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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Was in Vstasien vorgeht

vielleicht henken lassen. Sie Hütten, wenn etwa Holland oder Dünemark
Instrukteure nach Peking zur Ausbildung des chinesischen Heeres schicken
wollten, diese unterwegs aufgreifen und einsperren lassen; sie hätten Herrn
Krupp für einen Landesverräter erklärt und mit Wegnahme seiner Kanonen
bedroht, wenn er diese an Chinesen oder andre fremde Völker zu verkaufen
versuchte.

So haben es auch die in Kolonisation wie Handel wohlerfahrnen Herren
vom Deutschen Orden gemacht, als Rußland noch, im sechzehnten Jahrhundert,
ein Land war, das zwar sehr arm im Vergleich zu dem heutigen China, diesem
doch gleich war in seiner Abgeschlossenheit, seinem Widerwillen gegen die Europäer
und ihre Kultur, und das von China sehr unterschieden war durch seine rohe
Barbarei und seine Unfähigkeit, die Produkte der westlichen Kultur zu ver¬
stehen oder gar nachzuahmen. Die deutschen Händler verkauften unter dem
Schutz des Ordens nach Nußland diese Erzeugnisse der Kultur im Tausch
gegen Rohstoffe, wachten aber mit größter Strenge darüber, daß keine Menschen
oder Dinge nach Rußland gelangten, die dort, sei es eine Kräftigung der
russischen Streitmacht bewirken oder eine Konkurrenz für ihre Einfuhrartikel
eröffnen konnten. Heute ist die Konkurrenzraserei unter den abendländischen
Völkern so groß, daß man es aufgegeben hat, sich das Monopol der euro¬
päischen Industrie gegenüber den Ländern geringerer Kultur möglichst lange
zu sichern. Man stürmt nach Japan, nach China hinein, um dort nicht nur
Gewebe, sondern auch Spindeln, nicht nur Maschinen, sondern selbst die Werk¬
zeuge zu ihrer Herstellung zu verkaufen; man errichtet dort die Werkstätten,
die mit unsrer heimischen Industrie auf dem ungeheuern chinesischen Markt in
Wettbewerb treten sollen; man sägt den Ast ab, auf den man sich soeben erst
gesetzt hat -- und man ist noch dazu sehr stolz und froh darüber!

Wohin das führt, können wir schon in Japan sehen. Einige Jahre
haben genügt, dort eine Industrie zu entwickeln, die schon die europäischen
Produkte auf einigen Gebieten zurückdrängt, und das nicht bloß auf japanischem,
sondern auch schon auf chinesischem, indischem, australischen Boden. Ja wir
sehen unsre Frauen die japanischen Sonnenschirme, die sie in Berlin kaufen,
wegen ihrer größern Eleganz und Billigkeit den deutschen Schirmen vorziehen;
wir finden in unsern Buchhandlungen Bücher, z. B. die Fabeln von Lafontaine,
die in Tokio so gut gedruckt und so geschmackvoll ausgestattet sind, daß niemand
mehr eine Pariser Ausgabe dieser Werke kaufen will. Und nun wird derselbe
Vorgang in China beginnen.

Ein vortrefflicher Kenner erklärt China für "das reichste, älteste und be-
völkertste aller der Reiche, die jetzt bestehen, oder deren Geschichte uns erhalten
ist." Uns interessirt hier vornehmlich, zu hören, daß es das reichste sei, und
wenn wir deu Reichtum nicht nach der Menge papierner Schuldscheine, wie
sie unsre heutige Geldwirtschaft geschaffen hat, sondern nach natürlichen und
durch menschliche Arbeit erzeugten Werten berechnen, so mag jenes Urteil


Was in Vstasien vorgeht

vielleicht henken lassen. Sie Hütten, wenn etwa Holland oder Dünemark
Instrukteure nach Peking zur Ausbildung des chinesischen Heeres schicken
wollten, diese unterwegs aufgreifen und einsperren lassen; sie hätten Herrn
Krupp für einen Landesverräter erklärt und mit Wegnahme seiner Kanonen
bedroht, wenn er diese an Chinesen oder andre fremde Völker zu verkaufen
versuchte.

So haben es auch die in Kolonisation wie Handel wohlerfahrnen Herren
vom Deutschen Orden gemacht, als Rußland noch, im sechzehnten Jahrhundert,
ein Land war, das zwar sehr arm im Vergleich zu dem heutigen China, diesem
doch gleich war in seiner Abgeschlossenheit, seinem Widerwillen gegen die Europäer
und ihre Kultur, und das von China sehr unterschieden war durch seine rohe
Barbarei und seine Unfähigkeit, die Produkte der westlichen Kultur zu ver¬
stehen oder gar nachzuahmen. Die deutschen Händler verkauften unter dem
Schutz des Ordens nach Nußland diese Erzeugnisse der Kultur im Tausch
gegen Rohstoffe, wachten aber mit größter Strenge darüber, daß keine Menschen
oder Dinge nach Rußland gelangten, die dort, sei es eine Kräftigung der
russischen Streitmacht bewirken oder eine Konkurrenz für ihre Einfuhrartikel
eröffnen konnten. Heute ist die Konkurrenzraserei unter den abendländischen
Völkern so groß, daß man es aufgegeben hat, sich das Monopol der euro¬
päischen Industrie gegenüber den Ländern geringerer Kultur möglichst lange
zu sichern. Man stürmt nach Japan, nach China hinein, um dort nicht nur
Gewebe, sondern auch Spindeln, nicht nur Maschinen, sondern selbst die Werk¬
zeuge zu ihrer Herstellung zu verkaufen; man errichtet dort die Werkstätten,
die mit unsrer heimischen Industrie auf dem ungeheuern chinesischen Markt in
Wettbewerb treten sollen; man sägt den Ast ab, auf den man sich soeben erst
gesetzt hat — und man ist noch dazu sehr stolz und froh darüber!

