Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Manchesterlehre und Christentum

schlagen ermöglichen, kann es den Deutschen in Siam, bei der Beliebtheit,
deren sie und ihr tüchtiger Ministerresident sich bei König und Volk erfreuen,
nicht schwer fallen, die Beziehungen zwischen Siam und Deutschland noch
erfolgreicher zu gestalten.




Manchesterlehre und Christentum

em Drängen einflußreicher Manchesterleute nachgebend hat die
preußische Negierung, zunächst an den zwei wichtigen Universitäten
Berlin und Breslau, Dozenten der Volkswirtschaftslehre ange¬
stellt, die die Aufgabe haben, nach bestem Vermögen dem Umsich¬
greifen sozialistischer Ideen Einhalt zu thun. Die beiden Ge¬
lehrten haben sich nicht darauf beschränkt, im Hörsaal dieser Verpflichtung
nachzukommen, sondern sie sind auch gleich schriftstellerisch auf den Plan ge¬
treten, um vor einem größern Publikum die Überlegenheit ihrer Waffen im
Kampfe mit dem bösen Lindwurm zu zeigen. Professor Wolf hat in einer
von ihm begründeten Zeitschrift, Professor Reinhold in einem dicken Buch
über die bewegenden Kräfte der Volkswirtschaft den Kampf begonnen, indem
ein Angriff gemacht wird auf den Illusionismus als das aus phantastischem
Gestrüpp zusammengeflochtne, schwer zugängliche Nest, worin der Drache zu
Hausen und Unheil zu brüten Pflegte. Das große Übel ist, nach Neinholos
Meinung, daß die Menschen viel zu viel glauben. Sie sind in solchem Maße
gläubig, daß "immer wieder nüchterne Leute kommen müssen, um ihnen die
Illusionen und den Aberglauben, die frommen Wünsche und die eiteln Hoff¬
nungen auszutreiben." Die nüchterne Wahrheit nun, die allem eiteln Glauben
und vergeblichen Hoffen, damit auch allem den ruhigen Prozeß kapitalistischer
Gttteranhäufnng störenden Streben nach Besserung des Menschen und seines
irdischen Loses ein Ende machen soll, ist die Manchesterlehre vom reinen
Egoismus als dem treibenden Prinzip aller Volkswirtschaft. Und damit man
sich ja nicht einfallen lasse, den Ausdruck "Egoismus" in einem mildernden
oder einschränkenden Sinne deuten zu wollen, sagt Professor Reinhold aus¬
drücklich: "Nur in einem Punkte ist der Mensch derselbe, immer mit sich im
Einklange: daß wir von ihm nichts gutes erwarten können; daß er ein
ehnischer Selbstsüchtling ist, und -- daß er dies ewig bestreiten wird."

Zweimal ist innerhalb der Geschichte unsrer abendländischen Zivilisation
ein Versuch im großen angestellt worden, eine gründliche Besserung des
Menschen und seiner äußern Lage herbeizuführen. Das Christentum unter-


Manchesterlehre und Christentum

schlagen ermöglichen, kann es den Deutschen in Siam, bei der Beliebtheit,
deren sie und ihr tüchtiger Ministerresident sich bei König und Volk erfreuen,
nicht schwer fallen, die Beziehungen zwischen Siam und Deutschland noch
erfolgreicher zu gestalten.




