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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Neues zur Litteratur über Dante

le deutsche Danteforschnng, von der der Italiener Scartazzini,
selbst einer der fleißigsten und erfolgreichsten Danteforscher, be¬
kennen mußte, daß sie "ganz unbestritten den ersten Rang" unter
den gleichen Bestrebungen der Italiener, Engländer und Ameri¬
kaner -- andre kommen nicht in Betracht -- einnähme, hat
im verflossenen Jahre die Litteratur über Dante um zwei wichtige Werke be¬
reichert. Man wäre versucht, sie "monumental" zu nennen, wenn mit diesem
Wort in jüngster Zeit nicht so viel Mißbrauch getrieben worden wäre, und
wenn man auch sonst nicht aus bittrer Erfahrung wüßte, daß das geläufige
Wort des Horciz von dem inonuinsutum g.<zrs xerennius nichts weiter als
eine schöne dichterische Redensart ist. Immer kürzer und enger müssen die
zeitlichen und räumlichen Grenzen aller Bücher, auch der besten, in unsrer
Zeit der litterarischen Massenproduktion und der rücksichtslosesten Bücher¬
spekulation bemessen werden. Selbst das, was uns heute als volkstümlich im
guten Sinne erscheint, kann es in zwei oder drei Jahren nicht mehr sein, weil
ein schlauer Spekulant es besser als sein naiverer Vorgänger verstanden hat,
der Denkfaulheit der Menge und ihrer Lust an bunten, wenn auch meist
gleichgiltigem Bilderkram zu schmeicheln. Möglichst viel Anschauungsmaterial
und möglichst wenig Lesestoff ist die Parole in einer Zeit, zu deren zahlreichen
mechanischen und körperlichen Beschäftigungen noch als die allerwichtigste der
Radfahrersport hinzugekommen ist.

Die beiden Bücher über Dante, die wir empfehlen wollen, sind nur für
ernste, seßhafte Leser berechnet, und da sich deren Zahl von Jahr zu Jahr
zu verringern scheint, ist allerdings Aussicht vorhanden, daß diese Bücher
wenigstens zu monumentaler Ehrwürdigkeit gedeihen werden. Das eine, das
noch Ende 1896 erschienen ist, aber während der für ernste Werke ungünstigen
Zeit des Büchermarkts gewiß nicht die verdiente Beachtung gefunden hat, ist
Dantes Beziehungen zu seiner Heimat gewidmet, die ihn bei Lebzeiten meist
sehr schlecht, nur selten etwas freundlich und liebevoll behandelt, die ihn aber
bald nach seinem Tode, nachdem die politischen Leidenschaften erloschen waren,
bis zu den Sternen erhoben hat. Alfred Bassermann in Heidelberg hat
sich in einem stattlichen Folianten: Dantes Spuren in Italien (Heidelberg,




Neues zur Litteratur über Dante

le deutsche Danteforschnng, von der der Italiener Scartazzini,
selbst einer der fleißigsten und erfolgreichsten Danteforscher, be¬
kennen mußte, daß sie „ganz unbestritten den ersten Rang" unter
den gleichen Bestrebungen der Italiener, Engländer und Ameri¬
kaner — andre kommen nicht in Betracht — einnähme, hat
im verflossenen Jahre die Litteratur über Dante um zwei wichtige Werke be¬
reichert. Man wäre versucht, sie „monumental" zu nennen, wenn mit diesem
Wort in jüngster Zeit nicht so viel Mißbrauch getrieben worden wäre, und
wenn man auch sonst nicht aus bittrer Erfahrung wüßte, daß das geläufige
Wort des Horciz von dem inonuinsutum g.<zrs xerennius nichts weiter als
eine schöne dichterische Redensart ist. Immer kürzer und enger müssen die
zeitlichen und räumlichen Grenzen aller Bücher, auch der besten, in unsrer
Zeit der litterarischen Massenproduktion und der rücksichtslosesten Bücher¬
spekulation bemessen werden. Selbst das, was uns heute als volkstümlich im
guten Sinne erscheint, kann es in zwei oder drei Jahren nicht mehr sein, weil
ein schlauer Spekulant es besser als sein naiverer Vorgänger verstanden hat,
der Denkfaulheit der Menge und ihrer Lust an bunten, wenn auch meist
gleichgiltigem Bilderkram zu schmeicheln. Möglichst viel Anschauungsmaterial
und möglichst wenig Lesestoff ist die Parole in einer Zeit, zu deren zahlreichen
mechanischen und körperlichen Beschäftigungen noch als die allerwichtigste der
Radfahrersport hinzugekommen ist.