Wohin das führt, können wir schon in Japan sehen. Einige Jahre
haben genügt, dort eine Industrie zu entwickeln, die schon die europäischen
Produkte auf einigen Gebieten zurückdrängt, und das nicht bloß auf japanischem,
sondern auch schon auf chinesischem, indischem, australischen Boden. Ja wir
sehen unsre Frauen die japanischen Sonnenschirme, die sie in Berlin kaufen,
wegen ihrer größern Eleganz und Billigkeit den deutschen Schirmen vorziehen;
wir finden in unsern Buchhandlungen Bücher, z. B. die Fabeln von Lafontaine,
die in Tokio so gut gedruckt und so geschmackvoll ausgestattet sind, daß niemand
mehr eine Pariser Ausgabe dieser Werke kaufen will. Und nun wird derselbe
Vorgang in China beginnen.

Ein vortrefflicher Kenner erklärt China für »das reichste, älteste und be-
völkertste aller der Reiche, die jetzt bestehen, oder deren Geschichte uns erhalten
ist." Uns interessirt hier vornehmlich, zu hören, daß es das reichste sei, und
wenn wir deu Reichtum nicht nach der Menge papierner Schuldscheine, wie
sie unsre heutige Geldwirtschaft geschaffen hat, sondern nach natürlichen und
durch menschliche Arbeit erzeugten Werten berechnen, so mag jenes Urteil


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[0365] Was in Vstasien vorgeht vielleicht henken lassen. Sie Hütten, wenn etwa Holland oder Dünemark Instrukteure nach Peking zur Ausbildung des chinesischen Heeres schicken wollten, diese unterwegs aufgreifen und einsperren lassen; sie hätten Herrn Krupp für einen Landesverräter erklärt und mit Wegnahme seiner Kanonen bedroht, wenn er diese an Chinesen oder andre fremde Völker zu verkaufen versuchte. So haben es auch die in Kolonisation wie Handel wohlerfahrnen Herren vom Deutschen Orden gemacht, als Rußland noch, im sechzehnten Jahrhundert, ein Land war, das zwar sehr arm im Vergleich zu dem heutigen China, diesem doch gleich war in seiner Abgeschlossenheit, seinem Widerwillen gegen die Europäer und ihre Kultur, und das von China sehr unterschieden war durch seine rohe Barbarei und seine Unfähigkeit, die Produkte der westlichen Kultur zu ver¬ stehen oder gar nachzuahmen. Die deutschen Händler verkauften unter dem Schutz des Ordens nach Nußland diese Erzeugnisse der Kultur im Tausch gegen Rohstoffe, wachten aber mit größter Strenge darüber, daß keine Menschen oder Dinge nach Rußland gelangten, die dort, sei es eine Kräftigung der russischen Streitmacht bewirken oder eine Konkurrenz für ihre Einfuhrartikel eröffnen konnten. Heute ist die Konkurrenzraserei unter den abendländischen Völkern so groß, daß man es aufgegeben hat, sich das Monopol der euro¬ päischen Industrie gegenüber den Ländern geringerer Kultur möglichst lange zu sichern. Man stürmt nach Japan, nach China hinein, um dort nicht nur Gewebe, sondern auch Spindeln, nicht nur Maschinen, sondern selbst die Werk¬ zeuge zu ihrer Herstellung zu verkaufen; man errichtet dort die Werkstätten, die mit unsrer heimischen Industrie auf dem ungeheuern chinesischen Markt in Wettbewerb treten sollen; man sägt den Ast ab, auf den man sich soeben erst gesetzt hat — und man ist noch dazu sehr stolz und froh darüber! Wohin das führt, können wir schon in Japan sehen. Einige Jahre haben genügt, dort eine Industrie zu entwickeln, die schon die europäischen Produkte auf einigen Gebieten zurückdrängt, und das nicht bloß auf japanischem, sondern auch schon auf chinesischem, indischem, australischen Boden. Ja wir sehen unsre Frauen die japanischen Sonnenschirme, die sie in Berlin kaufen, wegen ihrer größern Eleganz und Billigkeit den deutschen Schirmen vorziehen; wir finden in unsern Buchhandlungen Bücher, z. B. die Fabeln von Lafontaine, die in Tokio so gut gedruckt und so geschmackvoll ausgestattet sind, daß niemand mehr eine Pariser Ausgabe dieser Werke kaufen will. Und nun wird derselbe Vorgang in China beginnen. Ein vortrefflicher Kenner erklärt China für »das reichste, älteste und be- völkertste aller der Reiche, die jetzt bestehen, oder deren Geschichte uns erhalten ist." Uns interessirt hier vornehmlich, zu hören, daß es das reichste sei, und wenn wir deu Reichtum nicht nach der Menge papierner Schuldscheine, wie sie unsre heutige Geldwirtschaft geschaffen hat, sondern nach natürlichen und durch menschliche Arbeit erzeugten Werten berechnen, so mag jenes Urteil

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/365>, abgerufen am 23.07.2024.