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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Kunst in deutscher Bearbeitung

angehenden Fachgenossen, denen hier ja wohl in erster Linie ein Musterbuch
Ma Lernen in die Hand gelegt werden sollte, wird es eine nützliche Übung
sein, Gewisses von Ungewissen zu scheiden, sie sehen alle Kunstgriffe ihres
schönen Handwerks auf die anmutigste Weise gehandhabt und werden nicht
leicht ein Buch finden, das ihnen größere Lust zu ihrem Berufe einflößen
könnte. Es wäre schade, wenn der Eindruck des Subjektiven und Unsichern,
wie er namentlich aus den vielerlei "Bestimmungen" der Kunstwerke spricht,
dem Genusse im Wege stehen sollte, den sonst ein größeres kunstfreundliches
Publikum an derartigen Büchern zu haben pflegt. Deswegen und weil es
sogar schon einzelne Kunsthistoriker giebt, die von "Verseuchung" sprechen,
wenn ihre Fachgenossen die Kunstwerke als Produkte lebendiger und histo¬
rischer Kräfte auffassen und nicht nur Einwirkungen der Zeit im allgemeinen
M ihnen sehen, sondern auch Einflüsse von Schule zu Schule und sogar von
Person zu Person aus ihnen herauszulesen bemüht sind, mag hier noch em
Wort über diese Richtung und was davon in diesem Buche zum Vorschein
kommt, gesagt werden. Die Grundanschauung läßt sich geschichtlich stützen.
Alle großen Zeiten, in denen die Menschen etwas zum Beeinflussen in sich
hatten', bestätigen sie. in der Malerei z. B. das siebzehnte Jahrhundert. Nicht
nur die vielen kleinern holländischen Maler, sondern auch manche großen ge¬
horchen sichtlich diesem "Gesetz der Beeinflussung." Es ging eben in der
Kunst lebendiger her als heute, wo bei übrigens viel größerm und leichterm
Verkehr der Künstler froh ist. wenn er seine mühsam gewonnene Individualität
unbehelligt durch Experimente und Wandlungen durchs Leben bringt. Und
von jenem Leben möchte nun der Kunstforscher noch etwas in den Werken
der Zeit entdecken; er will den Mann hinter dem Bilde begreifen, oder er
sucht anch wohl einen andern Mann dahinter. Der Mißkredit dieser Methode
stammt nicht erst von gestern. Der alte Waagen war seiner Zelt in Berlin
namentlich unter den Künstlern, die sich sür alte Bilder interessirten, wegen
seiner Bestimmungen geradezu berüchtigt. Und doch hält mau jetzt, nachdem
die Zeit klärend gewirkt hat, die Mehrzahl seiner Bestimmungen für das
Fundament der Geschichte der Malerei und ihn selbst immer noch sür den
umfassendsten Bilderkenner, der je gelebt hat. Burckhardt hat. wie wir in dem
erwähnten Buche von Hans Trog lesen, über die "Attribuzler" gespottet, aber
als Mittel zum Zweck hat er die Sache nicht verachtet, wie sein Verhältnis
M Waagen zeigt. Und die "Attribution" ist doch auch für den Kunstforscher
nur der kürzeste Ausdruck einer Ansicht über den Charakter des Kunstwerks.
Anstatt umstündlicher Beschreibung sagt er: In der Art des N.. und seine
Fachgenossen verstehen ihn. In der Polemik der Kunsthistoriker klingt der¬
gleichen ja oft für den Laien lächerlich, aber in Wirklichkeit ist damit ke.ne
größere Unsicherheit des Wissens bezeichnet, als sie auch auf manchen andern
Gebieten herrscht, wo man nur eben eine derartige Terminologie Nicht ge-


