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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Aunst in deutscher Bearbeitung

Wird, das Gotische in seiner Bedeutung sür Giovannis Kunst schärfer zu er¬
kennen. Dann folgt eine Schilderung Andrea Pisanos namentlich auf Grund
der Thürreliefs am Baptisterium. Daß hier Giotto an den Entwürfen ge¬
holfen habe, weist Schmarsow mit Recht zurück, dagegen sucht er bei den
Reliefs am Kampcmile den Anteil Giottos in der mehr malerischen Haltung
einzelner Felder bestimmter zu umschreiben. Nach einer Beschreibung neu ent¬
deckter Fresken aus dem Leben der heiligen Katharina von Spinello Aretino
in einer Kapelle nahe bei Florenz werden eingehend die Skulpturen an Or
San Michele behandelt. In ihnen zeigt sich am deutlichsten, wie die Nenmfsance-
swlptur aus der Gotik hervvrwüchst, und auch wer sich über ihr Verhältnis
zur Antike klar werden will, kann nichts besseres thun, als die sehr ver¬
schiedenartigen Statuen dieser vierzehn Pfeilernischen des eigentümlichen kleinen
Bauwerks aufmerksam studiren. Hier sind sicher vertreten mit Werken Nanni
d'Antonio. Ghiberti und Donatello in je drei Nischen, Verrocchio in einer;
unbekannt ist der Meister des gvtisirenden Jakobus in einer weiter", und
wegen der übrig bleibenden drei Nischen ist man auf Mutmaßungen ange¬
wiesen. Als Ganzes ist dieser Aufsatz wohl der interessanteste, er enthält viele
feine Bemerkungen, die in dieser Form noch nicht ausgesprochen worden sind.
In dem folgenden wird das höchst merkwürdige Relief mit der Krönung eines
Kaisers dnrch einen Bischof im Museo Nazionale ausführlich gewürdigt. Man
wird mit Vergnügen der feinen Stilanalyse solgen und dem Verfasser das
Verdienst lassen, das Werk noch entschicdner aus dem Mittelalter heraus in
die Renaissance gerückt zu haben. Aber wenn er nun auch deu Meister er¬
mittelt zu haben meint, nämlich Luca della Nobbia, so ist das doch mehr
durch ein der exclusiv tertii der alten Logiker entsprechendes Verfahren zu
stunde gebracht: das Wert muß einen bedeutenden Urheber haben, andre be¬
kannte Bildhauer passen nicht, also bleibt nnr dieser übrig. So verführt man
ja oft. aber das Ergebnis befriedigt so wenig, wie sonst in solchen Fällen.
Ebenso ist es mit der bekannten Thonbüste des Museo Naziouale, die manche
Piero de Medici nennen, und die Schmarsow ebenfalls mit großer Entschieden¬
heit Luca della Nobbia zuweist. Im Porträt wird in der Regel ans dem
Stil allein der Meister noch schwerer zu ermitteln sein als in andern Gattungen,
Weil da das Modell des Dargestellten sich meistens etwas widerspenstiger zeigt
gegenüber der persönlichen Manier des Künstlers, wenigstens in der Plastck,
denn bei Malern wie Rubens, Van Dyck oder Frans Hals liegt die Sache
schon anders. Müssen wir also Schmarsows Attributionen ablehnen, so halten
wir doch gern die Gedanken fest, aus denen sie hervorgegangen zu sein scheinen.
Schmarsow hat nämlich das Gefühl, als wäre Luca della Nobbia eine noch
eigenartigere und kräftigere Persönlichkeit gewesen, als wie man ihn sich ge¬
wöhnlich, z. B. namentlich auch Donatello gegenüber, denkt.

Sehr gehaltvoll ist ein größerer Aufsatz über die Federzeichnungen, die


Italienische Aunst in deutscher Bearbeitung

Wird, das Gotische in seiner Bedeutung sür Giovannis Kunst schärfer zu er¬
kennen. Dann folgt eine Schilderung Andrea Pisanos namentlich auf Grund
der Thürreliefs am Baptisterium. Daß hier Giotto an den Entwürfen ge¬
holfen habe, weist Schmarsow mit Recht zurück, dagegen sucht er bei den
Reliefs am Kampcmile den Anteil Giottos in der mehr malerischen Haltung
einzelner Felder bestimmter zu umschreiben. Nach einer Beschreibung neu ent¬
deckter Fresken aus dem Leben der heiligen Katharina von Spinello Aretino
in einer Kapelle nahe bei Florenz werden eingehend die Skulpturen an Or
San Michele behandelt. In ihnen zeigt sich am deutlichsten, wie die Nenmfsance-
swlptur aus der Gotik hervvrwüchst, und auch wer sich über ihr Verhältnis
zur Antike klar werden will, kann nichts besseres thun, als die sehr ver¬
schiedenartigen Statuen dieser vierzehn Pfeilernischen des eigentümlichen kleinen
Bauwerks aufmerksam studiren. Hier sind sicher vertreten mit Werken Nanni
d'Antonio. Ghiberti und Donatello in je drei Nischen, Verrocchio in einer;
unbekannt ist der Meister des gvtisirenden Jakobus in einer weiter», und
wegen der übrig bleibenden drei Nischen ist man auf Mutmaßungen ange¬
wiesen. Als Ganzes ist dieser Aufsatz wohl der interessanteste, er enthält viele
feine Bemerkungen, die in dieser Form noch nicht ausgesprochen worden sind.
In dem folgenden wird das höchst merkwürdige Relief mit der Krönung eines
Kaisers dnrch einen Bischof im Museo Nazionale ausführlich gewürdigt. Man
wird mit Vergnügen der feinen Stilanalyse solgen und dem Verfasser das
Verdienst lassen, das Werk noch entschicdner aus dem Mittelalter heraus in
die Renaissance gerückt zu haben. Aber wenn er nun auch deu Meister er¬
mittelt zu haben meint, nämlich Luca della Nobbia, so ist das doch mehr
durch ein der exclusiv tertii der alten Logiker entsprechendes Verfahren zu
stunde gebracht: das Wert muß einen bedeutenden Urheber haben, andre be¬
kannte Bildhauer passen nicht, also bleibt nnr dieser übrig. So verführt man
ja oft. aber das Ergebnis befriedigt so wenig, wie sonst in solchen Fällen.
Ebenso ist es mit der bekannten Thonbüste des Museo Naziouale, die manche
Piero de Medici nennen, und die Schmarsow ebenfalls mit großer Entschieden¬
heit Luca della Nobbia zuweist. Im Porträt wird in der Regel ans dem
Stil allein der Meister noch schwerer zu ermitteln sein als in andern Gattungen,
Weil da das Modell des Dargestellten sich meistens etwas widerspenstiger zeigt
gegenüber der persönlichen Manier des Künstlers, wenigstens in der Plastck,
denn bei Malern wie Rubens, Van Dyck oder Frans Hals liegt die Sache
schon anders. Müssen wir also Schmarsows Attributionen ablehnen, so halten
wir doch gern die Gedanken fest, aus denen sie hervorgegangen zu sein scheinen.
Schmarsow hat nämlich das Gefühl, als wäre Luca della Nobbia eine noch
eigenartigere und kräftigere Persönlichkeit gewesen, als wie man ihn sich ge¬
wöhnlich, z. B. namentlich auch Donatello gegenüber, denkt.

