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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Nietzsche

böse, auch wenn es der Mensch unter dem Zwange der Notwendigkeit thut.
Aber er darf bei Gott auf ein gnädiges Gericht hoffen, und Menschen haben
überhaupt kein Recht zu richten. Dagegen ist es schlechthin Niedertracht und
fällt aus der Grenze des Moralischen hinaus, wenn einer, ohne irgend einen
höhern Zweck, seine Nebenmenschen seinen Gelüsten opfert, "um sich auszu¬
leben," wie die Redensart lautet. Der Tiger bleibt unschuldig, und wenn
man will, sogar höchst moralisch, d. h. in Übereinstimmung mit seiner von
Gott gewollten Natur, wenn er zu seinem Vergnügen das Blut seines noch
zuckenden Opfers trinkt, aber der Mensch ist kein Tiger; weder ist er von
Natur aufs Bluttrinken angewiesen, noch für den ausschließlichen Genuß rein
individueller Lustempfindungen eingerichtet; sondern von Natur ist seine Seele
so organisirt. daß das Glück andrer einen wesentlichen Bestandteil seines
eignen Glücks ausmacht, daß demnach der gesunde Egoismus den Altruismus,
die Selbstliebe die Nächstenliebe einschließt.

Darnach sind denn auch die wilden Redensarten zu korrigiren, mit denen
sich Nietzsche hie und da aus Opposition gegen Schopenhauer, die Altruisten
und Demokraten ein wenig als Bestie aufspielt, was ja übrigens bei einem
so zartsinnigen Manne ganz ungefährlich ist. Im Grunde genommen meinte
er das Nichtige, wie man unter anderm aus folgenden zwei Stellen (XI, 308
und 313) ersieht: "Wenn ich sage, diesen Menschen mag ich, mit ihm sym-
Pathisire ich, so soll das nach Schopenhauer moralisch sein! Und wieder die
Antipathie etwas Unmoralisches; als ob nicht aus demselben Grunde einer für
diesen sympathisch, für den andern antipathisch empfände! So wäre das Mo¬
ralische notwendigerweise unmoralisch! Vielmehr hat man Sympathie- und
Antipathie-Haben nie ins Moralische gerechnet, es ist eine Art Geschmack, und
Schopenhauer will, daß wir den Geschmack für alles, was lebt, hätten! Das
müßte ein sehr grober und roher, gefräßiger Geschmack sein, der mit allem
zufrieden ist! -- Nicht daß wir den Menschen helfen und nützen wollen, nein,
daß wir Freude haben an den Menschen, das ist das Wesentliche an soge¬
nannten guten Menschen und an der Moralität." Sehr richtig! Freude
haben an dein Menschen, den Gott nach seinem Bilde erschaffen hat, das ist
das Göttliche, und ihn Haffen, Freude haben an seinem Verderb und an seiner
Zerstörung, das ist das Teuflische. Ist die Freude nur echt und stark genug,
so wird sich das helfen und nützen wollen schon von selbst einstellen, ohnein
jene aufdringliche Nächstenliebe auszuarten, der Nietzsche einmal den Rat ent¬
gegenhält, wenn mans wirklich gut meine mit seinem Nächsten, so solle man
ihn vor allem ungeschoren lassen.




Friedrich Nietzsche

böse, auch wenn es der Mensch unter dem Zwange der Notwendigkeit thut.
Aber er darf bei Gott auf ein gnädiges Gericht hoffen, und Menschen haben
überhaupt kein Recht zu richten. Dagegen ist es schlechthin Niedertracht und
fällt aus der Grenze des Moralischen hinaus, wenn einer, ohne irgend einen
höhern Zweck, seine Nebenmenschen seinen Gelüsten opfert, „um sich auszu¬
leben," wie die Redensart lautet. Der Tiger bleibt unschuldig, und wenn
man will, sogar höchst moralisch, d. h. in Übereinstimmung mit seiner von
Gott gewollten Natur, wenn er zu seinem Vergnügen das Blut seines noch
zuckenden Opfers trinkt, aber der Mensch ist kein Tiger; weder ist er von
Natur aufs Bluttrinken angewiesen, noch für den ausschließlichen Genuß rein
individueller Lustempfindungen eingerichtet; sondern von Natur ist seine Seele
so organisirt. daß das Glück andrer einen wesentlichen Bestandteil seines
eignen Glücks ausmacht, daß demnach der gesunde Egoismus den Altruismus,
die Selbstliebe die Nächstenliebe einschließt.

Darnach sind denn auch die wilden Redensarten zu korrigiren, mit denen
sich Nietzsche hie und da aus Opposition gegen Schopenhauer, die Altruisten
und Demokraten ein wenig als Bestie aufspielt, was ja übrigens bei einem
so zartsinnigen Manne ganz ungefährlich ist. Im Grunde genommen meinte
er das Nichtige, wie man unter anderm aus folgenden zwei Stellen (XI, 308
und 313) ersieht: „Wenn ich sage, diesen Menschen mag ich, mit ihm sym-
Pathisire ich, so soll das nach Schopenhauer moralisch sein! Und wieder die
Antipathie etwas Unmoralisches; als ob nicht aus demselben Grunde einer für
diesen sympathisch, für den andern antipathisch empfände! So wäre das Mo¬
ralische notwendigerweise unmoralisch! Vielmehr hat man Sympathie- und
Antipathie-Haben nie ins Moralische gerechnet, es ist eine Art Geschmack, und
Schopenhauer will, daß wir den Geschmack für alles, was lebt, hätten! Das
müßte ein sehr grober und roher, gefräßiger Geschmack sein, der mit allem
zufrieden ist! — Nicht daß wir den Menschen helfen und nützen wollen, nein,
daß wir Freude haben an den Menschen, das ist das Wesentliche an soge¬
nannten guten Menschen und an der Moralität." Sehr richtig! Freude
haben an dein Menschen, den Gott nach seinem Bilde erschaffen hat, das ist
das Göttliche, und ihn Haffen, Freude haben an seinem Verderb und an seiner
Zerstörung, das ist das Teuflische. Ist die Freude nur echt und stark genug,
so wird sich das helfen und nützen wollen schon von selbst einstellen, ohnein
jene aufdringliche Nächstenliebe auszuarten, der Nietzsche einmal den Rat ent¬
gegenhält, wenn mans wirklich gut meine mit seinem Nächsten, so solle man
ihn vor allem ungeschoren lassen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/493>, abgerufen am 23.07.2024.