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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Was in Gstasien vorgeht

ist, der Hof von Peking nach dem Süden, etwa Nanking, werde verlegt werden.
Nanking, die alte Residenz der echt chinesischen Fürsten vom "Reich der Mitte,"
und der Jan-the-klang, das ist das Herz von China, ein dem Volk heiliger
Boden. Es wird vor allem im Interesse Rußlands liegen, nachdem es sich
in der Heimat des herrschenden Volks durch den Bau einer die Mandschurei
durchschneidenden Eisenbahn wird festgesetzt haben, die Mandschu in ihrer
Herrschaft zu erhalten. Im Besitz der Mandschurei wird Rußland es leichter
als jede andre Macht haben, die Mandschu in Peking und durch sie China
selbst zu leiten. Ein Aufstand, der die Dynastie und damit die Herrschaft der
Mandschu stürzte, der China wieder in seine alten Teilstaaten, wie sie vor
Jahrhunderten bestanden haben, zersprengte, würde leicht auch den Haß der
Chinesen zum Angriff gegen alle europäischen Niederlassungen reizen; er würde,
wenn auch dieser Angriff zurückgewiesen werden könnte, doch die reichen Länder
der Mitte dem russischen Einflüsse entziehen und den Mächten in die Arme
treiben, die sich der großen Ströme dann versichert haben werden. In Eng¬
land ist man schon wieder der alten Ansicht, daß die großen Ströme englisches
Interessengebiet seien und besonders Deutschland dort nichts zu suchen habe. Die
Folge dieser Ansicht dürfte sein, daß wir umso fester mit Rußland verbunden
unsern Weg in China gehen und die Mandschudynastie stützen werden.

Die internationalen Wettrennen der neuern Zeit haben außer dem Begriff
der Interessensphäre noch einige andre mehr oder weniger sonderbare und ver-
schwommne Regeln dieses politischen Turfes erzeugt. Man unterscheidet z. B.
in England die Interessensphäre von der Einflußsphäre, und obwohl weder
ein Professor des Staatsrechts oder des Völkerrechts, uoch ein diplomatisches
Aktenstück bisher die Begriffe genau hat feststellen können, werden diese bei
passender Gelegenheit fast wie anerkannte Ordnungen des Völkerrechts in Ge¬
brauch genommen. Wie wenig man sich, ohne den Rückhalt realer Macht¬
mittel, auf solche unbestimmten Begriffe verlassen kann, haben wir erfahren mit
der Verwertung des von der Kongokonferenz eingeführten Begriffes des Hinter¬
landes. Das "Hinterland" ist nicht nur in den diplomatischen Verkehr aller
Staaten, sondern sogar in die fremden Sprachen aufgenommen worden, was
jedoch nicht gehindert hat, daß sich z. B. am Niger weder Engländer noch
Franzosen darüber klar geworden sind, wo die Grenzen der verschiednen Hinter¬
länder liegen. Ein andres neues Mittel, sich unklare Situationen und Rechte
zu schaffen, besteht darin, daß eine Macht sich von einem fremden Staate das
Versprechen geben läßt, gewisse Gebiete an eine dritte Macht nicht zu ver¬
äußern, nicht anderswie zu vergeben, ihr keine Niederlassungen dort zu ge¬
statten oder keine Sonderrechte zu gewähren. Zu solchen Versprechungen läßt
sich ein Staat in der Not wie die Negerstaaten Afrikas oder auch wie China
unschwer verleiten, da er ja nur verspricht, was er sehnlichst zu halten wünscht.
Wie es heißt, hat China derartige Versprechungen an Frankreich im Süden,
an England im Gebiet des Aar-the-klang gemacht. Thatsächlich verwandelt


Was in Gstasien vorgeht

ist, der Hof von Peking nach dem Süden, etwa Nanking, werde verlegt werden.
Nanking, die alte Residenz der echt chinesischen Fürsten vom „Reich der Mitte,"
und der Jan-the-klang, das ist das Herz von China, ein dem Volk heiliger
Boden. Es wird vor allem im Interesse Rußlands liegen, nachdem es sich
in der Heimat des herrschenden Volks durch den Bau einer die Mandschurei
durchschneidenden Eisenbahn wird festgesetzt haben, die Mandschu in ihrer
Herrschaft zu erhalten. Im Besitz der Mandschurei wird Rußland es leichter
als jede andre Macht haben, die Mandschu in Peking und durch sie China
selbst zu leiten. Ein Aufstand, der die Dynastie und damit die Herrschaft der
Mandschu stürzte, der China wieder in seine alten Teilstaaten, wie sie vor
Jahrhunderten bestanden haben, zersprengte, würde leicht auch den Haß der
Chinesen zum Angriff gegen alle europäischen Niederlassungen reizen; er würde,
wenn auch dieser Angriff zurückgewiesen werden könnte, doch die reichen Länder
der Mitte dem russischen Einflüsse entziehen und den Mächten in die Arme
treiben, die sich der großen Ströme dann versichert haben werden. In Eng¬
land ist man schon wieder der alten Ansicht, daß die großen Ströme englisches
Interessengebiet seien und besonders Deutschland dort nichts zu suchen habe. Die
Folge dieser Ansicht dürfte sein, daß wir umso fester mit Rußland verbunden
unsern Weg in China gehen und die Mandschudynastie stützen werden.

Die internationalen Wettrennen der neuern Zeit haben außer dem Begriff
der Interessensphäre noch einige andre mehr oder weniger sonderbare und ver-
schwommne Regeln dieses politischen Turfes erzeugt. Man unterscheidet z. B.
in England die Interessensphäre von der Einflußsphäre, und obwohl weder
ein Professor des Staatsrechts oder des Völkerrechts, uoch ein diplomatisches
Aktenstück bisher die Begriffe genau hat feststellen können, werden diese bei
passender Gelegenheit fast wie anerkannte Ordnungen des Völkerrechts in Ge¬
brauch genommen. Wie wenig man sich, ohne den Rückhalt realer Macht¬
mittel, auf solche unbestimmten Begriffe verlassen kann, haben wir erfahren mit
der Verwertung des von der Kongokonferenz eingeführten Begriffes des Hinter¬
landes. Das „Hinterland" ist nicht nur in den diplomatischen Verkehr aller
Staaten, sondern sogar in die fremden Sprachen aufgenommen worden, was
jedoch nicht gehindert hat, daß sich z. B. am Niger weder Engländer noch
Franzosen darüber klar geworden sind, wo die Grenzen der verschiednen Hinter¬
länder liegen. Ein andres neues Mittel, sich unklare Situationen und Rechte
zu schaffen, besteht darin, daß eine Macht sich von einem fremden Staate das
Versprechen geben läßt, gewisse Gebiete an eine dritte Macht nicht zu ver¬
äußern, nicht anderswie zu vergeben, ihr keine Niederlassungen dort zu ge¬
statten oder keine Sonderrechte zu gewähren. Zu solchen Versprechungen läßt
sich ein Staat in der Not wie die Negerstaaten Afrikas oder auch wie China
unschwer verleiten, da er ja nur verspricht, was er sehnlichst zu halten wünscht.
Wie es heißt, hat China derartige Versprechungen an Frankreich im Süden,
an England im Gebiet des Aar-the-klang gemacht. Thatsächlich verwandelt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/370>, abgerufen am 23.07.2024.