Die beiden Bücher über Dante, die wir empfehlen wollen, sind nur für
ernste, seßhafte Leser berechnet, und da sich deren Zahl von Jahr zu Jahr
zu verringern scheint, ist allerdings Aussicht vorhanden, daß diese Bücher
wenigstens zu monumentaler Ehrwürdigkeit gedeihen werden. Das eine, das
noch Ende 1896 erschienen ist, aber während der für ernste Werke ungünstigen
Zeit des Büchermarkts gewiß nicht die verdiente Beachtung gefunden hat, ist
Dantes Beziehungen zu seiner Heimat gewidmet, die ihn bei Lebzeiten meist
sehr schlecht, nur selten etwas freundlich und liebevoll behandelt, die ihn aber
bald nach seinem Tode, nachdem die politischen Leidenschaften erloschen waren,
bis zu den Sternen erhoben hat. Alfred Bassermann in Heidelberg hat
sich in einem stattlichen Folianten: Dantes Spuren in Italien (Heidelberg,


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[0494] [Abbildung] Neues zur Litteratur über Dante le deutsche Danteforschnng, von der der Italiener Scartazzini, selbst einer der fleißigsten und erfolgreichsten Danteforscher, be¬ kennen mußte, daß sie „ganz unbestritten den ersten Rang" unter den gleichen Bestrebungen der Italiener, Engländer und Ameri¬ kaner — andre kommen nicht in Betracht — einnähme, hat im verflossenen Jahre die Litteratur über Dante um zwei wichtige Werke be¬ reichert. Man wäre versucht, sie „monumental" zu nennen, wenn mit diesem Wort in jüngster Zeit nicht so viel Mißbrauch getrieben worden wäre, und wenn man auch sonst nicht aus bittrer Erfahrung wüßte, daß das geläufige Wort des Horciz von dem inonuinsutum g.<zrs xerennius nichts weiter als eine schöne dichterische Redensart ist. Immer kürzer und enger müssen die zeitlichen und räumlichen Grenzen aller Bücher, auch der besten, in unsrer Zeit der litterarischen Massenproduktion und der rücksichtslosesten Bücher¬ spekulation bemessen werden. Selbst das, was uns heute als volkstümlich im guten Sinne erscheint, kann es in zwei oder drei Jahren nicht mehr sein, weil ein schlauer Spekulant es besser als sein naiverer Vorgänger verstanden hat, der Denkfaulheit der Menge und ihrer Lust an bunten, wenn auch meist gleichgiltigem Bilderkram zu schmeicheln. Möglichst viel Anschauungsmaterial und möglichst wenig Lesestoff ist die Parole in einer Zeit, zu deren zahlreichen mechanischen und körperlichen Beschäftigungen noch als die allerwichtigste der Radfahrersport hinzugekommen ist. Die beiden Bücher über Dante, die wir empfehlen wollen, sind nur für ernste, seßhafte Leser berechnet, und da sich deren Zahl von Jahr zu Jahr zu verringern scheint, ist allerdings Aussicht vorhanden, daß diese Bücher wenigstens zu monumentaler Ehrwürdigkeit gedeihen werden. Das eine, das noch Ende 1896 erschienen ist, aber während der für ernste Werke ungünstigen Zeit des Büchermarkts gewiß nicht die verdiente Beachtung gefunden hat, ist Dantes Beziehungen zu seiner Heimat gewidmet, die ihn bei Lebzeiten meist sehr schlecht, nur selten etwas freundlich und liebevoll behandelt, die ihn aber bald nach seinem Tode, nachdem die politischen Leidenschaften erloschen waren, bis zu den Sternen erhoben hat. Alfred Bassermann in Heidelberg hat sich in einem stattlichen Folianten: Dantes Spuren in Italien (Heidelberg,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/494>, abgerufen am 28.12.2024.