Manchesterlehre und Christentum

em Drängen einflußreicher Manchesterleute nachgebend hat die
preußische Negierung, zunächst an den zwei wichtigen Universitäten
Berlin und Breslau, Dozenten der Volkswirtschaftslehre ange¬
stellt, die die Aufgabe haben, nach bestem Vermögen dem Umsich¬
greifen sozialistischer Ideen Einhalt zu thun. Die beiden Ge¬
lehrten haben sich nicht darauf beschränkt, im Hörsaal dieser Verpflichtung
nachzukommen, sondern sie sind auch gleich schriftstellerisch auf den Plan ge¬
treten, um vor einem größern Publikum die Überlegenheit ihrer Waffen im
Kampfe mit dem bösen Lindwurm zu zeigen. Professor Wolf hat in einer
von ihm begründeten Zeitschrift, Professor Reinhold in einem dicken Buch
über die bewegenden Kräfte der Volkswirtschaft den Kampf begonnen, indem
ein Angriff gemacht wird auf den Illusionismus als das aus phantastischem
Gestrüpp zusammengeflochtne, schwer zugängliche Nest, worin der Drache zu
Hausen und Unheil zu brüten Pflegte. Das große Übel ist, nach Neinholos
Meinung, daß die Menschen viel zu viel glauben. Sie sind in solchem Maße
gläubig, daß „immer wieder nüchterne Leute kommen müssen, um ihnen die
Illusionen und den Aberglauben, die frommen Wünsche und die eiteln Hoff¬
nungen auszutreiben." Die nüchterne Wahrheit nun, die allem eiteln Glauben
und vergeblichen Hoffen, damit auch allem den ruhigen Prozeß kapitalistischer
Gttteranhäufnng störenden Streben nach Besserung des Menschen und seines
irdischen Loses ein Ende machen soll, ist die Manchesterlehre vom reinen
Egoismus als dem treibenden Prinzip aller Volkswirtschaft. Und damit man
sich ja nicht einfallen lasse, den Ausdruck „Egoismus" in einem mildernden
oder einschränkenden Sinne deuten zu wollen, sagt Professor Reinhold aus¬
drücklich: „Nur in einem Punkte ist der Mensch derselbe, immer mit sich im
Einklange: daß wir von ihm nichts gutes erwarten können; daß er ein
ehnischer Selbstsüchtling ist, und — daß er dies ewig bestreiten wird."

