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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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man das Venezianische Skizzenbuch Raffaels zu nennen Pflegt. Schmarsow
hat die Originale genau geprüft und ist überzeugt, daß sie dem jungen Naffael
gehören, ebenso urteilen andre Genossen seines Faches, und nicht viel anders
die Herausgeber der neuesten Auflage des Cicerone. Andre wieder können sich
nicht denken, daß alle diese Blätter, soweit sie unter einander zusammenhangen,
von Naffael gezeichnet worden seien, und wenn man aussondert, bleibt für den
Rest keine Berechtigung, gerade dem Naffael zugeschrieben zu werden. Mau
wird sagen dürfen, daß nicht nur die so Urteilenden an Zahl überwiegen,
sondern auch einzelne von ihnen ein großes Maß von Autorität für sich in
Anspruch nehmen können. Schmarsow hält eine Entscheidung der Frage nur
vor den Originalen für möglich, da sämtliche photographische Nachbildungen
die Feinheit des Duktus entstellt zeigten und irre führen müßten. Damit sind
die meisten vom Mitreden ausgeschlossen, und eine Vereinigung auf eine Meinung
wird niemals eintrete". Es muß aber doch möglich sein, aus mechanischen
Nachbildungen, wenn die Farbe wegfällt, wenigstens etwas pro oder contra
zu entnehmen, und zu etwas sollten doch auch die dem Aufsatze beigcgebneu
Autotypien dienen. Übrigens scheint auch hier wieder ein wenig die oben be¬
rührte Methode der sxolusio wrtii im Spiele zu sein. Schmarsow fragt: Ans
welche Weise soll denn sonst diese Sammlung von Zeichnungen entstanden
sein, da alle bisherigen Erklärungen unwahrscheinlich sind? Darauf können
die Gegner der Echtheit sagen: Das zu ermitteln sind wir uicht verpflichtet,
um Naffael ablehnen zu dürfen; iZnor-Maus! Diese Position ist nicht so un¬
haltbar, und wer sich nicht ganz ohne eigne Meinung dahin gestellt hat, wird
sich durch diesen Aufsatz nicht veranlaßt finden, sie aufzugeben.

Endlich hat der Verfasser mit seinen Schülern die wenig gekannte und für
ältere italienische Bilder außerordentlich wichtige Sammlung des 1854 ver¬
storbnen Ministers von Lindenau in Altenburg neu katalogisirt und giebt uns,
als eine damit zusammenhängende Grundlage, Abhandlungen über sieuesische
und florentinische Treceutisteu und hauptsächlich florentinische Quattrocentisten.
Hier mußte die "Bestimmung" von Grund auf neu gemacht werdeu, denn in
der Kenntnis dieser Schulen ist man doch in den letzten dreißig Jahren wirk¬
lich weiter gekommen. Den Fachmann wird die Art, wie Schmarsow hier
verfahren ist, lebhaft interessiren, und der Kunstfreund findet dazu einige recht
gute Gemälde abgebildet, an denen er sich schadlos halten kann, wenn er für
die Feinheiten der Bilderkcnnerschaft nicht die nötige Empfindung haben sollte.

Wir haben von dem mannigfachen Inhalt des Werkes nur einiges berührt
und möchten, anstatt die Übersicht zu vervollständigen, lieber noch einige Be¬
merkungen über den Eindruck des Ganzen machen und zwar gerade an diese
Mannigfaltigkeit anknüpfen. Der Verfasser giebt Sicheres und zum Teil Be¬
kanntes neben sehr viel Hypothetischem; beides wird verbunden durch eine die
Fugen vielfach verdeckende blühende, novellistisch angehauchte Sprache. Den


man das Venezianische Skizzenbuch Raffaels zu nennen Pflegt. Schmarsow
hat die Originale genau geprüft und ist überzeugt, daß sie dem jungen Naffael
gehören, ebenso urteilen andre Genossen seines Faches, und nicht viel anders
die Herausgeber der neuesten Auflage des Cicerone. Andre wieder können sich
nicht denken, daß alle diese Blätter, soweit sie unter einander zusammenhangen,
von Naffael gezeichnet worden seien, und wenn man aussondert, bleibt für den
Rest keine Berechtigung, gerade dem Naffael zugeschrieben zu werden. Mau
wird sagen dürfen, daß nicht nur die so Urteilenden an Zahl überwiegen,
sondern auch einzelne von ihnen ein großes Maß von Autorität für sich in
Anspruch nehmen können. Schmarsow hält eine Entscheidung der Frage nur
vor den Originalen für möglich, da sämtliche photographische Nachbildungen
die Feinheit des Duktus entstellt zeigten und irre führen müßten. Damit sind
die meisten vom Mitreden ausgeschlossen, und eine Vereinigung auf eine Meinung
wird niemals eintrete». Es muß aber doch möglich sein, aus mechanischen
Nachbildungen, wenn die Farbe wegfällt, wenigstens etwas pro oder contra
zu entnehmen, und zu etwas sollten doch auch die dem Aufsatze beigcgebneu
Autotypien dienen. Übrigens scheint auch hier wieder ein wenig die oben be¬
rührte Methode der sxolusio wrtii im Spiele zu sein. Schmarsow fragt: Ans
welche Weise soll denn sonst diese Sammlung von Zeichnungen entstanden
sein, da alle bisherigen Erklärungen unwahrscheinlich sind? Darauf können
die Gegner der Echtheit sagen: Das zu ermitteln sind wir uicht verpflichtet,
um Naffael ablehnen zu dürfen; iZnor-Maus! Diese Position ist nicht so un¬
haltbar, und wer sich nicht ganz ohne eigne Meinung dahin gestellt hat, wird
sich durch diesen Aufsatz nicht veranlaßt finden, sie aufzugeben.

