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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Was in Vstasien vorgeht

ist der fordernde, gebietende Herr erschienen, die Macht der "roten Teufel"
auf chinesischem Boden. Waren diese Missionare so gefährliche Leute, wie
viel mehr Grund hatten die Chinesen, Kaufleuten, Eisenbahnbauern und
sonstigen weniger harmlosen Gästen ihr Haus, das ihnen wohl eingerichtet
schien, zu verschließen, so lange es ging? Denn sie hatten längst vor
diesem unglücklichen Ereignis in Kiautschou ihre Erfahrungen gemacht. So
ist es immer hergegangen; was wir gethan haben, ist genau nach dem alten
Rezept ausgeführt worden, mit dem vor uns Portugiesen, Franzosen, Eng¬
länder die Chinesen kurirt haben, und wir brauchen uns daraus kein Gewissen
zu machen. Aber Gewalt bleibt Gewalt, und man soll sich nicht wundern,
wenn der Chinese klug genug war und ist, timore Dg.niZ.o8 se Anna, tsrsuws.
Der Missionar ist unser trojanisches Pferd geworden, seitdem wir mit christ¬
licher Entrüstung die wilden Eroberer von Pizarro bis auf Stanley und
Peters von uns gewiesen haben. Sie gehen hin als Lämmer, aber zuletzt
kommen die Wölfe hinterdrein; das ist nun einmal so, und ist nur natürlich
und unvermeidlich, weil die Kultur, unsre Kultur, eben kein Mädchen aus der
Fremde, sondern ein harter Herr ist.

Und ist es denn andrerseits so durchaus gewiß, daß diese Aufschließung
Chinas, wie sie jetzt im Gange ist, für uns die Quelle großen Glückes werden
muß? Für mich ist das eine noch sehr zu erwägende Frage. Zwar, ich
fürchte nicht, daß wir unsre heiligsten Güter vor dem kriegerischen Ansturm
der gelben Rasse werden schützen müssen. Seit nicht mehr die Stärke des
Armes, sondern die Kraft des Kopfes unsre Schlachten schlägt, brauchen wir
keine Horden Dschingiskhans oder Tamerlans mehr zu fürchten. Wir haben
ja die chinesischen Thüren auch nicht eingeräumt, um gewaltsam zu erobern,
sondern um für unsern Gewerbefleiß und Handel Raum zu schaffen. Werden
wir wirklich und sicher erobern? O ja, wir werden für unsre Fabrikate und
Erfindungen in dem Lande der drei- bis vierhundert Millionen Menschen einen
sehr großen Absatz finden, sobald erst die Willkür wird beseitigt sein, mit der
jeder Statthalter, jeder Provinzialmandarin, jede Stadt die eindringenden
Waren mit Binnenzöllen wie bisher belastet. Aber wir begnügen uns damit
nicht, sondern legen dort schon selbst Fabriken an. Wir haben wirtschaftliche
Grundsätze aufgegeben, die ehedem bei uns in Europa galten, insbesondre den
Grundsatz, daß es vorteilhaft sei, Fabrikate an den Fremden zu verkaufen, und
daß es daher thöricht sei, ihn selbst das Fabriziren zu lehren, weil damit das
Verkaufen bald aufhört. Inzwischen entsteht am Kautonfluß und anderwärts
in China eine europäisch gegründete und geleitete Fabrik nach der andern, und
unsre Zeitungen bringen sogar jubelnde und triumphirende Berichte darüber.
Unsre klugen Vorfahren von der Hansa Hütten das vermutlich anders ver¬
standen. Sie hätten, wie ich meine, auf die Nachricht, daß ein Europäer am
Kantonfluß eine Spinnerei oder Gießerei angelegt habe, ein Schiff den Fluß
hinaufgeschickt, die Fabrik niederbrennen und den Unternehmer bestrafen,


Was in Vstasien vorgeht

ist der fordernde, gebietende Herr erschienen, die Macht der „roten Teufel"
auf chinesischem Boden. Waren diese Missionare so gefährliche Leute, wie
viel mehr Grund hatten die Chinesen, Kaufleuten, Eisenbahnbauern und
sonstigen weniger harmlosen Gästen ihr Haus, das ihnen wohl eingerichtet
schien, zu verschließen, so lange es ging? Denn sie hatten längst vor
diesem unglücklichen Ereignis in Kiautschou ihre Erfahrungen gemacht. So
ist es immer hergegangen; was wir gethan haben, ist genau nach dem alten
Rezept ausgeführt worden, mit dem vor uns Portugiesen, Franzosen, Eng¬
länder die Chinesen kurirt haben, und wir brauchen uns daraus kein Gewissen
zu machen. Aber Gewalt bleibt Gewalt, und man soll sich nicht wundern,
wenn der Chinese klug genug war und ist, timore Dg.niZ.o8 se Anna, tsrsuws.
Der Missionar ist unser trojanisches Pferd geworden, seitdem wir mit christ¬
licher Entrüstung die wilden Eroberer von Pizarro bis auf Stanley und
Peters von uns gewiesen haben. Sie gehen hin als Lämmer, aber zuletzt
kommen die Wölfe hinterdrein; das ist nun einmal so, und ist nur natürlich
und unvermeidlich, weil die Kultur, unsre Kultur, eben kein Mädchen aus der
Fremde, sondern ein harter Herr ist.

