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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Anust in deutscher Bearbeitung

braucht. Zuweisungen dieser Art finden sich bei Schmarsow durch das ganze
Buch hin.

Etwas andres ist es ja, wenn namenlosen Werken bestimmte Urheber ge¬
geben werden sollen. Hier sollte größte Vorsicht walten. Wir haben uns
Schmarsows Luca dellci Robbia als Meister solcher namenlosen Werke nicht
aneignen können. Ebenso wenig mögen wir ferner den Hieronymus der Samm¬
lung Lindenau, soweit der vortreffliche Lichtdruck ein Urteil erlaubt, dem
Filippo Lippi geben. Und ebenso wenig endlich das herrliche Profilbrustbild
einer jungen Frau dem Sandro Botticelli. Die Figur mit den zwei Durch¬
blicken in die Landschaft hat etwas so absonderlich bestimmtes, problemartiges,
an einen Plastiker erinnerndes, daß mau am besten sagen wird: Art, aber
keineswegs Werk, des Piero dei Frcmeeschi. Schmarsow hat sogar die Per¬
sönlichkeit der Dame bestimmt: Katharina Sforza Niario. Eine Medaille, die
nur freilich die Katharina viel nider vorstellt, scheint das zu bestätigen. Daß
der Verfasser erkannte, daß die gemalte Dame mit den Attributen einer heiligen
Katharina dargestellt sei, und er sich nun nach weltlichen, historischen Katha-
rinen umsah und auf die Sforza geriet, ist gewiß eine feine Kombination, und
daß beide Damen, die auf dem Bilde und die auf der Medaille, wirklich eine
auffallend gebogne Nase haben, könnte man als die Belohnung ansehen, die
das Glück solchem Verdienst zu teil werden läßt. Aber den Verfasser selbst
hat ein Zweifel beschlichen an der Nichtigkeit seiner Entdeckung, wie man aus
seiner Anmerkung über den laugen Hals der gemalten Dame sieht, und wir
bekennen offen, daß uns die gebognen Nasen die einzige Ähnlichkeit zu sein
scheinen, die zwischen den beiden Personen besteht.

Dr. W. Kovpmcmn in Kassel, der sich schon durch eine größere Veröffent¬
lichung über die Entwicklungsgeschichte Raffaels nach dessen Handzeichnungen
bekannt gemacht hat, bietet uns neuerdings ein vollständiges, systematisch ge¬
ordnetes Verzeichnis mit ausführlichen Bemerkungen über Echtheit, Wert und
Charakter, sowie Zugehörigkeit der einzelnen Zeichnungen, mit Hinweisen auf
die Ansichten andrer Forscher, also einen oAtnlognö raisoiuM unter dem Titel:
Raffaels Handzeichnungen in der Auffassung von W. Koopmcmu (Mar¬
burg, Elwert). Kovpmcmn ist ein Schüler von Morelli, aber ein selbständiger,
der namentlich in Bezug auf die Zeichnungen aus der Jugendzeit Raffaels
vielfach von der Ansicht seines Meisters abweicht. Morelli hat das große
Verdienst, mit Nachdruck eine Reihe von Kriterien für die echten Handzeich¬
nungen Raffaels hingestellt und dadurch das Feld für weitere Forschungen
geebnet zu haben; er ist trotz vielen einzelnen Mißgriffen doch zu den ersten
Kennern der Gattung zu rechnen. Das Gebiet umfaßt zwei große, deutlich
von einander unterschiedue Gruppen: Feder- oder Stiftzeichnuugeu zu den
frühern Werken, deu kleinern Tafelbildern, Madonnen usw., und mehr malerisch
angelegte Kreide- oder Nötelskizzen zu den römischen Fresken. Jene ersten,


Italienische Anust in deutscher Bearbeitung

braucht. Zuweisungen dieser Art finden sich bei Schmarsow durch das ganze
Buch hin.

Etwas andres ist es ja, wenn namenlosen Werken bestimmte Urheber ge¬
geben werden sollen. Hier sollte größte Vorsicht walten. Wir haben uns
Schmarsows Luca dellci Robbia als Meister solcher namenlosen Werke nicht
aneignen können. Ebenso wenig mögen wir ferner den Hieronymus der Samm¬
lung Lindenau, soweit der vortreffliche Lichtdruck ein Urteil erlaubt, dem
Filippo Lippi geben. Und ebenso wenig endlich das herrliche Profilbrustbild
einer jungen Frau dem Sandro Botticelli. Die Figur mit den zwei Durch¬
blicken in die Landschaft hat etwas so absonderlich bestimmtes, problemartiges,
an einen Plastiker erinnerndes, daß mau am besten sagen wird: Art, aber
keineswegs Werk, des Piero dei Frcmeeschi. Schmarsow hat sogar die Per¬
sönlichkeit der Dame bestimmt: Katharina Sforza Niario. Eine Medaille, die
nur freilich die Katharina viel nider vorstellt, scheint das zu bestätigen. Daß
der Verfasser erkannte, daß die gemalte Dame mit den Attributen einer heiligen
Katharina dargestellt sei, und er sich nun nach weltlichen, historischen Katha-
rinen umsah und auf die Sforza geriet, ist gewiß eine feine Kombination, und
daß beide Damen, die auf dem Bilde und die auf der Medaille, wirklich eine
auffallend gebogne Nase haben, könnte man als die Belohnung ansehen, die
das Glück solchem Verdienst zu teil werden läßt. Aber den Verfasser selbst
hat ein Zweifel beschlichen an der Nichtigkeit seiner Entdeckung, wie man aus
seiner Anmerkung über den laugen Hals der gemalten Dame sieht, und wir
bekennen offen, daß uns die gebognen Nasen die einzige Ähnlichkeit zu sein
scheinen, die zwischen den beiden Personen besteht.

