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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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vielleicht richtig sein. Dieser uns so lockend erscheinende Reichtum ist zum
großen Teil, nämlich soweit er Werke der Menschenhand darstellt, angehäuft
worden durch die Arbeit von Jahrtausenden; und diese Arbeit wiederum hat
in dem Chinesen eine Arbeitsfähigkeit ausgebildet, die im ganzen von keinem
andern Volk übertroffen, wahrscheinlich von keinem erreicht wird. Ich brauche
die Eigenschaften, aus denen sich diese Arbeitsfähigkeit des Chinesen zusammen¬
setzt, kaum aufzuzählen: sie sind nicht nur bekannt, sondern so sehr anerkannt,
daß alle Küstenländer des Stillen Ozeans niemand in der Arbeitskonkurrenz
so fürchten wie den Chinesen, nud daß der liberalste Staat der Welt, die Ver¬
einigten Staaten von Nordamerika, gezwungen gewesen ist, sich gegen diese Kon¬
kurrenz gewaltsam, d. h. durch Gesetz zu schützen. Wenn der Chinese trotz
seiner uralten Schulweisheit nicht verstanden hat, sich, wie wir, die Kräfte der
Natur dienstbar zu machen, deren Anwendung unsre gewaltige materielle Über¬
legenheit über ihn begründet, so möge man bedenken, daß wir selbst noch in
dem Jahrhundert leben, das die erste Dampfmaschine, den ersten elektrischen
Telegraphen sah. Der Chinese wird die Verwertung unsrer Erfindungen sehr
bald lernen; er ist für technische Arbeit vorzüglich geschult: sorgfältig, aus¬
dauernd, genau wie eine Maschine, die langweiligste, geistloseste Arbeit immer
gelassen fortsetzend, solange er gut behandelt und genau gelohnt wird. Für
schwere körperliche Arbeit, besonders in der Fremde, scheint der Chinese wenig
geeignet zu sein. Als zum Bau des Panamakanals Kukis verwendet wurden,
las man Klagen darüber, daß sich viele aus Heimweh und aus Widerwillen
gegen diese Arbeit umbrachten. Sie setzten sich zur Zeit der Ebbe auf den Meer¬
sand und ließen sich von der Flut ertränken. Zuletzt mußte man die Übrig-
gebliebnen nach Hause schaffen. Umso leistungsfähiger ist der Chinese zur
Fabrikarbeit, besonders in seiner Heimat. Die ungeheuern Verluste, mit denen
uns die Streiks bedrohen, sind dort nicht zu befürchten: der Chinese arbeitet
tagaus tagein um einen Lohn von 50 Pfennigen, die Chinesin um 30 Pfennige.

Trotz der dichten Bevölkerung sind die Lebensmittel, deren der Chinese
bedarf, weit billiger als in irgend einem Teile Europas. Der Boden erzeugt
in den guten Landstrichen eine Überfülle von Brotkorn, er birgt die größten
Kohlenlager der Welt und Minerale jeder Art. Alles dieses wäre genügend,
uns bedenklich zu machen in dem Unternehmen, das dem Chinesen die Mittel
in die Hand geben soll, um mit unserm europäischen Arbeiter in Wettbewerb
zu treten. Bedenklich besonders in einer Zeit, wo wir unter dem Druck der
Frage seufzen, wie wir dem wachsenden Elend unsers Arbeiterproletariats be¬
gegnen sollen. Unsre Industrie hat auch unter der Leitung der besten, hu¬
manster, opferwilligsten Gesinnung des Staats- oder des Jndustrieherrn die
Tendenz, den Arbeiter zur Maschine herabzudrücken. Kein Volk der Erde aber
scheint sich so tief in das Elend ohne viel Widerstreben hinabdrücken zu lassen,
als der Chinese. Er hat weder Religion noch religiöses Bedürfnis, noch
ideale Anlage; er ist spekulativ-rationalistisch, ganz realistisch, von sehr geringer