Sehr gehaltvoll ist ein größerer Aufsatz über die Federzeichnungen, die


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[0043] Italienische Aunst in deutscher Bearbeitung Wird, das Gotische in seiner Bedeutung sür Giovannis Kunst schärfer zu er¬ kennen. Dann folgt eine Schilderung Andrea Pisanos namentlich auf Grund der Thürreliefs am Baptisterium. Daß hier Giotto an den Entwürfen ge¬ holfen habe, weist Schmarsow mit Recht zurück, dagegen sucht er bei den Reliefs am Kampcmile den Anteil Giottos in der mehr malerischen Haltung einzelner Felder bestimmter zu umschreiben. Nach einer Beschreibung neu ent¬ deckter Fresken aus dem Leben der heiligen Katharina von Spinello Aretino in einer Kapelle nahe bei Florenz werden eingehend die Skulpturen an Or San Michele behandelt. In ihnen zeigt sich am deutlichsten, wie die Nenmfsance- swlptur aus der Gotik hervvrwüchst, und auch wer sich über ihr Verhältnis zur Antike klar werden will, kann nichts besseres thun, als die sehr ver¬ schiedenartigen Statuen dieser vierzehn Pfeilernischen des eigentümlichen kleinen Bauwerks aufmerksam studiren. Hier sind sicher vertreten mit Werken Nanni d'Antonio. Ghiberti und Donatello in je drei Nischen, Verrocchio in einer; unbekannt ist der Meister des gvtisirenden Jakobus in einer weiter», und wegen der übrig bleibenden drei Nischen ist man auf Mutmaßungen ange¬ wiesen. Als Ganzes ist dieser Aufsatz wohl der interessanteste, er enthält viele feine Bemerkungen, die in dieser Form noch nicht ausgesprochen worden sind. In dem folgenden wird das höchst merkwürdige Relief mit der Krönung eines Kaisers dnrch einen Bischof im Museo Nazionale ausführlich gewürdigt. Man wird mit Vergnügen der feinen Stilanalyse solgen und dem Verfasser das Verdienst lassen, das Werk noch entschicdner aus dem Mittelalter heraus in die Renaissance gerückt zu haben. Aber wenn er nun auch deu Meister er¬ mittelt zu haben meint, nämlich Luca della Nobbia, so ist das doch mehr durch ein der exclusiv tertii der alten Logiker entsprechendes Verfahren zu stunde gebracht: das Wert muß einen bedeutenden Urheber haben, andre be¬ kannte Bildhauer passen nicht, also bleibt nnr dieser übrig. So verführt man ja oft. aber das Ergebnis befriedigt so wenig, wie sonst in solchen Fällen. Ebenso ist es mit der bekannten Thonbüste des Museo Naziouale, die manche Piero de Medici nennen, und die Schmarsow ebenfalls mit großer Entschieden¬ heit Luca della Nobbia zuweist. Im Porträt wird in der Regel ans dem Stil allein der Meister noch schwerer zu ermitteln sein als in andern Gattungen, Weil da das Modell des Dargestellten sich meistens etwas widerspenstiger zeigt gegenüber der persönlichen Manier des Künstlers, wenigstens in der Plastck, denn bei Malern wie Rubens, Van Dyck oder Frans Hals liegt die Sache schon anders. Müssen wir also Schmarsows Attributionen ablehnen, so halten wir doch gern die Gedanken fest, aus denen sie hervorgegangen zu sein scheinen. Schmarsow hat nämlich das Gefühl, als wäre Luca della Nobbia eine noch eigenartigere und kräftigere Persönlichkeit gewesen, als wie man ihn sich ge¬ wöhnlich, z. B. namentlich auch Donatello gegenüber, denkt. Sehr gehaltvoll ist ein größerer Aufsatz über die Federzeichnungen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/43>, abgerufen am 23.07.2024.