Endlich hat der Verfasser mit seinen Schülern die wenig gekannte und für
ältere italienische Bilder außerordentlich wichtige Sammlung des 1854 ver¬
storbnen Ministers von Lindenau in Altenburg neu katalogisirt und giebt uns,
als eine damit zusammenhängende Grundlage, Abhandlungen über sieuesische
und florentinische Treceutisteu und hauptsächlich florentinische Quattrocentisten.
Hier mußte die „Bestimmung" von Grund auf neu gemacht werdeu, denn in
der Kenntnis dieser Schulen ist man doch in den letzten dreißig Jahren wirk¬
lich weiter gekommen. Den Fachmann wird die Art, wie Schmarsow hier
verfahren ist, lebhaft interessiren, und der Kunstfreund findet dazu einige recht
gute Gemälde abgebildet, an denen er sich schadlos halten kann, wenn er für
die Feinheiten der Bilderkcnnerschaft nicht die nötige Empfindung haben sollte.

Wir haben von dem mannigfachen Inhalt des Werkes nur einiges berührt
und möchten, anstatt die Übersicht zu vervollständigen, lieber noch einige Be¬
merkungen über den Eindruck des Ganzen machen und zwar gerade an diese
Mannigfaltigkeit anknüpfen. Der Verfasser giebt Sicheres und zum Teil Be¬
kanntes neben sehr viel Hypothetischem; beides wird verbunden durch eine die
Fugen vielfach verdeckende blühende, novellistisch angehauchte Sprache. Den


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[0044] man das Venezianische Skizzenbuch Raffaels zu nennen Pflegt. Schmarsow hat die Originale genau geprüft und ist überzeugt, daß sie dem jungen Naffael gehören, ebenso urteilen andre Genossen seines Faches, und nicht viel anders die Herausgeber der neuesten Auflage des Cicerone. Andre wieder können sich nicht denken, daß alle diese Blätter, soweit sie unter einander zusammenhangen, von Naffael gezeichnet worden seien, und wenn man aussondert, bleibt für den Rest keine Berechtigung, gerade dem Naffael zugeschrieben zu werden. Mau wird sagen dürfen, daß nicht nur die so Urteilenden an Zahl überwiegen, sondern auch einzelne von ihnen ein großes Maß von Autorität für sich in Anspruch nehmen können. Schmarsow hält eine Entscheidung der Frage nur vor den Originalen für möglich, da sämtliche photographische Nachbildungen die Feinheit des Duktus entstellt zeigten und irre führen müßten. Damit sind die meisten vom Mitreden ausgeschlossen, und eine Vereinigung auf eine Meinung wird niemals eintrete». Es muß aber doch möglich sein, aus mechanischen Nachbildungen, wenn die Farbe wegfällt, wenigstens etwas pro oder contra zu entnehmen, und zu etwas sollten doch auch die dem Aufsatze beigcgebneu Autotypien dienen. Übrigens scheint auch hier wieder ein wenig die oben be¬ rührte Methode der sxolusio wrtii im Spiele zu sein. Schmarsow fragt: Ans welche Weise soll denn sonst diese Sammlung von Zeichnungen entstanden sein, da alle bisherigen Erklärungen unwahrscheinlich sind? Darauf können die Gegner der Echtheit sagen: Das zu ermitteln sind wir uicht verpflichtet, um Naffael ablehnen zu dürfen; iZnor-Maus! Diese Position ist nicht so un¬ haltbar, und wer sich nicht ganz ohne eigne Meinung dahin gestellt hat, wird sich durch diesen Aufsatz nicht veranlaßt finden, sie aufzugeben. Endlich hat der Verfasser mit seinen Schülern die wenig gekannte und für ältere italienische Bilder außerordentlich wichtige Sammlung des 1854 ver¬ storbnen Ministers von Lindenau in Altenburg neu katalogisirt und giebt uns, als eine damit zusammenhängende Grundlage, Abhandlungen über sieuesische und florentinische Treceutisteu und hauptsächlich florentinische Quattrocentisten. Hier mußte die „Bestimmung" von Grund auf neu gemacht werdeu, denn in der Kenntnis dieser Schulen ist man doch in den letzten dreißig Jahren wirk¬ lich weiter gekommen. Den Fachmann wird die Art, wie Schmarsow hier verfahren ist, lebhaft interessiren, und der Kunstfreund findet dazu einige recht gute Gemälde abgebildet, an denen er sich schadlos halten kann, wenn er für die Feinheiten der Bilderkcnnerschaft nicht die nötige Empfindung haben sollte. Wir haben von dem mannigfachen Inhalt des Werkes nur einiges berührt und möchten, anstatt die Übersicht zu vervollständigen, lieber noch einige Be¬ merkungen über den Eindruck des Ganzen machen und zwar gerade an diese Mannigfaltigkeit anknüpfen. Der Verfasser giebt Sicheres und zum Teil Be¬ kanntes neben sehr viel Hypothetischem; beides wird verbunden durch eine die Fugen vielfach verdeckende blühende, novellistisch angehauchte Sprache. Den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/44>, abgerufen am 23.07.2024.