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vielleicht richtig sein. Dieser uns so lockend erscheinende Reichtum ist zum
großen Teil, nämlich soweit er Werke der Menschenhand darstellt, angehäuft
worden durch die Arbeit von Jahrtausenden; und diese Arbeit wiederum hat
in dem Chinesen eine Arbeitsfähigkeit ausgebildet, die im ganzen von keinem
andern Volk übertroffen, wahrscheinlich von keinem erreicht wird. Ich brauche
die Eigenschaften, aus denen sich diese Arbeitsfähigkeit des Chinesen zusammen¬
setzt, kaum aufzuzählen: sie sind nicht nur bekannt, sondern so sehr anerkannt,
daß alle Küstenländer des Stillen Ozeans niemand in der Arbeitskonkurrenz
so fürchten wie den Chinesen, nud daß der liberalste Staat der Welt, die Ver¬
einigten Staaten von Nordamerika, gezwungen gewesen ist, sich gegen diese Kon¬
kurrenz gewaltsam, d. h. durch Gesetz zu schützen. Wenn der Chinese trotz
seiner uralten Schulweisheit nicht verstanden hat, sich, wie wir, die Kräfte der
Natur dienstbar zu machen, deren Anwendung unsre gewaltige materielle Über¬
legenheit über ihn begründet, so möge man bedenken, daß wir selbst noch in
dem Jahrhundert leben, das die erste Dampfmaschine, den ersten elektrischen
Telegraphen sah. Der Chinese wird die Verwertung unsrer Erfindungen sehr
bald lernen; er ist für technische Arbeit vorzüglich geschult: sorgfältig, aus¬
dauernd, genau wie eine Maschine, die langweiligste, geistloseste Arbeit immer
gelassen fortsetzend, solange er gut behandelt und genau gelohnt wird. Für
schwere körperliche Arbeit, besonders in der Fremde, scheint der Chinese wenig
geeignet zu sein. Als zum Bau des Panamakanals Kukis verwendet wurden,
las man Klagen darüber, daß sich viele aus Heimweh und aus Widerwillen
gegen diese Arbeit umbrachten. Sie setzten sich zur Zeit der Ebbe auf den Meer¬
sand und ließen sich von der Flut ertränken. Zuletzt mußte man die Übrig-
gebliebnen nach Hause schaffen. Umso leistungsfähiger ist der Chinese zur
Fabrikarbeit, besonders in seiner Heimat. Die ungeheuern Verluste, mit denen
uns die Streiks bedrohen, sind dort nicht zu befürchten: der Chinese arbeitet
tagaus tagein um einen Lohn von 50 Pfennigen, die Chinesin um 30 Pfennige.

Trotz der dichten Bevölkerung sind die Lebensmittel, deren der Chinese
bedarf, weit billiger als in irgend einem Teile Europas. Der Boden erzeugt
in den guten Landstrichen eine Überfülle von Brotkorn, er birgt die größten
Kohlenlager der Welt und Minerale jeder Art. Alles dieses wäre genügend,
uns bedenklich zu machen in dem Unternehmen, das dem Chinesen die Mittel
in die Hand geben soll, um mit unserm europäischen Arbeiter in Wettbewerb
zu treten. Bedenklich besonders in einer Zeit, wo wir unter dem Druck der
Frage seufzen, wie wir dem wachsenden Elend unsers Arbeiterproletariats be¬
gegnen sollen. Unsre Industrie hat auch unter der Leitung der besten, hu¬
manster, opferwilligsten Gesinnung des Staats- oder des Jndustrieherrn die
Tendenz, den Arbeiter zur Maschine herabzudrücken. Kein Volk der Erde aber
scheint sich so tief in das Elend ohne viel Widerstreben hinabdrücken zu lassen,
als der Chinese. Er hat weder Religion noch religiöses Bedürfnis, noch
ideale Anlage; er ist spekulativ-rationalistisch, ganz realistisch, von sehr geringer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/366>, abgerufen am 28.12.2024.