Und ist es denn andrerseits so durchaus gewiß, daß diese Aufschließung
Chinas, wie sie jetzt im Gange ist, für uns die Quelle großen Glückes werden
muß? Für mich ist das eine noch sehr zu erwägende Frage. Zwar, ich
fürchte nicht, daß wir unsre heiligsten Güter vor dem kriegerischen Ansturm
der gelben Rasse werden schützen müssen. Seit nicht mehr die Stärke des
Armes, sondern die Kraft des Kopfes unsre Schlachten schlägt, brauchen wir
keine Horden Dschingiskhans oder Tamerlans mehr zu fürchten. Wir haben
ja die chinesischen Thüren auch nicht eingeräumt, um gewaltsam zu erobern,
sondern um für unsern Gewerbefleiß und Handel Raum zu schaffen. Werden
wir wirklich und sicher erobern? O ja, wir werden für unsre Fabrikate und
Erfindungen in dem Lande der drei- bis vierhundert Millionen Menschen einen
sehr großen Absatz finden, sobald erst die Willkür wird beseitigt sein, mit der
jeder Statthalter, jeder Provinzialmandarin, jede Stadt die eindringenden
Waren mit Binnenzöllen wie bisher belastet. Aber wir begnügen uns damit
nicht, sondern legen dort schon selbst Fabriken an. Wir haben wirtschaftliche
Grundsätze aufgegeben, die ehedem bei uns in Europa galten, insbesondre den
Grundsatz, daß es vorteilhaft sei, Fabrikate an den Fremden zu verkaufen, und
daß es daher thöricht sei, ihn selbst das Fabriziren zu lehren, weil damit das
Verkaufen bald aufhört. Inzwischen entsteht am Kautonfluß und anderwärts
in China eine europäisch gegründete und geleitete Fabrik nach der andern, und
unsre Zeitungen bringen sogar jubelnde und triumphirende Berichte darüber.
Unsre klugen Vorfahren von der Hansa Hütten das vermutlich anders ver¬
standen. Sie hätten, wie ich meine, auf die Nachricht, daß ein Europäer am
Kantonfluß eine Spinnerei oder Gießerei angelegt habe, ein Schiff den Fluß
hinaufgeschickt, die Fabrik niederbrennen und den Unternehmer bestrafen,


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[0364] Was in Vstasien vorgeht ist der fordernde, gebietende Herr erschienen, die Macht der „roten Teufel" auf chinesischem Boden. Waren diese Missionare so gefährliche Leute, wie viel mehr Grund hatten die Chinesen, Kaufleuten, Eisenbahnbauern und sonstigen weniger harmlosen Gästen ihr Haus, das ihnen wohl eingerichtet schien, zu verschließen, so lange es ging? Denn sie hatten längst vor diesem unglücklichen Ereignis in Kiautschou ihre Erfahrungen gemacht. So ist es immer hergegangen; was wir gethan haben, ist genau nach dem alten Rezept ausgeführt worden, mit dem vor uns Portugiesen, Franzosen, Eng¬ länder die Chinesen kurirt haben, und wir brauchen uns daraus kein Gewissen zu machen. Aber Gewalt bleibt Gewalt, und man soll sich nicht wundern, wenn der Chinese klug genug war und ist, timore Dg.niZ.o8 se Anna, tsrsuws. Der Missionar ist unser trojanisches Pferd geworden, seitdem wir mit christ¬ licher Entrüstung die wilden Eroberer von Pizarro bis auf Stanley und Peters von uns gewiesen haben. Sie gehen hin als Lämmer, aber zuletzt kommen die Wölfe hinterdrein; das ist nun einmal so, und ist nur natürlich und unvermeidlich, weil die Kultur, unsre Kultur, eben kein Mädchen aus der Fremde, sondern ein harter Herr ist. Und ist es denn andrerseits so durchaus gewiß, daß diese Aufschließung Chinas, wie sie jetzt im Gange ist, für uns die Quelle großen Glückes werden muß? Für mich ist das eine noch sehr zu erwägende Frage. Zwar, ich fürchte nicht, daß wir unsre heiligsten Güter vor dem kriegerischen Ansturm der gelben Rasse werden schützen müssen. Seit nicht mehr die Stärke des Armes, sondern die Kraft des Kopfes unsre Schlachten schlägt, brauchen wir keine Horden Dschingiskhans oder Tamerlans mehr zu fürchten. Wir haben ja die chinesischen Thüren auch nicht eingeräumt, um gewaltsam zu erobern, sondern um für unsern Gewerbefleiß und Handel Raum zu schaffen. Werden wir wirklich und sicher erobern? O ja, wir werden für unsre Fabrikate und Erfindungen in dem Lande der drei- bis vierhundert Millionen Menschen einen sehr großen Absatz finden, sobald erst die Willkür wird beseitigt sein, mit der jeder Statthalter, jeder Provinzialmandarin, jede Stadt die eindringenden Waren mit Binnenzöllen wie bisher belastet. Aber wir begnügen uns damit nicht, sondern legen dort schon selbst Fabriken an. Wir haben wirtschaftliche Grundsätze aufgegeben, die ehedem bei uns in Europa galten, insbesondre den Grundsatz, daß es vorteilhaft sei, Fabrikate an den Fremden zu verkaufen, und daß es daher thöricht sei, ihn selbst das Fabriziren zu lehren, weil damit das Verkaufen bald aufhört. Inzwischen entsteht am Kautonfluß und anderwärts in China eine europäisch gegründete und geleitete Fabrik nach der andern, und unsre Zeitungen bringen sogar jubelnde und triumphirende Berichte darüber. Unsre klugen Vorfahren von der Hansa Hütten das vermutlich anders ver¬ standen. Sie hätten, wie ich meine, auf die Nachricht, daß ein Europäer am Kantonfluß eine Spinnerei oder Gießerei angelegt habe, ein Schiff den Fluß hinaufgeschickt, die Fabrik niederbrennen und den Unternehmer bestrafen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/364>, abgerufen am 28.12.2024.