Zweimal ist innerhalb der Geschichte unsrer abendländischen Zivilisation
ein Versuch im großen angestellt worden, eine gründliche Besserung des
Menschen und seiner äußern Lage herbeizuführen. Das Christentum unter-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228059"/>
          <fw type="header" place="top"> Manchesterlehre und Christentum</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1161" prev="#ID_1160"> schlagen ermöglichen, kann es den Deutschen in Siam, bei der Beliebtheit,<lb/>
deren sie und ihr tüchtiger Ministerresident sich bei König und Volk erfreuen,<lb/>
nicht schwer fallen, die Beziehungen zwischen Siam und Deutschland noch<lb/>
erfolgreicher zu gestalten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Manchesterlehre und Christentum</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1162"> em Drängen einflußreicher Manchesterleute nachgebend hat die<lb/>
preußische Negierung, zunächst an den zwei wichtigen Universitäten<lb/>
Berlin und Breslau, Dozenten der Volkswirtschaftslehre ange¬<lb/>
stellt, die die Aufgabe haben, nach bestem Vermögen dem Umsich¬<lb/>
greifen sozialistischer Ideen Einhalt zu thun. Die beiden Ge¬<lb/>
lehrten haben sich nicht darauf beschränkt, im Hörsaal dieser Verpflichtung<lb/>
nachzukommen, sondern sie sind auch gleich schriftstellerisch auf den Plan ge¬<lb/>
treten, um vor einem größern Publikum die Überlegenheit ihrer Waffen im<lb/>
Kampfe mit dem bösen Lindwurm zu zeigen. Professor Wolf hat in einer<lb/>
von ihm begründeten Zeitschrift, Professor Reinhold in einem dicken Buch<lb/>
über die bewegenden Kräfte der Volkswirtschaft den Kampf begonnen, indem<lb/>
ein Angriff gemacht wird auf den Illusionismus als das aus phantastischem<lb/>
Gestrüpp zusammengeflochtne, schwer zugängliche Nest, worin der Drache zu<lb/>
Hausen und Unheil zu brüten Pflegte. Das große Übel ist, nach Neinholos<lb/>
Meinung, daß die Menschen viel zu viel glauben. Sie sind in solchem Maße<lb/>
gläubig, daß &#x201E;immer wieder nüchterne Leute kommen müssen, um ihnen die<lb/>
Illusionen und den Aberglauben, die frommen Wünsche und die eiteln Hoff¬<lb/>
nungen auszutreiben." Die nüchterne Wahrheit nun, die allem eiteln Glauben<lb/>
und vergeblichen Hoffen, damit auch allem den ruhigen Prozeß kapitalistischer<lb/>
Gttteranhäufnng störenden Streben nach Besserung des Menschen und seines<lb/>
irdischen Loses ein Ende machen soll, ist die Manchesterlehre vom reinen<lb/>
Egoismus als dem treibenden Prinzip aller Volkswirtschaft. Und damit man<lb/>
sich ja nicht einfallen lasse, den Ausdruck &#x201E;Egoismus" in einem mildernden<lb/>
oder einschränkenden Sinne deuten zu wollen, sagt Professor Reinhold aus¬<lb/>
drücklich: &#x201E;Nur in einem Punkte ist der Mensch derselbe, immer mit sich im<lb/>
Einklange: daß wir von ihm nichts gutes erwarten können; daß er ein<lb/>
ehnischer Selbstsüchtling ist, und &#x2014; daß er dies ewig bestreiten wird."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1163" next="#ID_1164"> Zweimal ist innerhalb der Geschichte unsrer abendländischen Zivilisation<lb/>
ein Versuch im großen angestellt worden, eine gründliche Besserung des<lb/>
Menschen und seiner äußern Lage herbeizuführen.  Das Christentum unter-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0423] Manchesterlehre und Christentum schlagen ermöglichen, kann es den Deutschen in Siam, bei der Beliebtheit, deren sie und ihr tüchtiger Ministerresident sich bei König und Volk erfreuen, nicht schwer fallen, die Beziehungen zwischen Siam und Deutschland noch erfolgreicher zu gestalten. Manchesterlehre und Christentum em Drängen einflußreicher Manchesterleute nachgebend hat die preußische Negierung, zunächst an den zwei wichtigen Universitäten Berlin und Breslau, Dozenten der Volkswirtschaftslehre ange¬ stellt, die die Aufgabe haben, nach bestem Vermögen dem Umsich¬ greifen sozialistischer Ideen Einhalt zu thun. Die beiden Ge¬ lehrten haben sich nicht darauf beschränkt, im Hörsaal dieser Verpflichtung nachzukommen, sondern sie sind auch gleich schriftstellerisch auf den Plan ge¬ treten, um vor einem größern Publikum die Überlegenheit ihrer Waffen im Kampfe mit dem bösen Lindwurm zu zeigen. Professor Wolf hat in einer von ihm begründeten Zeitschrift, Professor Reinhold in einem dicken Buch über die bewegenden Kräfte der Volkswirtschaft den Kampf begonnen, indem ein Angriff gemacht wird auf den Illusionismus als das aus phantastischem Gestrüpp zusammengeflochtne, schwer zugängliche Nest, worin der Drache zu Hausen und Unheil zu brüten Pflegte. Das große Übel ist, nach Neinholos Meinung, daß die Menschen viel zu viel glauben. Sie sind in solchem Maße gläubig, daß „immer wieder nüchterne Leute kommen müssen, um ihnen die Illusionen und den Aberglauben, die frommen Wünsche und die eiteln Hoff¬ nungen auszutreiben." Die nüchterne Wahrheit nun, die allem eiteln Glauben und vergeblichen Hoffen, damit auch allem den ruhigen Prozeß kapitalistischer Gttteranhäufnng störenden Streben nach Besserung des Menschen und seines irdischen Loses ein Ende machen soll, ist die Manchesterlehre vom reinen Egoismus als dem treibenden Prinzip aller Volkswirtschaft. Und damit man sich ja nicht einfallen lasse, den Ausdruck „Egoismus" in einem mildernden oder einschränkenden Sinne deuten zu wollen, sagt Professor Reinhold aus¬ drücklich: „Nur in einem Punkte ist der Mensch derselbe, immer mit sich im Einklange: daß wir von ihm nichts gutes erwarten können; daß er ein ehnischer Selbstsüchtling ist, und — daß er dies ewig bestreiten wird." Zweimal ist innerhalb der Geschichte unsrer abendländischen Zivilisation ein Versuch im großen angestellt worden, eine gründliche Besserung des Menschen und seiner äußern Lage herbeizuführen. Das Christentum unter-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/423
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/423>, abgerufen am 27.12.2024.