Dr. W. Kovpmcmn in Kassel, der sich schon durch eine größere Veröffent¬
lichung über die Entwicklungsgeschichte Raffaels nach dessen Handzeichnungen
bekannt gemacht hat, bietet uns neuerdings ein vollständiges, systematisch ge¬
ordnetes Verzeichnis mit ausführlichen Bemerkungen über Echtheit, Wert und
Charakter, sowie Zugehörigkeit der einzelnen Zeichnungen, mit Hinweisen auf
die Ansichten andrer Forscher, also einen oAtnlognö raisoiuM unter dem Titel:
Raffaels Handzeichnungen in der Auffassung von W. Koopmcmu (Mar¬
burg, Elwert). Kovpmcmn ist ein Schüler von Morelli, aber ein selbständiger,
der namentlich in Bezug auf die Zeichnungen aus der Jugendzeit Raffaels
vielfach von der Ansicht seines Meisters abweicht. Morelli hat das große
Verdienst, mit Nachdruck eine Reihe von Kriterien für die echten Handzeich¬
nungen Raffaels hingestellt und dadurch das Feld für weitere Forschungen
geebnet zu haben; er ist trotz vielen einzelnen Mißgriffen doch zu den ersten
Kennern der Gattung zu rechnen. Das Gebiet umfaßt zwei große, deutlich
von einander unterschiedue Gruppen: Feder- oder Stiftzeichnuugeu zu den
frühern Werken, deu kleinern Tafelbildern, Madonnen usw., und mehr malerisch
angelegte Kreide- oder Nötelskizzen zu den römischen Fresken. Jene ersten,


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[0046] Italienische Anust in deutscher Bearbeitung braucht. Zuweisungen dieser Art finden sich bei Schmarsow durch das ganze Buch hin. Etwas andres ist es ja, wenn namenlosen Werken bestimmte Urheber ge¬ geben werden sollen. Hier sollte größte Vorsicht walten. Wir haben uns Schmarsows Luca dellci Robbia als Meister solcher namenlosen Werke nicht aneignen können. Ebenso wenig mögen wir ferner den Hieronymus der Samm¬ lung Lindenau, soweit der vortreffliche Lichtdruck ein Urteil erlaubt, dem Filippo Lippi geben. Und ebenso wenig endlich das herrliche Profilbrustbild einer jungen Frau dem Sandro Botticelli. Die Figur mit den zwei Durch¬ blicken in die Landschaft hat etwas so absonderlich bestimmtes, problemartiges, an einen Plastiker erinnerndes, daß mau am besten sagen wird: Art, aber keineswegs Werk, des Piero dei Frcmeeschi. Schmarsow hat sogar die Per¬ sönlichkeit der Dame bestimmt: Katharina Sforza Niario. Eine Medaille, die nur freilich die Katharina viel nider vorstellt, scheint das zu bestätigen. Daß der Verfasser erkannte, daß die gemalte Dame mit den Attributen einer heiligen Katharina dargestellt sei, und er sich nun nach weltlichen, historischen Katha- rinen umsah und auf die Sforza geriet, ist gewiß eine feine Kombination, und daß beide Damen, die auf dem Bilde und die auf der Medaille, wirklich eine auffallend gebogne Nase haben, könnte man als die Belohnung ansehen, die das Glück solchem Verdienst zu teil werden läßt. Aber den Verfasser selbst hat ein Zweifel beschlichen an der Nichtigkeit seiner Entdeckung, wie man aus seiner Anmerkung über den laugen Hals der gemalten Dame sieht, und wir bekennen offen, daß uns die gebognen Nasen die einzige Ähnlichkeit zu sein scheinen, die zwischen den beiden Personen besteht. Dr. W. Kovpmcmn in Kassel, der sich schon durch eine größere Veröffent¬ lichung über die Entwicklungsgeschichte Raffaels nach dessen Handzeichnungen bekannt gemacht hat, bietet uns neuerdings ein vollständiges, systematisch ge¬ ordnetes Verzeichnis mit ausführlichen Bemerkungen über Echtheit, Wert und Charakter, sowie Zugehörigkeit der einzelnen Zeichnungen, mit Hinweisen auf die Ansichten andrer Forscher, also einen oAtnlognö raisoiuM unter dem Titel: Raffaels Handzeichnungen in der Auffassung von W. Koopmcmu (Mar¬ burg, Elwert). Kovpmcmn ist ein Schüler von Morelli, aber ein selbständiger, der namentlich in Bezug auf die Zeichnungen aus der Jugendzeit Raffaels vielfach von der Ansicht seines Meisters abweicht. Morelli hat das große Verdienst, mit Nachdruck eine Reihe von Kriterien für die echten Handzeich¬ nungen Raffaels hingestellt und dadurch das Feld für weitere Forschungen geebnet zu haben; er ist trotz vielen einzelnen Mißgriffen doch zu den ersten Kennern der Gattung zu rechnen. Das Gebiet umfaßt zwei große, deutlich von einander unterschiedue Gruppen: Feder- oder Stiftzeichnuugeu zu den frühern Werken, deu kleinern Tafelbildern, Madonnen usw., und mehr malerisch angelegte Kreide- oder Nötelskizzen zu den römischen Fresken. Jene ersten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/46>, abgerufen am 23.07.2024.