noch immer nicht begreifen, daß jetzt die wichtigsten Aufgaben Deutschlands in der auswärtigen Politik liegen, daß wir die Grundlagen unsers wirtschaftlichen Lebens erweitern müssen, wenn wir weiter leben wollen. Wir stehen erst am Anfange. Möge, wenn wir in fünfzehn Jahren das fünfundzwauzigjährige Negierungsjubiläum unsers Kaisers, so Gott will, festlich begehen, sich das entwickelt haben, was er will, möge dann die ganze Nation einmütig hinter ihm stehen, und möge dann auch erreicht sein, was das Glück seines Großvaters ausmachte, der volle Einklang zwischen ihm und seinem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/518>, abgerufen am 23.07.2024.