Italienische Kunst in deutscher Bearbeitung

angehenden Fachgenossen, denen hier ja wohl in erster Linie ein Musterbuch
Ma Lernen in die Hand gelegt werden sollte, wird es eine nützliche Übung
sein, Gewisses von Ungewissen zu scheiden, sie sehen alle Kunstgriffe ihres
schönen Handwerks auf die anmutigste Weise gehandhabt und werden nicht
leicht ein Buch finden, das ihnen größere Lust zu ihrem Berufe einflößen
könnte. Es wäre schade, wenn der Eindruck des Subjektiven und Unsichern,
wie er namentlich aus den vielerlei „Bestimmungen" der Kunstwerke spricht,
dem Genusse im Wege stehen sollte, den sonst ein größeres kunstfreundliches
Publikum an derartigen Büchern zu haben pflegt. Deswegen und weil es
sogar schon einzelne Kunsthistoriker giebt, die von „Verseuchung" sprechen,
wenn ihre Fachgenossen die Kunstwerke als Produkte lebendiger und histo¬
rischer Kräfte auffassen und nicht nur Einwirkungen der Zeit im allgemeinen
M ihnen sehen, sondern auch Einflüsse von Schule zu Schule und sogar von
Person zu Person aus ihnen herauszulesen bemüht sind, mag hier noch em
Wort über diese Richtung und was davon in diesem Buche zum Vorschein
kommt, gesagt werden. Die Grundanschauung läßt sich geschichtlich stützen.
Alle großen Zeiten, in denen die Menschen etwas zum Beeinflussen in sich
hatten', bestätigen sie. in der Malerei z. B. das siebzehnte Jahrhundert. Nicht
nur die vielen kleinern holländischen Maler, sondern auch manche großen ge¬
horchen sichtlich diesem „Gesetz der Beeinflussung." Es ging eben in der
Kunst lebendiger her als heute, wo bei übrigens viel größerm und leichterm
Verkehr der Künstler froh ist. wenn er seine mühsam gewonnene Individualität
unbehelligt durch Experimente und Wandlungen durchs Leben bringt. Und
von jenem Leben möchte nun der Kunstforscher noch etwas in den Werken
der Zeit entdecken; er will den Mann hinter dem Bilde begreifen, oder er
sucht anch wohl einen andern Mann dahinter. Der Mißkredit dieser Methode
stammt nicht erst von gestern. Der alte Waagen war seiner Zelt in Berlin
namentlich unter den Künstlern, die sich sür alte Bilder interessirten, wegen
seiner Bestimmungen geradezu berüchtigt. Und doch hält mau jetzt, nachdem
die Zeit klärend gewirkt hat, die Mehrzahl seiner Bestimmungen für das
Fundament der Geschichte der Malerei und ihn selbst immer noch sür den
umfassendsten Bilderkenner, der je gelebt hat. Burckhardt hat. wie wir in dem
erwähnten Buche von Hans Trog lesen, über die „Attribuzler" gespottet, aber
als Mittel zum Zweck hat er die Sache nicht verachtet, wie sein Verhältnis
M Waagen zeigt. Und die „Attribution" ist doch auch für den Kunstforscher
nur der kürzeste Ausdruck einer Ansicht über den Charakter des Kunstwerks.
Anstatt umstündlicher Beschreibung sagt er: In der Art des N.. und seine
Fachgenossen verstehen ihn. In der Polemik der Kunsthistoriker klingt der¬
gleichen ja oft für den Laien lächerlich, aber in Wirklichkeit ist damit ke.ne
größere Unsicherheit des Wissens bezeichnet, als sie auch auf manchen andern
Gebieten herrscht, wo man nur eben eine derartige Terminologie Nicht ge-


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[0045] Italienische Kunst in deutscher Bearbeitung angehenden Fachgenossen, denen hier ja wohl in erster Linie ein Musterbuch Ma Lernen in die Hand gelegt werden sollte, wird es eine nützliche Übung sein, Gewisses von Ungewissen zu scheiden, sie sehen alle Kunstgriffe ihres schönen Handwerks auf die anmutigste Weise gehandhabt und werden nicht leicht ein Buch finden, das ihnen größere Lust zu ihrem Berufe einflößen könnte. Es wäre schade, wenn der Eindruck des Subjektiven und Unsichern, wie er namentlich aus den vielerlei „Bestimmungen" der Kunstwerke spricht, dem Genusse im Wege stehen sollte, den sonst ein größeres kunstfreundliches Publikum an derartigen Büchern zu haben pflegt. Deswegen und weil es sogar schon einzelne Kunsthistoriker giebt, die von „Verseuchung" sprechen, wenn ihre Fachgenossen die Kunstwerke als Produkte lebendiger und histo¬ rischer Kräfte auffassen und nicht nur Einwirkungen der Zeit im allgemeinen M ihnen sehen, sondern auch Einflüsse von Schule zu Schule und sogar von Person zu Person aus ihnen herauszulesen bemüht sind, mag hier noch em Wort über diese Richtung und was davon in diesem Buche zum Vorschein kommt, gesagt werden. Die Grundanschauung läßt sich geschichtlich stützen. Alle großen Zeiten, in denen die Menschen etwas zum Beeinflussen in sich hatten', bestätigen sie. in der Malerei z. B. das siebzehnte Jahrhundert. Nicht nur die vielen kleinern holländischen Maler, sondern auch manche großen ge¬ horchen sichtlich diesem „Gesetz der Beeinflussung." Es ging eben in der Kunst lebendiger her als heute, wo bei übrigens viel größerm und leichterm Verkehr der Künstler froh ist. wenn er seine mühsam gewonnene Individualität unbehelligt durch Experimente und Wandlungen durchs Leben bringt. Und von jenem Leben möchte nun der Kunstforscher noch etwas in den Werken der Zeit entdecken; er will den Mann hinter dem Bilde begreifen, oder er sucht anch wohl einen andern Mann dahinter. Der Mißkredit dieser Methode stammt nicht erst von gestern. Der alte Waagen war seiner Zelt in Berlin namentlich unter den Künstlern, die sich sür alte Bilder interessirten, wegen seiner Bestimmungen geradezu berüchtigt. Und doch hält mau jetzt, nachdem die Zeit klärend gewirkt hat, die Mehrzahl seiner Bestimmungen für das Fundament der Geschichte der Malerei und ihn selbst immer noch sür den umfassendsten Bilderkenner, der je gelebt hat. Burckhardt hat. wie wir in dem erwähnten Buche von Hans Trog lesen, über die „Attribuzler" gespottet, aber als Mittel zum Zweck hat er die Sache nicht verachtet, wie sein Verhältnis M Waagen zeigt. Und die „Attribution" ist doch auch für den Kunstforscher nur der kürzeste Ausdruck einer Ansicht über den Charakter des Kunstwerks. Anstatt umstündlicher Beschreibung sagt er: In der Art des N.. und seine Fachgenossen verstehen ihn. In der Polemik der Kunsthistoriker klingt der¬ gleichen ja oft für den Laien lächerlich, aber in Wirklichkeit ist damit ke.ne größere Unsicherheit des Wissens bezeichnet, als sie auch auf manchen andern Gebieten herrscht, wo man nur eben eine derartige Terminologie Nicht ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/45>, abgerufen am 23.07.2024.